Richterdienstrecht: Reform der Besetzungsverfahren vom Tisch, Greco-Empfehlungen weiter nicht umgesetzt

Der Reformeifer der Bundesregierung zur Umsetzung der GRECO-Empfehlungen ist nur von kurzer Dauer gewesen. War in der zur Begutachtung ausgesendeten Novelle zum Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz (RStDG) – unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den jüngsten GRECO-Umsetzungsbericht – noch vorgesehen worden, dass zukünftig Personalsenate die Besetzungsvorschläge für Präsident/in und Vizepräsident/in des OGH erstatten sollen und in die Übernahme in den richterlichen Vorbereitungsdienst eingebunden sind, ist in der nun ins Parlament eingebrachten Dienstrechts-Novelle 2022 davon keine Rede mehr. Damit hat Österreich nach wie vor nur zwei von neunzehn „GRECO“-  Empfehlungen umgesetzt (Siehe dazu: Österreich rutscht im Korruptionsindex weiter ab)

Siehe dazu auch: Dachverband der Verwaltungsrichter/innen fordert Reform bei der Besetzung von Leitungsfunktionen an den Verwaltungsgerichten

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VwGH Judikatur / VStG (verstärkter Senat): Kein übertriebener Formalismus bei Tatanlastung

Zuletzt hatte der Verwaltungsgerichtshof die formalen Anforderungen an eine Tatanlastung im Verwaltungsstrafverfahren deutlich erhöht. Der Gerichtshof hielt es für erforderlich, dass die Tatanlastung sowohl die Anführung der verletzten Verwaltungsvorschrift nach § 44a Z 2 VStG als die korrekte Fundstelle der angewendeten Gesetzesbestimmung nach § 44a Z 3 VStG enthält.

So werde dem Gebot der ausreichend deutlichen Angabe der Fundstelle der verletzten Verwaltungsvorschrift nur dann Rechnung getragen, wenn die Fundstelle jener Novelle angegeben werde, durch welche die als verletzt betrachtete Norm ihre zum Tatzeitpunkt gültige Fassung erhalten hat (VwGH vom 19.04.2022, Ra 2022/02/0024).

Maßstab sind Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte und die Gefahr der Doppelbestrafung

Von dieser Rechtsansicht ist der Verwaltungsgerichtshof nun durch einen verstärkten Senat abgegangen. Der Gerichtshof stellte klar, dass zur Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat gemäß § 44a Z 1 VStG eine Ungenauigkeit bei der Konkretisierung der Tat in Ansehung von Tatzeit und Tatort dann keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung habe, wenn dadurch keine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten und keine Gefahr der Doppelbestrafung bewirkt werde.

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COVID-19: Neuerungen bei Kontaktnachverfolgung und Verkehrsbeschränkungen

Der Gesundheitsausschuss brachte bereits am 8. Juni mit den Stimmen von ÖVP und Grünen zahlreiche Neuerungen im Epidemiegesetz und im COVID-19-Maßnahmengesetz auf den Weg. Um die Gesundheitsbehörden zu entlasten und flexibel auf Entwicklungen in der Pandemie reagieren zu können, soll der Gesundheitsminister etwa künftig Verkehrsbeschränkungen allgemein per Verordnung festlegen dürfen. In der Kontaktnachverfolgung sollen Gesundheitsbehörden künftig zu Spitzenzeiten priorisieren und einschränken dürfen. Weitere coronabedingte Sonderregelungen werden bis Ende des Jahres verlängert.

Änderungen im Epidemiegesetz und im COVID-19-Maßnahmengesetz

Durch einen umfassenden Abänderungsantrag haben ÖVP und Grüne zahlreiche Neuerungen im Epidemiegesetz und im COVID-19-Maßnahmengesetz auf den Weg gebracht. Eine wesentliche Änderung betrifft die Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsbehörden. Die Omikron-Welle im Frühjahr 2022 habe gezeigt, dass die Fallabklärung bei sehr hohen Infektionszahlen an ihre Grenzen stoße. Eine durchgängige Kontaktnachverfolgung sei auch bei mehr Ressourcen nicht möglich. Deshalb sollen Gesundheitsbehörden künftig die Fallabklärung einschränken und priorisieren dürfen – allerdings nur, wenn sie den Aufwand objektiv nicht bewältigen können, etwa während Spitzen von Infektionswellen.

