EU-Justizkommissar: „Wir haben bei der Rechtsstaatlichkeit eine Krise“

Wenn die Unabhängigkeit der Gerichte in einem EU-Land gefährdet ist, dann ist das ein Problem für die gesamte Union, sagt Didier Reynders.

Bei mehreren Herausforderungen, denen sich die neue EU-Kommission stellen muss, laufen die Fäden im Büro des Justizkommissars zusammen. Sorge um die Rechtsstaatlichkeit in Polen und Ungarn gehört ebenso dazu wie Konsumentenschutz im Zeitalter der Digitalisierung.

STANDARD: Das Thema Rechtsstaatlichkeit ist derzeit in aller Munde. Warum ist das so?

Reynders: Wir haben auf dem Gebiet eine Krise. Innerhalb weniger Jahre gab es in einigen Mitgliedsstaaten Entwicklungen, bei denen die Unabhängigkeit der Justiz, der Kampf gegen Korruption oder das Bekenntnis zum Medienpluralismus zu wenig Beachtung fanden. Die Situation in Polen etwa bereitet mir mehr und mehr Sorgen. Wir müssen zeigen, dass das kein nationales Problem ist, sondern ein europäisches. Und dass ein Richter in einem EU-Land immer auch ein europäischer Richter ist.

STANDARD: Es gibt Pläne, die Auszahlung von EU-Geldern an die Einhaltung rechtlicher Standards zu knüpfen. Wie soll das gehen?

Den Rest des Beitrags lesen »

OLG-Präsident sieht „politisch motivierte“ Angriffe auf die Justiz

Klaus Schröder, Präsident des Oberlandesgerichts (OLG) Innsbruck und langjähriger Vorsitzender der Richter-Gewerkschaft bezog klar Stellung zu den aktuellen Angriffen auf die Justiz. „Ich glaube, dass sie vordergründig politisch motiviert sind“, so Schröder. Er ortet dahinter „Taktik“.

Es gehe darum, ein Bild der Justiz zu zeichnen, wonach diese „faul, langsam und korruptions- oder einflussanfällig“ sei. Dadurch solle das Ansehen der Justiz erschüttert werden, um Voraussetzungen für Änderungen im Justizsystem zu schaffen, „die politisch genehm sind“.

Das sei eine Entwicklung, die man auch in anderen europäischen Ländern beobachten könne: „Orbán macht es vor. In Polen wird es exzessiv betrieben“, nannte Schröder drastische Beispiele und stellte klar: „Wir sind nicht politisch steuerbar.“

Schiefe Optik

Umso kritischer beurteilt er das Treffen von Sektionschef Christian Pilnacek mit zwei Beschuldigten in der Casinos-Causa, den Aufsichtsräten Walter Rothensteiner und Josef Pröll: „Ich bin todunglücklich über diesen Vorgang. Das geht überhaupt nicht.“

Den Rest des Beitrags lesen »

Niederlande: „Richter-Bashing“ nach Klimaurteil

Mit dem als historisch erachteten sogenannten „Urgenda“-Urteil  hat der „Hohe Rat der Niederlande“ die Regierung verpflichtet, den Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen bis Ende 2020 um mindestens 25 Prozent zu verringern.

Obwohl die holländische Regierung bereits im Vorfeld erklärt hatte, sie werde sich an das Urteil halten, führte diese Entscheidung in den Niederlanden zu einem „Richterbashing“, vergleichbar mit den Vorgängen in Österreich beim ersten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur „Dritten Piste“ – wenn auch mit umgekehrten Rollen von Regierung und Opposition.

Die Opposition wirft den Höchstrichtern vor, ihr Mandat überschritten zu haben und fordert Gesetze, welche Richter hindern sollen, politisch heikle Fragen zu entscheiden. Gewarnt wird von einer „Dikastokratie“ d. h. der Herrschaft der Richter.

Den Rest des Beitrags lesen »

Malta: Nichtregierungsorganisation klagt gegen Richterernennungen

Die maltesische Nichtregierungsorganisation „Repubblika“ welche erst im November 2018 gegründet worden war, klagte vor dem nationalen Verfassungsgericht gegen das maltesische System der Richterernennung.

