Tausende Richter und Richterinnen, Juristen und Juristinnen und andere Bürger bzw. Bürgerinnen aus rund 20 Staaten Europas, darunter Österreich, haben am Freitag in Warschau gegen Gesetzespläne der polnischen Regierung protestiert, die die Unabhängigkeit der Justiz weiter einschränken könnten.
Der als „Marsch der tausend Roben“ angekündigte Solidaritätsmarsch durch das Stadtzentrum vom Obersten Gerichtshof zum Parlamentsgebäude richtete sich nach Angaben der polnischen Richtervereinigung Iustitia gegen Pläne der rechtskonservativen polnischen Regierung zur „Disziplinierung“ von Richtern.
Gegner kritisieren Regierungsplan
Die vom Parlament noch nicht endgültig beschlossene Gesetzesvorlage soll nach Ansicht der Gegner und Gegnerinnen dazu dienen, polnische Richter bzw. Richterinnen zu bestrafen, die sich kritisch über die Justizreformen der Regierung äußern.
Das Gesetzesvorhaben stehe damit in Widerspruch zu den Grundsätzen der Europäischen Union. Unter anderem sei darin vorgesehen, dass Richter und Richterinnen künftig mit Geldstrafen, Herabstufung oder Entlassung rechnen müssen, wenn sie die Legalität oder die Entscheidungskompetenz eines anderen Richters bzw. einer anderen Richterin, eines Gerichts oder einer Kammer infrage stellen.
Aus Österreich haben die Präsidentin der Richtervereinigung, Sabine Matejka und die Präsidentin der Vereinigung europäischer Verwaltungsrichter (AEAJ), Edith Zeller, sowie ein weiterer Kollege am Protestzug teilgenommen. Der Protest richte sich gegen die jüngsten „weiteren Schritte, um in die Unabhängigkeit der Rechtsprechung einzugreifen“, so Matejka.
„Ich bin eigens aus Wien nach Warschau gekommen“, erklärte Zeller, „um solidarisch mit den Polen und Polinnen gegen den Abbau des Rechtssystems zu protestieren.“ Zwar seien die Verwaltungsrichter noch nicht so betroffen wie die Richter in Straf- und Zivilgerichtsprozessen, doch „ohne die Freiheit und Unabhängigkeit der Richter gibt es keine Demokratie mehr“, so Zeller. „Das ist das Ende.“
Vor wenigen Wochen erst hatte das Oberste Gericht Polens ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg umgesetzt und in zwei Urteilen entschieden, dass das Richterwahlgremium – in seiner neuen Zusammensetzung „Neo-Landesjustizrat“ – kein von der aktuellen Politik unabhängiges Organ sei. Die inzwischen über 500 Richter-Berufungen durch das Gremium seien deshalb fragwürdig bis illegal.
Ist es schon zu spät?
Grundsätzlich können demnächst alle Urteile dieser vom Neo-Landesjustizrat ernannten Richter angefochten werden. In einem zweiten Urteil entschied das Oberste Gericht, dass die schon bestehende sogenannte Disziplinarkammer keine rechtlich wirksamen Strafen gegen Richter verhängen kann. Statt diese Urteile anzuerkennen und die fehlerhaften Gesetze nachzubessern, brachte die PiS aber als Antwort das neue Disziplinierungsgesetz auf den Weg.
„Wir haben in der Europäischen Union gemeinsame Rechtsstandards“, erklärt Zeller. „Wenn jetzt die polnischen Richter politisch unter Druck gesetzt werden und damit der Rechts-Standard Polens abgesenkt wird, werden die Urteile polnischer Gerichte in den anderen EU-Ländern nicht mehr anerkannt werden.“
Wenn Richter nicht mehr unabhängig – nach Recht und Gesetz – urteilen würden, sei das Vertrauen der Kollegen weg. Es würde dann zum Beispiel schwierig werden, Verdächtige an Polen auszuliefern, da diese dort womöglich kein faires Verfahren zu erwarten hätten. Mittel- und langfristig würde sich die fehlende Rechtssicherheit in Polen auch auf die Wirtschaft auswirken. „Die meisten Bürger werden wohl erst dann merken, was das Gesetz für sie bedeutet, wenn es zu spät ist“, so Zeller.
Die polnische Richtervereinigung rief über Twitter die Zivilgesellschaft auf, die Proteste die Richter zu unterstützten. Auch die Internationale Richtervereinigung „Judges4judges“ veröffentlichte zu den Protesten einen Beitrag auf Twitter.
Hier den Beitrag auf orf.at lesen …