Regierungsprogramm 2020-2024: Für die Verwaltungsgerichtsbarkeit wenig Neues

Die von „GRECO“ und Europarat an der Organisation der Verwaltungsgerichte in Österreich geübt Kritik fand im neuen Regierungsprogramm nur wenig Niederschlag

Die Antikorruptionsbehörde des Europarats (GRECO) hatte wiederholt – zuletzt im Sommer 2019 – darauf hingewiesen, dass Österreich hinsichtlich der Ausgestaltung der Unabhängigkeit der neu geschaffenen Verwaltungsgerichte Nachholbedarf habe.

Auch der Dachverband der Verwaltungsrichter hatte in einem Schreiben an die Parlamentsparteien festgestellt, das Gutachten des Europarates (CCJE) vom 28. März 2019 zur Organisation des Verwaltungsgerichtes Wien zeige für den Verfassungs- und die Organisationsgesetzgeber dringenden Handlungsbedarf.

Diese Forderungen fanden im neuen Regierungsprogramm nur wenig Niederschlag, und wenn ja, dann nur in sehr allgemeiner Form.

Nachfolgend ein kursorischer Blick auf das Regierungsprogramm zu den Themen Auswahl und Ausbildung von Richtern, behördliches und gerichtliches Verwaltungsverfahren, Modernisierung und Digitalisierung der Verwaltung, Asylverfahren, Finanzverfahren, Illegales Glückspiel, Informationsfreiheit, Innere Sicherheit, Versammlungsfreiheit und Umweltrecht.

Auswahl und Ausbildung von Richtern

Förderung der Durchlässigkeit zwischen der ordentlichen und der Verwaltungsgerichtsbarkeit (in beide Richtungen) und Schaffung von bundesweit einheitlichen Ausbildungsstandards unter Berücksichtigung der Vorteile der jeweiligen Systeme, Aus- und Fortbildung.

Neue Mitglieder der Verwaltungsgerichte sollen weiterhin vorwiegend aus der Verwaltung kommen, um die erforderliche Praxiserfahrung aus dem Vollzug sicherzustellen.

  • Ausweitung und Förderung der Zugangsmöglichkeit verwandter Berufsgruppen zum Richter-/Staatsanwaltsberuf und umgekehrt
  • Prüfung einer österreichweiten Vereinheitlichung und Professionalisierung der Justizaus- und -fortbildung unter Einbeziehung der Wissenschaft
  • Ergänzung der richterlichen und staatsanwaltlichen Regelausbildung um ein verpflichtendes Modul „Umweltstrafrecht“ und „Technikklauseln“ (Stand der Technik, Regeln der Technik, Stand der Wissenschaft) und Bedeutung von grundsätzlich unverbindlichen Normen“
  • Flexibilisierung des starren Gehaltsschemas von Richterinnen bzw. Richtern und Staats-anwältinnen bzw. Staatanwälten
  • Weiterentwicklung des Auswahl- und Aufnahmeverfahrens für den richterlichen Vorbereitungsdienst im Sinne eines modernen, transparenten und objektiven Prozesses anhand objektiver Kriterien zur Berufsqualifikation unter Mitwirkung externer Prüferinnen und Prüfer
  • Bei Abweichung der Bestellung vom Vorschlag des Personalsenats muss eine ausreichende Begründung erfolgen
  • Verlängerung der Gerichtspraxis auf neun Monate

Behördliches und gerichtliches Verwaltungsverfahren

Einrichtung einer interministeriellen Arbeitsgruppe zur Erhebung der Deregulierungspotentiale auch im Bereich des Verwaltungsstrafrechtes. Aus Anlass der jüngsten EuGH-Rechtsprechung erfolgt eine Reform des Kumulationsprinzips im Verwaltungsstrafrecht; Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Wahrung general- und spezialpräventiver Aspekte

  • Verfahrensbeschleunigung und Effizienzsteigerung in verwaltungsgerichtlichen Verfahren
  • Bessere Strukturierung von VwG-Verfahren und Nachbesserungen beim Schluss des Ermittlungsverfahrens
  • Prüfung der Möglichkeit, bei technischen Fragen Ermittlungs- bzw. Berechnungsaufträge an die belangten Behörden zu richten
  • Stärkung des Rechtsstaates durch Zuständigkeitsübertragung zwischen Landesverwaltungsgerichten in Fällen, wo ein Richter bzw. Richterin oder Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterin eines LVwG Verfahrenspartei ist
  • Bei einer Säumnisbeschwerde soll der säumigen Verwaltungsbehörde eine Nachfrist zur Entscheidung gesetzt werden, in welcher diese verpflichtet ist, die Entscheidung nachzuholen, bevor die Entscheidungspflicht an das Verwaltungsgericht übergeht
  • Klarstellung, dass die Landesverwaltungsgerichte als „mitbeteiligte Behörden“ im Sinne des UVP-G anzusehen sind und daher Feststellungsanträge stellen können.