Die NGO sieht in dem Umstand, dass die Ernennung von Richterinnen Richtern im ausschließlichen Ermessen des Premierministers liegt, einen Verstoß gegen den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes (Art. 47 EU-Grundrechtcharta) sowie gegen das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 der EMRK). Im November 2019 hat das maltesische Gericht den Fall dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt (Rechtssache C-896/19). Diese wurde nun allen Mitgliedsstaaten zur Stellungnahme übermittelt.

Die NGO „Repubblika“ begehrt die Feststellung, dass das System der Richternennung in Malta im Widerspruch zu den Rechtschutzgarantien des Unionsrecht steht, die Feststellung , dass jede Ernennung eines Richters, die nach dem derzeitigen System und während der Anhängigkeit dieses Verfahrens erfolgt, missbräuchlich, rechtswidrig, nichtig und unwirksam ist und keine weiteren Richterernennungen vorgenommen werden dürfen, es sei denn, diese stehen im Einklang mit den Grundsätzen des Unionsrechts und den Empfehlungen der Venedig-Kommission des Europarates (Gutachten vom 17. Dezember 2018).

Den Rest des Beitrags lesen »

Richter über Kurz‘ WKStA-Kritik: „Dann kommt der Rechtsstaat ins Rutschen“

Die Kritik des Kanzlers an der Justiz hat Wellen geschlagen. Dass Kurz eine Aussprache will, ist für den Richter Oliver Scheiber ein Tabubruch

Der von Bundeskanzler Sebastian Kurz einberufene – und von Justizministerin Alma Zadić zur „Aussprache“ herabgestufte – runde Tisch über die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sorgt für Kritik. Oliver Scheiber, Gerichtsvorsteher am Bezirksgericht Wien-Meidling, empörte sich in den sozialen Medien. Im Gespräch mit dem STANDARD erklärt er, warum er das als dramatische Entwicklung sieht und derartige Tendenzen oft Vorboten autoritärer Regierungsstile seien.

STANDARD: Was stört Sie daran, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz einen runden Tisch einberufen hat, bei dem Verfahrensdauer, Vertrauen in die Justiz und Unabhängigkeit und Objektivität diskutiert werden sollen?

Scheiber: Entweder liegt beim Bundeskanzler ein völliges Missverstehen der Gewaltentrennung und Checks and Balances in einem Rechtsstaat vor – diese Naivität und dieses Unwissen würden mir Angst machen. Oder er will Signale an die Staatsanwaltschaft senden, künftig anders vorzugehen. Das wäre ein unzulässiger Übergriff des Kanzlers auf Organe der Gerichtsbarkeit.

Den Rest des Beitrags lesen »

Asylwerber erkämpfen sich vor Gericht Zugang zum Jobmarkt

Geht es nach der Politik, sollen Asylwerber weitgehend vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden. Immer öfter hebeln Gerichte diese Restriktionen aus.

Unter die ganze Diskussion rund um Asylwerber in der Lehre müsse endlich ein Schlussstrich gezogen werden. Mit Worten wie diesen leitete ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer Mitte Dezember im Nationalrat seine Rede zu diesem Thema ein. Eine Gruppe von 700 betroffenen Asylwerbern, so wurde damals beschlossen, darf ihre Lehre in Österreich fertig machen. Das begrüßte der zwischenzeitlich zum Innenminister aufgestiegene Nehammer, fügte aber hinzu, dass es ein Fehler war, die Lehre für Asylwerber überhaupt zu öffnen. Die alte Koalition aus ÖVP und FPÖ habe diesen Fehler behoben: „Heute ist es für einen Asylwerber nicht mehr möglich, eine Lehre zu beginnen, und das ist gut so“, stellte Nehammer klar.

Dieser letzte Satz stimmt so allerdings nicht. Im Jänner 2020 ergingen zwei Urteile des Bundesverwaltungsgerichts in Wien, mittels deren zwei Asylwerbern der Zugang zur Lehre gewährt wurde. In einem Fall ging es um einen Afghanen, der eine Lehre als Elektroinstallateur in einem Betrieb in Oberwart beginnen wollte. Nachdem das regionale AMS die Arbeitsbewilligung abgelehnt hatte, erhob der Betrieb Beschwerde und bekam nun recht.

