ÖVP und Grüne können sich nicht auf einen Nachfolger am Bundesverwaltungsgericht einigen. Die Entscheidung dürfte an eine Besetzung bei der Wettbewerbsbehörde gekoppelt sein
Von einer „Missachtung des Rechtsstaats“ und „fehlender Verantwortung“ gegenüber der Justiz sprechen Richterinnen und Richter; von einem „unzumutbaren Zustand“ und einem „unfassbar schlechten Zeichen“ die Oppositionsparteien.
Seit knapp einem halben Jahr ist die Spitze des größten Gerichts Österreichs, des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG), unbesetzt. Die Regierungsparteien ÖVP und Grüne können sich nicht auf einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin einigen, obwohl es längst den Besetzungsvorschlag einer Personalkommission gibt.
Die Vermutung zahlreicher politischer Beobachterinnen und Beobachter: Die Postenbesetzung am BVwG, die laut dem „Sideletter“ der Regierung der ÖVP zustehen soll, dürfte mit einer weiteren Personalentscheidung gekoppelt sein. Auch bei der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) steht die Neubesetzung der Leitungsfunktion aus – dort bereits seit mehr als einem Jahr.
Heikle Verfahren
Zuständig ist das BVwG hauptsächlich für Asylfragen und Umweltverfahren. Dass die Präsidentenstelle einer derart wichtigen Institution offenbleibt, kritisiert die Opposition scharf. Die Situation sei ein „unzumutbarer Zustand“, sagte SPÖ-Abgeordnete Selma Yildirim im Ö1-„Mittagsjournal“ am Montag. Aus Sicht des FPÖ-Mandatars Harald Stefan entstehe der Eindruck, „dass hier nicht das an sich objektive Besetzungsverfahren ausschlaggebend sein soll, sondern ein politischer Tauschhandel“. Nikolaus Scherak (Neos) sprach von einem „unfassbar schlechten Zeichen“ und einer „Zumutung“. Bei der ÖVP gehe es nach wie vor darum, „wer gut vernetzt ist, und nicht darum, wer was kann“.
Kritik übt auch der Dachverband der Verwaltungsrichter:innen. Die ausstehende Ernennung weise darauf hin, dass „zumindest der Anschein der politischen Einflussnahme gegeben ist“, heißt es in einer Stellungnahme an den STANDARD. Die Politik nehme „ihre Verantwortung gegenüber der Rechtsprechung als zentrale Säule unserer Demokratie nicht gebührend wahr“. Der Dachverband fordert, dass der Besetzungsvorschlag der Personalkommission künftig verbindlich ist.
Geleitet wird das BVwG derzeit von Vizepräsident Michael Sachs. Der ÖVP-nahe Jurist (er war Kabinettschef von Wolfgang Schüssel) hatte sich für die Leitung der BWB beworben und wurde in einem umstrittenen Auswahlverfahren auf Platz eins gereiht. Die anerkannte Wettbewerbsjuristin und interimistische Chefin der BWB Natalie Harsdorf-Borsch belegte nur den zweiten Platz, was die Grünen offenbar nicht akzeptieren wollen. Das Ergebnis: Sachs bleibt interimistischer Chef des BVwG, Harsdorf-Borsch interimistische Leiterin der BWB. Ein Ende dieser gegenseitigen Blockade ist nicht in Sicht.
Hier geht’s zum Beitrag im Standard …
Hier geht’s zum Beitrag im Morgenjournal auf Ö1: Bundesverwaltungsgericht: Verwaltungsrichter kritisieren Nicht-Besetzung …
Hier geht’s zum Beitrag im Abendjournal auf Ö1: Scharfe Kritik wegen fehlender Leitung am BVwG …
Siehe auch den Beitrag im Profil: Topjob im Verwaltungsgericht: Rechtsstaat ist kein Spielball