Entbürokratisierung und Modernisierung der Verwaltung

  • Prüfung einer Reform des Verfahrensrechts im AVG (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz; wurde seit 1998 nicht mehr weiterentwickelt)
  • Digitalen Bescheid ermöglichen (Kundmachungsvorschriften)
  • Fristen bei digitaler Einbringung auf 24 Uhr des entsprechenden Tages ausweiten
  • Flexibilisierung bei Sachverständigen, um bei mangelnder Verfügbarkeit zu lange Wartefristen künftig zu vermeiden.
  • Erstellung und Evaluierung eines Verzeichnisses aller in Österreich tätigen Amtssachverständigen auf Ebene aller Gebietskörperschaften

„Digitale Verwaltung“

Alle Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen sollen nach Möglichkeit Amtsgeschäfte digital abwickeln können. Unabhängig vom digitalen Angebot muss ein Behördenweg auch weiterhin analog möglich sein.

  • Ziel ist eine durchgängige digitale Abwicklung (von der Einbringung bis zum Bescheid).
  • Ausbau einer sicheren elektronischen Zustellung von Behördenkommunikation für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen („E-Zustellung“ auf freiwilliger Basis)
  • Digitale Identität ermöglichen: Einführung einer E-ID zur Nutzung im öffentlichen und privaten Bereich, basierend auf einem umfassenden datenschutzrechtlichen Konzept
  • Aufbau des Once-Only-Prinzips für Unternehmen sowie für Bürgerinnen und Bürger bei Verwaltungsverfahren: Alle relevanten Daten sollen Verwaltungsbehörden nur einmal bereitgestellt werden müssen und ab dann bei unterschiedlichen Behördenwegen automatisiert abrufbar sein. Das Prinzip der bereichsspezifischen Trennung der Bürgerdaten ist aufrechtzuerhalten.

Um die Digitalisierung der Verwaltung voranzutreiben, wird eine Verpflichtung zur digitalen Kommunikation der Verwaltungsorgane des Bundes untereinander eingeführt. Dort, wo es inhaltlich sinnvoll erscheint und es ausschreibungskonform möglich ist, soll eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der Post angestrebt werden. Länder und Gemeinden sollen bestmöglich eingebunden werden.

Zugang zu Rechtsinformation erheblich verbessern, indem das Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) zu einer intelligenten Plattform RIS+ weiterentwickelt wird, die intelligente Such-, Aggregations- und Visualisierungsfunktionen bietet (unter Beibehaltung der Gebührenfreiheit)

Asylverfahren

Unterstützung des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) zum zügigen Abbau der anhängigen Verfahren im Bereich der Asyl- und Fremdenverfahren.

Schaffung eines beschleunigten, modernen, grenznahen Asylantragsverfahrens im Binnen-Grenzkontrollbereich

  • Die ersten Schritte im Asylverfahren nur dort unter Berücksichtigung des bestehenden Instruments der Wohnsitzauflage
  • Fallweise Einbeziehung des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR)
  • Wahrung einer infrastrukturellen Anbindung sowie eines niederschwelligen Zugangs zu Rechtsberatung und Rechtsschutz
  • Umsetzung der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) mit den Tätigkeitsfeldern Grundversorgung, Rechtsberatung, Rückkehrberatung, Dolmetschleistung, Menschenrechtsbeobachtung
  • Die Qualität der erstinstanzlichen Bescheide soll weiter angehoben werden (unter anderem durch Weiterbildung in den Bereichen Herkunftsländerkunde, Umgang mit besonders vulnerablen Gruppen). Daher soll ein zusätzlicaher, verfassungskonformer   Hafttatbestand (Sicherungshaft zum Schutz der Allgemeinheit) eingeführt werden für Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die öffentliche Sicherheit gefährden, so wie das bereits in15 europäischen Ländern der Fall ist, beispielsweise in den Niederlanden, Belgien oder Luxemburg

Für jene Schutzsuchende, die in Österreich Asyl beantragen, soll nach einem fairen und rechtsstaatlichen Verfahren von höchstens sechs Monaten darüber in zweiter Instanz rechtskräftig beschieden werden. Die Verfahren sind in hoher Qualität durchzuführen.

  • Ziel ist die Kürzung der Verfahrensdauer auf durchschnittlich sechs Monate und somit Senkung der Grundversorgungskosten durch eine zeitlich begrenzte Aufstockung der Planstellen in der 2. Instanz (insb. wissenschaftliches und Administrationspersonal)
  • Verfahrensverkürzung durch die Einführung von Fristen für die 2. Instanz BVerwG bei Verfahren, die bereits in der ersten Instanz als Fast-Track-Verfahren eingestuft wurden (Entscheidung innerhalb von 3 Monaten)
  • Laufende Überprüfung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten
  • Beibehaltung der Möglichkeit, Asylwerberinnen und Asylwerber mit rechtskräftig negativem Bescheid per Wohnsitzauflage zum Aufenthalt auch in einem Rückkehrverfahrenszentrum zu verpflichten unter Einhaltung des derzeit gültigen Rechtsschutzes

Finanzverfahren

Prüfung von Verfahrensbeschleunigungen bzw. Prozessoptimierungen (z.B. Analyse des Beschwerdevorentscheidungsverfahrens, schnellere Verfahren beim Bundesfinanzgericht, Möglichkeit zur Schließung des Ermittlungsverfahrens)

Modernisierung der Bundesabgabenordnung (BAO) mit dem Ziel der Prozesseffizienz und der Wahrung hoher Qualität (z.B. Reform des Verfahrensrechts, Verkürzung der Verfahrensdauer, Weiterentwicklung/Einführung von kooperativen Verfahren, begleitende Kontrolle, Ausweitung des Auskunftsbescheids)

Illegales Glücksspiel

Die Bundesregierung bekennt sich zu einer Bekämpfung des illegalen Glücksspiels und zu einer Ausweitung des Spielerschutzes.

