Gravierende europarechtliche Bedenken gegen die Nichtbesetzung der Stelle des/der Präsident:in des Bundesverwaltungsgerichts

Nicht nur verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Unterlassung der Bestellung der Leitungsposition des Bundesverwaltungsgerichts wurden bisher dargelegt, auch der Verdacht von politischen Tauschgeschäften und der Postenschacherei wurden geäußert. So hat zuletzt auch der Bundeskanzlei festgehalten, dass für die Bestellung der Leitung des Gerichts die politischen Verhandlungen noch nicht abgeschlossen seien. Außerdem erachtet der Kanzler das derzeitige Mischsystem bei der Postenbesetzung aus Kommission- und Regierungsentscheidung als nicht zielführend.

Nun meldete sich auch der Verfassungsrechtler Peter Bußjäger zu Wort: „Politisches Mikado ist nicht nur schädlich, sondern auch verfassungswidrig,“ führt er in einem Gastkommentar in der VN am 27.05.2023 aus. Die Bundesregierung habe eine Rechtspflicht, diese Posten im gesamtstaatlichen Interesse zu besetzen. Er verwies auf die Rechtsprechung des EGMR zu Island (Anm: CASE OF GUÐMUNDUR ANDRI ÁSTRÁÐSSON v. ICELAND), nach der bereits 2019 entschieden wurde, dass die Besetzung eines Gerichts mit Richter:innen, die ihre Position dadurch erlangt hatten, dass besser qualifizierte Personen benachteiligt wurden, gegen das Recht auf ein faires Verfahren verstieß. Er fasste als Schlussfolgerung aus dieser Rechtsprechung zusammen. „Kurz gesagt: die oder der Bestqualifizierte gehört in die betreffende Funktion, und das schnell. Damit erübrige sich jedes Mikado.“

Die ÖVP blockiere die Bestellung der von einer Auswahlkommission erstgereihten Bewerberin, die nebenbei auch Präsidentin der Richtervereinigung sei, zur Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts, weil die Grünen dem Ergebnis der zuständigen Auswahlkommission für die Leitung der Bundeswettbewerbskommission misstrauen, die einen männlichen Kandidaten vor der stellvertretenden Leiterin dieser Behörde gereiht habe.

Auch wenn der/die Präsident:in des Bundesverwaltungsgerichts selbstverständlich keine Weisungen erteilen könne, so habe er/sie dafür zu sorgen, dass die Arbeitsläufe und Ausstattung verbessert werden, was beispielsweise notwendig sei, um die hohen Anzahl an Asylverfahren „möglichst rasch und dennoch qualitätsvoll abzuarbeiten“.

Dieser monatelange Stillstand bei der Besetzung wichtiger Funktionen sei schädlich.

Hier geht’s zum Gastbeitrag in der VN: Mikado

Siehe auch die Stellungnahme des Dachverbands der Verwaltungsrichter:innen: Verwaltungsrichter fordern die Regierung zum Handeln auf

Siehe auch bereits: Bestellung des neuen Präsidenten/der neuen Präsidentin des Bundesverwaltungsgericht als Spielball der Politik

Siehe auch: Präsidentenernennung (2): Bundesverwaltungsgericht nach fast vier Monaten noch ohne Leitung – Verwaltungsrichter:innen-Vereinigung

Siehe auch den Beitrag im Standard vom 15.05.2023: Koalitionsblockade bei Justizposten zeugt von ignoranter Machtpolitik

Siehe auch den Beitrag im Standard vom 08.05.2023: „Verantwortungslos“ und „unzumutbar“: Scharfe Kritik wegen offener Justizposten

Siehe dazu auch den Beitrag im Standard vom 01.08.2022: Türkis-grüner Sideletter: Besetzung am Bundesverwaltungsgericht wird zur Probe

Siehe auch in den VN vom 15.05.2023: Präsidiale Schelte für Bundesregierung um Postenbesetzung

Siehe auch den weiteren Beitrag in der VN vom 15.05.2023: NGOs orten versuchte Einflussnahme auf Justiz, Van der Bellen kritisiert Regierung scharf

Teilen mit: