Judikatur
VwGH Judikatur / VStG (verstärkter Senat): Kein übertriebener Formalismus bei Tatanlastung
Zuletzt hatte der Verwaltungsgerichtshof die formalen Anforderungen an eine Tatanlastung im Verwaltungsstrafverfahren deutlich erhöht. Der Gerichtshof hielt es für erforderlich, dass die Tatanlastung sowohl die Anführung der verletzten Verwaltungsvorschrift nach § 44a Z 2 VStG als die korrekte Fundstelle der angewendeten Gesetzesbestimmung nach § 44a Z 3 VStG enthält.
So werde dem Gebot der ausreichend deutlichen Angabe der Fundstelle der verletzten Verwaltungsvorschrift nur dann Rechnung getragen, wenn die Fundstelle jener Novelle angegeben werde, durch welche die als verletzt betrachtete Norm ihre zum Tatzeitpunkt gültige Fassung erhalten hat (VwGH vom 19.04.2022, Ra 2022/02/0024).
Maßstab sind Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte und die Gefahr der Doppelbestrafung
Von dieser Rechtsansicht ist der Verwaltungsgerichtshof nun durch einen verstärkten Senat abgegangen. Der Gerichtshof stellte klar, dass zur Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat gemäß § 44a Z 1 VStG eine Ungenauigkeit bei der Konkretisierung der Tat in Ansehung von Tatzeit und Tatort dann keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung habe, wenn dadurch keine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten und keine Gefahr der Doppelbestrafung bewirkt werde.
VfGH: Die Impfpflicht ist verfassungskonform – weil sie nicht gilt
Der Verfassungsgerichtshof hat angesichts der geltenden „Nichtanwendungsverordnung“ keine verfassungsrechtlichen Bedenken wegen der Impfpflicht. Sie schütze vulnerable Personen.
Angesichts der „derzeit geltenden Covid-19-Nichtanwendungsverordnung […] bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die zulässigerweise angefochtenen Bestimmungen“, ist in dem gestern veröffentlichen Erkenntnis zu lesen.
Ursprünglich ist die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zur Impfpflicht mit Spannung erwartet worden. Das umstrittene Gesetz war zwar am 4. Februar in Kraft getreten, schlagend wurde es aber nie. Unmittelbar vor dem mit Strafen verbundenen „Scharfstellen“ am 16. März wurde die Impfpflicht ausgesetzt, sie sei angesichts der epidemiologischen Lage nicht verhältnismäßig. Vergangenen Donnerstag, 23. Juni, gab die Regierung schließlich bekannt, dass die Impfpflicht gegen das Coronavirus endgültig abgeschafft wird.
Impfpflicht „schwerer Eingriff“ in körperliche Integrität
LVwG Steiermark: Kontrollen an Grenze zu Slowenien rechtswidrig
Die seit dem Jahr 2017 von den Sicherheitsbehörden vollzogenen Kontrollen an Österreichs Grenze zu Slowenien waren rechtswidrig, befand das Landesverwaltungsgericht Steiermark in einem am 1. Juni ergangenen Urteil. Das Urteil ist die logische Folge eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 26. April, welches vom LVwG um Vorabentscheidung dieser Rechtsfrage ersucht wurde.
„Der gegenüber dem Beschwerdeführer geäußerte Befehl auf Herausgabe des Reisepasses im Zuge einer Grenzkontrolle unter Androhung einer strafrechtlichen Sanktion war damit ohne gesetzliche Grundlage rechtswidrig“, heißt es in dem Urteil. „Der Beschwerdeführer wurde durch die Ausübung der Befehlsgewalt in seinem Grundrecht auf freien Personenverkehr als Unionsbürger verletzt.“
Asyl- und Femdenrecht: Verwaltungsgerichtshof bestätigt rechtswidrige „Push backs“ durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in der Steiermark
Der Verwaltungsgerichtshof hat eine Revision der Landespolizeidirektion Steiermark gegen ein Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark zurückgewiesen, mit dem die Rechtswidrigkeit der Zurückschiebung eines Fremden als erwiesen angesehen wurde (Ra 2021/21/0274).
Der VwGH hält in seinem Beschluss fest, die vom Landesverwaltungsgericht Steiermark getroffene Annahme, dass der Fremde in Anbetracht der ihm bekannten möglichen Zurückweisung an der Grenzkontrollstelle Sicheldorf sein Verlangen nach Asyl in hörbarer Weise kundgetan habe, könne „nicht als unschlüssig angesehen werden“. Die beteiligten Sicherheitsorgane hätten sich „mit der Vermutung einer beabsichtigten Durchreise begnügt (…), ohne ihn nach dem Zweck seiner Einreise zu fragen“.