Den Rest des Beitrags lesen »

EU: Sorgen um Rechtsstaatlichkeit betreffen nicht nur Ungarn und Polen

Aus Anlass des aktuellen Berichtes der Weltbank über die sogenannten „Governance indicators“ beschäftigt sich die Analystin Agata Gostyńska-Jakubowska in einem Beitrag im englischen „Guardian“ mit dem Verhältnis von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union.

Sie kommt zu dem Schluss, dass der Rückgang der Achtung der Rechtsstaatlichkeit nicht nur in Ungarn und Polen zu beobachten ist, sondern es sich dabei um ein EU-weites Problem handelt, welches das Funktionieren der gesamten Gemeinschaft beeinträchtigen könnte.

Hier der Beitrag aus dem „Guardian“ (machine-translation):

Die Governance-Indikatoren der Weltbank zeigen eine Verschlechterung in Bulgarien, Frankreich, Italien und Griechenland.

Den Rest des Beitrags lesen »

Judikatur VfGH / Verfahrensrecht: Gewährung oder Ausschluss der Akteneinsicht im Zusammenhang mit Geschäfts- und Betriebsgeheimnis

Hat die Behörde in einem Mehrparteienverfahren mitbeteiligten Parteien die Akteneinsicht zu Unrecht gewährt oder verweigert, so ist dagegen (Verfahrensanordnung) eine gesonderte Beschwerde an das Verwaltungsgericht nicht möglich.

Eine allfällige Verletzung von Verfahrensvorschriften (§ 17 Abs. 3 AVG) kann nur im Wege einer Beschwerde an das zuständige Verwaltungsgericht gegen die das Verfahren abschließende Sachentscheidung geltend gemacht werden.

Im Fall eines darauf gerichteten Feststellungsantrages hat das Verwaltungsgericht darüber gesondert zu entscheiden (VfGH vom 10.10.2019, E 1025/2018).

Subjektives Recht einer Verfahrenspartei auf Akteneinsicht

Den Rest des Beitrags lesen »

Informationsfreiheit: „Transparenz“-Register wird öffentlich

Im Sommer 2019 wurde mit dem EU-Finanz-Anpassungsgesetz auch das Wirtschaftliche Eigentümer Registergesetz (WiEReG) geändert. Damit wird die 5. Geldwäscherichtlinie (Richtlinie (EU) 2018/843) in Österreich umgesetzt. Ziel ist die Verhinderung von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung. Viele relevante Änderungen zum WiEReG sind aber erst heuer in Kraft getreten.

Mit dem Register werden in Österreich erstmals die wahren wirtschaftlichen Eigentümer von Unternehmen, Stiftungen, Vereinen und Trusts in einem einheitlichen Register erfasst. Das Register wird durch die beim Bundesminister für Finanzen eingerichtete Registerbehörde geführt. Als gesetzliche Dienstleisterin bedient sich die Registerbehörde der Bundesanstalt Statistik Austria, die das Register auf Basis des Unternehmensregisters betreibt.

Neuerungen ab Jänner 2020:

Den Rest des Beitrags lesen »

Polen: Unterstützung aus Europa für den „Marsch der tausend Roben“ gegen Justizreform

Tausende Richter und Richterinnen, Juristen und Juristinnen und andere Bürger bzw. Bürgerinnen aus rund 20 Staaten Europas, darunter Österreich, haben am Freitag in Warschau gegen Gesetzespläne der polnischen Regierung protestiert, die die Unabhängigkeit der Justiz weiter einschränken könnten.

Der als „Marsch der tausend Roben“ angekündigte Solidaritätsmarsch durch das Stadtzentrum vom Obersten Gerichtshof zum Parlamentsgebäude richtete sich nach Angaben der polnischen Richtervereinigung Iustitia gegen Pläne der rechtskonservativen polnischen Regierung zur „Disziplinierung“ von Richtern.

Gegner kritisieren Regierungsplan

Die vom Parlament noch nicht endgültig beschlossene Gesetzesvorlage soll nach Ansicht der Gegner und Gegnerinnen dazu dienen, polnische Richter bzw. Richterinnen zu bestrafen, die sich kritisch über die Justizreformen der Regierung äußern.

Den Rest des Beitrags lesen »