  • Die Bundesregierung strebt eine Entflechtung der unterschiedlichen Rollen des BM für Finanzen im Bereich des Glücksspiels an
  • Die bestehenden Abgaben sollen evaluiert werden, vor dem Hintergrund einer Einschränkung der Glücksspielaktivitäten, bei gleichzeitiger Erhöhung der Bundessportförderung
  • Maßnahmen zur Erreichung der oben genannten Ziele sind z.B. effektive Instrumente zur Bekämpfung des illegalen Glücksspiels, Einschränkung von Werbemöglichkeiten,  Möglichkeit der Selbstsperre von Spielerinnen und Spielern, Prüfung einer effektiven Behördenstruktur, Evaluierung der zahlenmäßigen Beschränkung von Video-Lottery-Terminals im Glücksspielgesetz

Informationsfreiheit

Abschaffung des Amtsgeheimnisses / der Amtsverschwiegenheit ( Aufhebung von Art. 20 Abs. 3 und 4 B-VG)

Einklagbares Recht auf Informationsfreiheit: Rechtsschutz analog zum Umweltinformationsgesetz; Entscheidungsfrist: 2 Monate nach Einlangen, 2 Monate Entscheidungsfrist des Landesverwaltungsgerichts

Innere Sicherheit

Konsequente und unabhängige Ermittlung bei Misshandlungsvorwürfen gegen Polizeibeamtinnen bzw. Polizeibeamte in einer eigenen Behörde in multiprofessioneller Zusammensetzung, die sowohl von Amts wegen ermittelt als auch als Beschwerdestelle für Betroffene fungiert und mit polizeilichen Befugnissen ausgestattet ist

Ausarbeitung einer Reform des Rechtsschutzes mit dem Ziel der europa- und verfassungsrechtlich geforderten Unabhängigkeit der Kontrollinstanz und Prüfung einer Bündelung der Rechtsschutzbeauftragten

Versammlungsfreiheit

  • Taktische Kommunikation bei Versammlungen weiterentwickeln, inkl. Einrichtung szenekundiger Beamtinnen und Beamten für soziale Bewegungen (Organisatoren von Kundgebungen)
  • Evaluierung des Instruments der Schutzzonen
  • Prüfung der Verbesserung des Rechtsschutzes bei Untersagung von Versammlungen
  • Verstärkte Möglichkeit zum Einsatz von Drohnen bei Polizeieinsätzen im Rahmen von Fahndungsmaßnahmen
  • Verstärkter Einsatz von Body-Worn-Cameras und laufende Evaluierung zur weiteren Optimierung der Einsätze
  • Einführung einer bundesweiten Verwaltungsstrafevidenz für Angelegenheiten im Zuständigkeitsbereich des BMI (u.a. für Verkehrsstrafen)

Umweltrecht

Wirkungsvolle Strafen für Umweltsünderinnen und Umweltsünder sowie Verbände im Sinne des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes (VbVG); Harmonisierung des Abfallbegriffes

Die Bundesregierung wird das Vergaberecht als wichtiges Instrument zur Bekämpfung des Klimawandels nutzen. Dazu ist das Bestbieterprinzip um verbindliche ökologische Kriterien für die angebotenen Produkte und Dienstleistungen zu erweitern (z.B. öffentliche Bautätigkeit)

Anpassung des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes im Sinne der Rechtssicherheit an die Ergebnisse des Vertragsverletzungsverfahrens 2019/2224

  • Zur Vermeidung eines EuGH-Verfahrens und im Sinne der Rechtssicherheit werden verbindliche strategische Umweltprüfungen in den vom Vertragsverletzungsverfahren 2017/4072 abgedeckten Bereichen eingeführt.
  • Schaffung einer zentralen, digitalen Plattform für die Kundmachung von (umweltrechtlichen) bereits jetzt veröffentlichungspflichtigen Genehmigungsbescheiden;  diese Veröffentlichung soll die Rechtsmittelfrist und Stellungnahmefrist in (den umweltrechtlichen) Verfahren auslösen
  • Eine solche Kundmachungsplattform bringt für Behörden und Projektwerber Kosteneinsparungen und ermöglicht es Bürgerinnen und Bürgern, zeitnah Informationen für sie relevante Verfahren zu erhalten; die Verpflichtungen zur Auflage bleiben unberührt

Hier das Regierungsprogramm zum Downloaden …

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