Corona-Maßnahmen: Deutsches Bundesverfassungsgericht billigt „Pflege“-Impfpflicht
Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen die Pflicht zum Nachweis einer Impfung gegen COVID-19 (sogenannte „einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht“)
Während im deutschen Bundestag die Einführung einer allgemeinen Coronaimpfpflicht keine Mehrheit gefunden hat, hat das Bundesverfassungsgericht eine wichtige Entscheidung bezüglich der einrichtungsbezogenen Impfpflicht verkündet: Das Gericht hat die Pflege-Impfpflicht bestätigt und eine Verfassungsbeschwerde gegen entsprechende Teile des Infektionsschutzgesetzes zurückgewiesen.
Der Europäische Gerichtshof will den Zugang der Öffentlichkeit zu seiner Rechtsprechungstätigkeit erleichtern.
Zugang zum Recht: EuGH überträgt Urteilsverkündungen live im Internet
Hierzu bietet er seit dem 26.04.2022 einen Streamingdienst an. Die Verkündung der Urteile des EuGH und die Verlesung der Schlussanträge der Generalanwälte werden auf der Website des Gerichtshofs live übertragen. Die Übertragung startet laut EuGH jeweils zu Beginn der Sitzungen entsprechend den im Gerichtskalender angegebenen Zeiten. Die mündlichen Verhandlungen in Rechtssachen der Großen Kammer des Gerichtshofs werden während einer Pilotphase von sechs Monaten grundsätzlich ebenfalls – zeitversetzt – übertragen.
Die Sitzungen können entweder am selben Tag ab 14.30 Uhr (bei vormittags stattfindenden Sitzungen) oder am folgenden Tag ab 9.30 Uhr (bei nachmittags stattfindenden Sitzungen) verfolgt werden, sind jedoch anschließend nicht mehr abrufbar.
Judikatur VfGH / Symbole-Gesetz: Die erwartete Verwendung eines verbotenen Symbols allein ist nicht ausreichend, um eine Versammlung zu untersagen
Die Landespolizeidirektion Wien hatte eine im März 2021 angezeigte „Kundgebung für Frieden und Demokratie in Kurdistan“ untersagt, da die öffentliche Zurschaustellung der vom Symbole-Gesetz verbotenen Symbole der PKK (Kurdischen Arbeiterpartei) zu erwarten sei und dieses Verbot auch von der Versammlungsbehörde zu beachten sei.
Die Beschwerde beim VfGH richtete sich gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, in dem dieses die Untersagung für rechtmäßig befunden hatte. Das Verwaltungsgericht Wien war davon ausgegangen, dass das Symbole-Gesetz ein unmittelbar wirksames, auch von der Versammlungsbehörde zu beachtendes Verbot enthalte. Das Verbot nach dem Symbole-Gesetz, ein bestimmtes Symbol zu verwenden, habe für die Untersagung einer Versammlung eine bestimmte Indizwirkung.
Judikatur VfGH / COVID-19-Schutzmaßnahmen: Lockdown für ungeimpfte/nicht genesene Personen im November 2021 war gerechtfertigt
Auch Zugangsregel für Nachtgastronomie verstieß nicht gegen Gleichheitsgrundsatz.
Die vom 15. bis zum 21. November 2021 geltende 5. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung, die einen Lockdown für ungeimpfte und nicht genesene Personen sowie einen 2G-Nachweis für bestimmte Orte vorsah, war weder gesetz- noch verfassungswidrig. Er war sachlich gerechtfertigt und hat nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen, stellte der Verfassungsgerichtshof in seinen jüngst veröffentlichten Erkenntnissen fest. Auch die Regelung für die Nachtgastronomie vom Sommer 2021 bestand vor dem VfGH.
Im April wird vom VfGH über den zweiten, längeren Lockdown für ungeimpfte Personen im vergangenen Winter beraten.
Durch Lockdown wurde Überlastung des Gesundheitssystems vermieden
Judikatur VwGH / Maskenpflicht: Die Behörde ist berechtigt, ärztliche Atteste zu überprüfen
Im vorliegenden Fall nahm im Jänner 2021 ein Mann an einer Versammlung teil, ohne einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, obwohl bei der Versammlung der Mindestabstand nicht eingehalten werden konnte. Als ihn die zuständige Bezirkshauptmannschaft zur Rechtfertigung aufforderte, legte der Mann ein ärztliches Attest vom September 2020 vor, wonach ihm aus gesundheitlichen Gründen das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes nicht zumutbar gewesen sei. Die Behörde hegte jedoch Zweifel an diesem Attest.
Laut Auskunft der Ärztekammer für die Steiermark seien nämlich Atteste des Arztes, der das Attest des Mannes ausgestellt hatte, ab Oktober 2020 jedenfalls ungültig, weil ihm ab diesem Zeitpunkt die Ausübung des Arztberufes untersagt worden sei. Hinsichtlich jener Atteste, die vor der Berufsuntersagung ausgestellt worden seien (wie das des Mannes), bestünden aufgrund des Umstandes, wie man die Atteste des Arztes im Internet habe bestellen können, und auch aufgrund öffentlicher Aussagen des Arztes erhebliche Zweifel, ob die Atteste den Anforderungen des § 55 Ärztegesetzes entsprechen.