Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich erstmals dazu geäußert, ob nationale Gerichte befugt oder sogar verpflichtet sind, gegen die Verantwortlichen nationaler Behörden eine Zwangshaft zu verhängen, wenn sich diese beharrlich weigern, gerichtlich auferlegte – und auf Unionsrecht fußende – Verpflichtungen zu erfüllen (Rechtssache C-752/18, Deutsche Umwelthilfe / Freistaat Bayern).
Fahrverbote nicht umgesetzt
Anlassfall war ein Rechtsstreit in Deutschland, bei dem sich Mitglieder von Landesregierungen in Bayern und Baden-Württemberg geweigert hatten, von Verwaltungsgerichten verfügte Fahrverbote für Dieselfahrzeuge umzusetzen. Zur Durchsetzung der Fahrverbote hatten Gerichte mehrfach Zwangsgelder verhängt, allerdings ohne Erfolg. Daher hatte die „Deutsche Umwelthilfe“ beim Verwaltungsgericht München beantragt, den bayerischen Umweltminister oder den Ministerpräsidenten in Zwangshaft zu nehmen.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat den Fall dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Dieser sollte klären sollte, ob ein deutsches Gericht berechtigt ist, eine solche Zwangshaft zu vollstrecken.
EuGH legt Prüfungsmaßstab fest
Der EuGH hat nun entschieden, dass das zuständige nationale Gericht verpflichtet ist, gegen die Verantwortlichen des Freistaats Bayern eine Zwangshaft zu verhängen, sofern zwei Voraussetzungen erfüllt sind:
Zum einen muss es im innerstaatlichen Recht eine hinreichend zugängliche, präzise und in ihrer Anwendung vorhersehbare Rechtsgrundlage für den Erlass einer solchen Maßnahme geben. Zum anderen muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden.
Der Gerichtshof weist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der in der Richtlinie 2008/50 vorgesehenen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit von Personen und die Notwendigkeit, zu deren Durchsetzung einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz vorzusehen. Nationale Rechtsvorschriften, die zu einer Situation führen, in der das Urteil eines Gerichts wirkungslos bleibt, verletzen den Wesensgehalt dieses Rechts und nehmen ihm jede praktische Wirksamkeit. In einem solchen Fall muss das nationale Gericht sein nationales Recht so auslegen, dass es so weit wie möglich im Einklang mit den Zielen der genannten Bestimmungen steht; ist es dazu außerstande, muss es jede nationale Bestimmung unangewendet lassen, die dem unmittelbare Wirkung entfaltenden Unionsrecht entgegensteht.
Bei Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit darf auf die Verhängung einer Zwangshaft nur zurückgegriffen werden, wenn keine weniger einschneidende Maßnahme zur Verfügung stehen, wie z. B. mehrere hohe Geldbußen in kurzen Zeitabständen. Nur für den Fall, dass die mit der Verhängung von Zwangshaft verbundene Einschränkung des Rechts auf Freiheit diesen Voraussetzungen genügt, würde das Unionsrecht den Rückgriff auf eine solche Maßnahme nicht nur gestatten, sondern gebieten.