Bereits im Juli des Vorjahres erfolgte die Ausschreibung der Stelle der Präsidentin/des Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichtes. Beworben haben sich zwölf Jurist:innen. Von Beginn an wurde kritisiert, dass in den im Jänner 2022 bekanntgewordenen „Sideletters“ der türkis-grünen Bundesregierung der ÖVP das Nominierungsrecht für diesen Posten zukommen soll. Seit 1. Dezember 2022 ist die Position mit Pensionsantritt von Harald Perl vakant.
independence and efficiency
Scharfe Kritik: OLG-Präsident:innen machen Druck zur Besetzung des BVwG
Die Präsident:innen der vier Oberlandesgerichte (OLG) urgieren in einem Schreiben an Kanzler und Vizekanzler erneut die Nachbesetzung der Leitung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) und führen aus: „Dies stellt unseres Erachtens – ebenso wie die offenbare Verknüpfung mit der Besetzung der Leitung der Bundeswettbewerbsbehörde – einen groben Missstand in unserer Republik dar.“
EuGH / Rechtsstaatlichkeit: Die polnische Justizreform von Dezember 2019 verstößt gegen das Unionsrecht
Der Wert der Rechtsstaatlichkeit gibt der Union als Rechtsgemeinschaft schlechthin ihr Gepräge und schlägt sich in Grundsätzen nieder, die rechtlich bindende Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten enthalten.
Nachdem Polen am 20. Dezember 2019 ein Gesetz erlassen hatte, mit dem die nationalen Vorschriften über die Organisation der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Verwaltungsgerichtsbarkeit und des Obersten Gerichts geändert wurden (im Folgenden: Änderungsgesetz), erhob die Europäische Kommission beim Gerichtshof eine Vertragsverletzungsklage mit dem Antrag, festzustellen, dass mit der durch dieses Gesetz eingeführten Regelung mehrere Bestimmungen des Unionrechts missachtet werden.
Unbehagen im Rechtsstaat
In einem Gastbeitrag in der Presse mahnt Peter Hilpold, Professor für Völkerrecht, Europarecht und Vergleichendes Öffentliches Recht an der Universität Innsbruck, die jahrelang verschobenen Reformen in Österreich ein.
„Unbehagen macht sich breit, nicht nur in der Politik, sondern auch in den Feldern Recht, Justiz und Wissenschaft. Den Hintergrund bilden Jahre, mitunter Jahrzehnte aufgeschobener Reformen; eine Unterlassung, die nun ihre abträglichen Wirkungen für das ganze Land überdeutlich vor Augen führt.“
Die Süddeutsche Zeitung betitelt Österreich als „Land des Postenschachers“ – Zeit Online bringt zur Postenschacherei drei Beispiele
Die Süddeutsche Zeitung führt aktuelle Beispiele an, die zeigen sollen, dass Spitzenpositionen in Österreich sehr oft nach Parteiinteressen besetzt werden. Allen voran wird dabei – als „Postenschacher auf höchstem Niveau“ – die Pattstellung bei der Besetzung der Führungspositionen des Bundesverwaltungsgerichtes und der Bundeswettbewerbsbehörde genannt. Obwohl es für die Besetzung der Führungsposition beim Bundesverwaltungsgericht eine eindeutige Empfehlung an die Bundesregierung, getroffen von einer unabhängigen Kommission unter dem Vorsitz von Höchstrichtern gebe, ist das Amt des Präsidenten/der Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichtes nicht nachbesetzt. Die ÖVP lege sich gegen die Erstgereihte quer, weil sich die Grünen gegen den Erstgereihten für die Leitung der Bundeswettbewerbsbehörde querlegen.
Europäische Verwaltungsrichter:innen-Vereinigung – AEAJ (1): Neuer Vorstand gewählt – Beitritt der polnischen Vereinigung der Verwaltungsrichter:innen (OSSA)
Bei der Generalversammlung der Vereinigung Europäischer Verwaltungsrichter:innen (AEAJ) am 12.05.2023 am Oberverwaltungsgericht Versailles übergab Edith Zeller (Verwaltungsgericht Wien) nach neunjähriger Tätigkeit als Präsidentin der Vereinigung an den neu gewählten Präsidenten Sylvain Mérenne, Richter am Oberverwaltungsgericht Marseille. Eva Wendler (Bundesverwaltungsgericht) wurde neben Eugenia Papadopoulou (Oberverwaltungsgericht Thessaloniki), David Rabenschlag (Verwaltungsgericht Berlin), Indre Zvaigzdiniene (Verwaltungsgericht Vilnius) neue Vizepräsidentin der Vereinigung.
Gravierende europarechtliche Bedenken gegen die Nichtbesetzung der Stelle des/der Präsident:in des Bundesverwaltungsgerichts
Nicht nur verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Unterlassung der Bestellung der Leitungsposition des Bundesverwaltungsgerichts wurden bisher dargelegt, auch der Verdacht von politischen Tauschgeschäften und der Postenschacherei wurden geäußert. So hat zuletzt auch der Bundeskanzlei festgehalten, dass für die Bestellung der Leitung des Gerichts die politischen Verhandlungen noch nicht abgeschlossen seien. Außerdem erachtet der Kanzler das derzeitige Mischsystem bei der Postenbesetzung aus Kommission- und Regierungsentscheidung als nicht zielführend.
Maiforum 2023 (Teil 1) – grundrechtliche Vorgaben zur (organisatorischen) Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit
Zur Eröffnung des Maiforums mahnte der Präsident des Dachverbands der Verwaltungsrichter:innen Markus Thoma die Umsetzung der europäischen Standards zur Bestellung von Richter:innen und Gerichtspräsident:innen durch richterliche Organe als Ausfluss der richterlichen Selbstverwaltung und Unabhängigkeit ein. Die Bestellung der offenen Posten, so aktuell der Posten des/der Präsident:in des BVwG, sollen auch zeitnah und unparteiisch erfolgen.
NGOs orten versuchte Einflussnahme auf Justiz, Van der Bellen kritisiert Regierung scharf
Seit mehr als 165 Tagen ist das weitaus größte Gericht Österreichs ohne ordnungsgemäße Führung. In einer gemeinsamen Pressekonferenz forderten die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die netzpolitische Bürgerrechtsorganisation epicenter.works, die Umweltschutzorganisation Ökobüro – Allianz der Umweltbewegung und die asylpolitische Plattform asylkoordination österreich die Regierung auf, die Stelle sofort zu füllen und die Besetzung nicht weiter aus parteipolitischem Interesse zu
verzögern.
„Verantwortungslos“ und „unzumutbar“: Scharfe Kritik wegen offener Justizposten
ÖVP und Grüne können sich nicht auf einen Nachfolger am Bundesverwaltungsgericht einigen. Die Entscheidung dürfte an eine Besetzung bei der Wettbewerbsbehörde gekoppelt sein
Von einer „Missachtung des Rechtsstaats“ und „fehlender Verantwortung“ gegenüber der Justiz sprechen Richterinnen und Richter; von einem „unzumutbaren Zustand“ und einem „unfassbar schlechten Zeichen“ die Oppositionsparteien.