Letzte Woche wurde in den Medien breit über den Rechnungshof-Prüfbericht zum Bundesverwaltungsgericht für die Jahre 2018 bis 2021 berichtet. Zentraler Punkt war die Kritik an einer überlangen Dauer der Gerichtsverfahren.
„Aus Sicht des Rechnungshofs wurde das Ziel der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle, mit der Einführung des BVwG die Verfahren zu beschleunigen, bislang nicht erreicht.“ konstatiert der Prüfbericht. Und: „Die gesetzliche Verpflichtung zu einer Verfahrensdauer von maximal sechs Monaten wird häufig nicht eingehalten, in den Jahren 2020 und 2021 gelang das nur in 37 Prozent der Fälle.“
Überlastung der Verwaltungsgerichte mit Asyl- und Fremdenverfahren als europäisches Problem
Ein Großteil der Belastung des Bundesverwaltungsgerichts entfiel im Prüfungszeitraum auf Asyl- und Fremdenverfahren, die Zahl der offenen Verfahren überschritt im Jahr 2019 die 40.000er-Marke. (Siehe dazu: 75 Prozent der Asyl-Verfahren gehen zum Bundesverwaltungsgericht). Hier lohnt sich ein Blick in andere EU-Staaten, um ein ganzes Bild der Problematik zu bekommen.
Bereits im Jahr 2017 war die Flüchtlingskrise beherrschendes Thema bei der Generalversammlung der Vereinigung Europäischer Verwaltungsrichter (AEAJ) in Athen. Es wurde erhoben, dass neben Österreich auch in Griechenland, Italien, Deutschland und Schweden eine massive Belastung der Verwaltungsgerichte durch Asylverfahren zu verzeichnen ist. So registrierte allein Schweden im Jahr 2016 rund 45.000 unbegleitete jugendliche Asylwerber.
Diskutiert wurde auf Europäischer Ebene, welche Strategien zur Unterstützung der Verwaltungsgerichte am zielführendsten sind, gleichzeitig wurde über Vorhaben in einigen Mitgliedsstaaten berichtet, unter dem Vorwand der Verfahrensbeschleunigung rechtsstaatliche Standards im Asyl- und Fremdenrecht abzubauen (Siehe dazu: Europäische Verwaltungsrichter- Migration belastet Verwaltungsgerichte immer stärker).
In Deutschland rechnete der Bund Deutscher Verwaltungsrichter (BDVR) im Jahr 2018 damit, dass die Bewältigung der in den vergangenen Jahren bei den Verwaltungsgerichten eingegangenen Verfahren noch einige Jahre in Anspruch nehmen werde, die Einschätzung, das zusätzlich zur Verfügung gestellte Personal könne in ein bis zwei Jahren wieder abgezogen werden, sei schlicht falsch.
Sabine Lotz–Schimmelpfennig, Richterin am Bayrischen Verwaltungsgerichtshof und Vorsitzende der bayrischen Verwaltungsrichtervereinigung, berichtet beim Maiforum 2018 in Salzburg, statistisch gesehen habe in Deutschland jeder Verwaltungsrichter mehr als 1.000 offene Asylverfahren. Einschränkungen der Qualität des Rechtsschutzes im Asylbereich würden aber von der Richterschaft massiv abgelehnt (Siehe dazu: „Wie umgehen mit versuchten Einflussnahmen, gesellschaftspolitischen Umbrüchen und steigendem Arbeitsdruck?“)
Standesvertretungen machen Druck
Im August 2019 fand in Wien ein Treffen der im Dachverband der Verwaltungsrichter (DVVR) vertretenen Verwaltungsrichtervereinigungen mit dem damaligen Vizekanzler und Justizminister Clemens Jabloner statt, bei dem die Forderungen und Anliegen der Standesvertretungen vorgetragen wurden. Im Hinblick auf die prekäre Belastungs- und Planstellensituation am Bundesverwaltungsgericht befürwortete der Vizekanzler die vom Verein der Richter/innen des Bundesverwaltungsgerichtes geforderten Sofortmaßnahmen.
Diese Forderungen fanden dann tatsächlich auch Niederschlag im Wahrnehmungsbericht des Justizministers im November 2019, in dem ein Stopp des geplanten Abbaus von Planstellen („Planstellenrückführung“) vorgeschlagen und zusätzlich Planstellen für richterliches und nichtrichterliches Personal gefordert wurden (Siehe dazu: Wahrnehmungsbericht des Justizministers bestätigt Forderungen des Dachverbandes der Verwaltungsrichter)
Auch der scheidende Präsident des BVwG, Harald Perl, räumte Ende letzten Jahres in einem Interview im „Standard“ ein, dass bis zum Jahr 2019 der Anfall neuer Verfahren die Arbeitskapazität des BVwG nahezu um das Doppelte überstiegen hatte.
Damit ergibt sich schon aus der Chronologie der Ereignisse, dass die Unterstützungsmaßnahmen für das BVwG schlicht zu zögerlich und zu spät ergriffen wurden. Dass diese Maßnahmen letztendlich zielführend waren, zeigt nicht zuletzt der Umstand, dass es dem BVwG – ungeachtet allfälliger organisatorischer Mängel – gelungen ist, innerhalb von nur drei Jahren die Zahl offener Verfahren auf rund 11.000 Verfahren zu senken.
Bedenken gegen Auswahlverfahren
Aufgriffen hat der Rechnungshof im Prüfbericht auch die vom DVVR wiederholt geäußerte Kritik an den Besetzungsverfahren für die Leitungspositionen an den Verwaltungsgerichten. Auch der Rechnungshof kritisierte, dass beim BVwG – im Gegensatz zur ordentlichen Gerichtsbarkeit, wo dies fast ausnahmslos für alle richterlichen Ernennungsverfahren der Fall ist – richterliche Personalgremien in die Besetzung der Präsidentin beziehungsweise des Präsidenten und der Vizepräsidentin beziehungsweise des Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts nicht eingebunden sind. Der Rechnungshof verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Bedenken gegen diese Art von Bestellung, welche auch die Europäische Kommission in Berichten über die Rechtsstaatlichkeit in Österreich geäußert hat.
Verpflichtende Grundausbildung und Weiterbildung?
Wie im Forderungsprogramm des DVVR „AGENDA VG 2022“ festgestellt, besteht für die Verwaltungsgerichte in der Praxis bei der Auswahl neuer Bewerber die größte Herausforderung darin, mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen die fachliche und persönliche Eignung neuer Bewerber ausreichend überprüfen zu können. Auf eine Verbesserung dieser Situation zielt der Vorschlag des DVVR zur Entwicklung eines gemeinsamen Richterbildes und damit verbunden zur Vertiefung einer gemeinsamen Aus- und Fortbildung von Justiz- und Verwaltungsrichtern ab, welche – im Einklang mit den Europäischen Rechtsschutzstandards – einer unabhängigen und gesetzlich geregelten Richterakademie übertragen werden sollten.
Bis zu Beginn der Corona-Pandemie hatte das Justizministerium gemeinsam mit den richterlichen Standesvertretungen Vorschläge für eine Vereinheitlichung des Berufsbildes und damit für eine Durchlässigkeit zwischen ordentlicher Gerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit erarbeitet. Diese Reform ist aber ins Stocken geraten. Vielleicht wird dieser Reformprozess durch den RH-Prüfbericht wiederbelebt.