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VfGH: Die Impfpflicht ist verfassungskonform – weil sie nicht gilt

Der Verfassungsgerichtshof hat angesichts der geltenden „Nichtanwendungsverordnung“ keine verfassungsrechtlichen Bedenken wegen der Impfpflicht. Sie schütze vulnerable Personen.

Angesichts der „derzeit geltenden Covid-19-Nichtanwendungsverordnung […] bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die zulässigerweise angefochtenen Bestimmungen“, ist in dem gestern veröffentlichen Erkenntnis zu lesen.

Ursprünglich ist die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zur Impfpflicht mit Spannung erwartet worden. Das umstrittene Gesetz war zwar am 4. Februar in Kraft getreten, schlagend wurde es aber nie. Unmittelbar vor dem mit Strafen verbundenen „Scharfstellen“ am 16. März wurde die Impfpflicht ausgesetzt, sie sei angesichts der epidemiologischen Lage nicht verhältnismäßig. Vergangenen Donnerstag, 23. Juni, gab die Regierung schließlich bekannt, dass die Impfpflicht gegen das Coronavirus endgültig abgeschafft wird.

Impfpflicht „schwerer Eingriff“ in körperliche Integrität

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Rechtsstaatlichkeit in der EU: Innsbrucker Gespräche zum Europäischen und internationalen Recht

Im Sommersemester 2022 veranstaltet das Institut für Europarecht und Völkerrecht wieder die Innsbrucker Gespräche zum Europäischen und Internationalen Recht (IGEIR).

Die IGEIR sind ein Diskussionsforum für alle, die sich für die Herausforderungen der Internationalisierung und Europäisierung der Rechtsordnung interessieren. Eingeladen sind neben Universitätsangehörigen und Studierenden auch PraktikerInnen sowie die allgemeine Öffentlichkeit.

Termin: Donnerstag, 30. Juni 2022 um 18:30 Uhr (Universität, Campus Innrain 52e, EG)

Referentin ist Mag. Dr. Christine PESENDORFER, Leiterin der Abt. Europäisches und Internationales Recht, Menschenrechtsschutz im Verfassungsdienst, Bundeskanzleramt, Wien zum Thema: „Rechtsstaatlichkeit in der EU – aktuelle Entwicklungen“.

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Rezension: „Die Praxis der justiziellen Interaktion im Bereich der Grundrechte – Der Mehrwert der Charta der Grundrechte der EU“

Eine in englischer Sprache erschienene Publikation (Originaltitel: „The Practice of Judicial Interaction in the Field of Fundamental Rights – The Added Value of the Charter of Fundamental Rights of the EU“) beschäftigt sich umfassend mit dem Anwendungsbereich der Grundrechte-Charta und dem Ausmaß, in dem sie für die nationale Rechtsprechung verbindlich ist. Zu diesem Zweck wird in erster Linie der Rechtsprechung des EuGH Rechnung getragen, aber auch der nationalen Rechtsprechung wird große Aufmerksamkeit geschenkt. Die Publikation ist Ergebnis des EU-Projektes (ACTIONES).

Univ. Prof. Peter Hilpold (Universität Innsbruck) gibt in einer im Verlag Österreich erschienen Rezession einen umfassenden Überblick über die 34 Beiträge von Richter*innen und Rechtswissenschaftler*innen aus ganz Europa. Auch Österreich ist durch Beiträge von Markus Thoma (Verwaltungsgerichtshof) und Edith Zeller (Verwaltungsgericht Wien) vertreten. Ihrem Beitrag, welcher Aspekte des österreichischen Justizsystem mit dem ungarischen Justizsystem vergleicht und  in welchem das Auswahl- und Ernennungsverfahren für die Präsident*innen der Verwaltungsgerichte als intransparent und politisch beeinflussbar kritisiert wird, schenkt Prof. Hilpold besondere Aufmerksamkeit.

Hilpold verweist auch auf die Notwendigkeit auf Tendenzen, die die Rechtsstaatlichkeit in einigen „neuen“ EU-Mitgliedstaaten auf sehr ernste Weise zu untergraben scheinen, entschieden zu reagieren. Aber für die übrigen EU-Mitgliedstaaten gebe es keinen Grund, sich zurückzulehnen oder andere Länder übermäßig zu belehren.

