Polen: Proteste gegen „Maulkorbgesetz“ für Richter

Unter dem Slogan „Heute die Richter und morgen du!“ protestierten in Polen tausende Bürger gegen ein geplantes „Maulkorbgesetz“ für Richter. Die Demonstranten befürchten, die nationalkonservative Regierung wolle kritische Richter mundtot machen.

„Freie Gerichte“ und „Wir werden siegen“ riefen die Menschen, die sich am Abend vor dem Gebäude des Parlaments in Warschau versammelt hatten. In rund hundert polnischen Städten gab es ebenfalls Proteste gegen einen Gesetzentwurf zur Disziplinierung von Richtern.

Der Streit um die Justizreformen der nationalkonservativen Regierungspartei PiS schwelt schon seit mehreren Jahren. Die EU-Kommission hat wegen der strittigen Reformen bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen die Regierung in Warschau eröffnet und Klagen beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) erhoben.

Keine Kritik erwünscht

Aktuell befeuert wird die Debatte durch einen neuen Gesetzentwurf, den die PiS-Fraktion in der vergangenen Woche ins Parlament eingebracht hatte. Wenn Richter die Legalität oder die Entscheidungskompetenz eines anderen Richters, eines Gerichts oder einer Kammer infrage stellen, dann müssen sie laut Entwurf künftig mit Geldstrafen, Herabstufung oder sogar mit Entlassung rechnen. Auch dürfen sie sich nicht politisch betätigen und müssen angeben, in welchen Berufsorganisationen und Bürgerinitiativen sie aktiv sind.

PiS-Gegner und Richterverbände sprechen von einem „Maulkorb-Erlass“. Sogar der wissenschaftliche Dienst des Parlaments, der die Rechtmäßigkeit von Gesetzentwürfen analysiert, warnte, der Entwurf verletze die juristische Unabhängigkeit und übergehe den Vorrang von EU-Recht.

Zunehmend stellen polnische Richter die Rechtmäßigkeit der Justizreformen infrage. Kürzlich hatte das Oberste Gericht geurteilt, die neue Disziplinarkammer verstoße gegen europäisches und polnisches Recht. Denn schon der Landesjustizrat, der die Disziplinarkammer besetzt hatte, sei nicht ausreichend unabhängig von Parlament und Regierung. Ähnlich hatte es zuvor der Europäische Gerichtshof bewertet, der die Sache dann an das Oberste Gericht Polens zurückverwiesen hatte.

Was folgt?

Das Urteil wirft weitere Fragen auf: Müssten die 500 Richter abgesetzt werden, die der Landesjustizrat in den vergangenen zwei Jahren ernannt hatte? Sind deren Urteile überhaupt rechtskräftig? Viele Rechtsexperten fürchten, dem polnischen Justizsystem droht bei der Klärung dieser Fragen ein großes Chaos.

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