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Judikatur / EuGH – Sozialpolitik: Indexierung der Familienbeihilfe verstößt gegen EU-Recht

Seit 2019 passt Österreich für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Kinder sich ständig in einem anderen EU-Mitgliedstaat aufhalten, die Familienbeihilfe sowie verschiedene steuerliche Vergünstigungen nach oben oder unten an – je nach Preisniveau des Landes.

Das Bundesfinanzgericht hatte im Jahr 2020 zur Frage, ob es EU-Recht widerspricht, die Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder von EU-Bürgern an das dortige Preisniveau anzupassen, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gestellt. Anlassfall war die Beschwerde einer tschechischen Grenzpendlerin. Die Frau hat zwei Kinder, lebt mit ihrer Familie in Tschechien, arbeitet aber in Österreich. Aufgrund der im Jahr 2018 beschlossenen Indexierung hat das Finanzamt ihre Familienbeihilfe 2019 gekürzt. Dagegen war Beschwerde an das BFG erhoben worden.

Auch nach Auffassung der EU-Kommission verletzte die Indexierung der Familienbeihilfe den europäischen Gleichheitsgrundsatz. Der EuGH hat bereits 1986 Frankreich eine ähnliche Maßnahme untersagt. Die Kommission hatte aus diesem Grund ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet.

Anpassungsmechanismus ist mittelbare Diskriminierung

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„Whistleblower“-Gesetz in Begutachtung

Mit dem ausgesendeten Entwurf eines HinweisgeberInnenschutzgesetzes soll die Richtlinie 2019/1937/EU zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Whistleblower-Richtlinie), umgesetzt werden.

Vorrangiges Ziel des Gesetzes ist die Schaffung interner und externer Meldestellen für den privaten und öffentlichen Sektor zur Hinweisgebung sowie Schutzmaßnahmen für Hinweisgeber gegen Vergeltungsmaßnahmen. Dazu werden eigene Verwaltungsstraftatbestände geschaffen.

Die Bundesdisziplinarbehörde soll für alle Verwaltungsstellen des Bundes zur gemeinsamen internen Meldestelle werden, ausgenommen das BM für Justiz und das BM für Landesverteidigung. Diese sind jeweils gemeinsame interne Stelle. Die Meldestellen haben die näheren Bedingungen für die Einrichtung des internen Hinweisgebersystems festzulegen.

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LVwG Steiermark: Kontrollen an Grenze zu Slowenien rechtswidrig

Die seit dem Jahr 2017 von den Sicherheitsbehörden vollzogenen Kontrollen an Österreichs Grenze zu Slowenien waren rechtswidrig, befand das Landesverwaltungsgericht Steiermark in einem am 1. Juni ergangenen Urteil. Das Urteil ist die logische Folge eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 26. April, welches vom LVwG um Vorabentscheidung dieser Rechtsfrage ersucht wurde.

„Der gegenüber dem Beschwerdeführer geäußerte Befehl auf Herausgabe des Reisepasses im Zuge einer Grenzkontrolle unter Androhung einer strafrechtlichen Sanktion war damit ohne gesetzliche Grundlage rechtswidrig“, heißt es in dem Urteil. „Der Beschwerdeführer wurde durch die Ausübung der Befehlsgewalt in seinem Grundrecht auf freien Personenverkehr als Unionsbürger verletzt.“

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Asyl- und Femdenrecht: Verwaltungsgerichtshof bestätigt rechtswidrige „Push backs“ durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in der Steiermark

Der Verwaltungsgerichtshof hat eine Revision der Landespolizeidirektion Steiermark gegen ein Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark zurückgewiesen, mit dem die Rechtswidrigkeit der Zurückschiebung eines Fremden als erwiesen angesehen wurde (Ra 2021/21/0274).

Der VwGH hält in seinem Beschluss fest, die vom Landesverwaltungsgericht Steiermark getroffene Annahme, dass der Fremde in Anbetracht der ihm bekannten möglichen Zurückweisung an der Grenzkontrollstelle Sicheldorf sein Verlangen nach Asyl in hörbarer Weise kundgetan habe, könne „nicht als unschlüssig angesehen werden“. Die beteiligten Sicherheitsorgane hätten sich „mit der Vermutung einer beabsichtigten Durchreise begnügt (…), ohne ihn nach dem Zweck seiner Einreise zu fragen“.

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