Meinungsfreiheit: EGMR stärkt Anonymität im Netz

Österreichische Gerichte zwangen eine Zeitung rechtswidrig, die Identität von Nutzern ihres Online-Forums nach beißender Kritik an einer politischen Partei preiszugeben.

„Abschreckende Wirkung“ auf öffentliche Debatte

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat entschieden, dass Österreich mit nationalen Urteilen zur Herausgabe persönlicher Daten von Nutzern eines Online-Diskussionsforums der Zeitung „Standard“ gegen die in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Meinungsfreiheit verstoßen hat. Die Straßburger Richter betonten, dass eine Pflicht zur Offenlegung von Informationen über die User „eine abschreckende Wirkung“ auf die öffentliche Debatte hätte.

In der Auseinandersetzung ging es um die Preisgabe der Identität von drei Foren-Teilnehmern, deren Beiträge aus den Jahren 2011 bis 2013 unter anderem den österreichischen Rechtspopulisten Herbert Kickl (FPÖ) sowie die Freiheitlichen in Kärnten, eine Landesgruppe der FPÖ, zu Klagen veranlasst hatten. Die Verlagsgesellschaft hatte die Kommentare, in denen rechtsgerichtete Politiker mit Korruption oder Neonazis in Verbindung gebracht wurden, zwar geprüft und entfernt. Sie weigerte sich aber, die persönlichen Daten der Verfasser der Postings preiszugeben.

Offene Diskussion fördern

Der Oberste Gerichtshof (OGH) in Wien urteilte 2014 in letzter Instanz, dass der „Standard“ die Nutzerdaten wegen der Beiträge herausgeben muss. Die Verlagsgruppe legte daraufhin 2015 Beschwerde beim EGMR ein. Sie argumentierte, die Kommentare seien zulässige kritische Werturteile im politischen Zusammenhang. Es handle sich nicht um einen rechtlich unzulässigen „Wertungsexzess“. Die Beiträge basierten in wesentlichen Punkten auf nachweisbaren Tatsachen. Das Urteil zur Preisgabe der Identitäten verletze nicht nur die Meinungs- und Informationsfreiheit, sondern auch das Redaktionsgeheimnis.

Der EMGR entschied nun auf den Antrag mit der Nummer 39378/15 hin, dass eine übergeordnete Funktion des klagenden Medienunternehmens darin bestehe, die offene Diskussion zu fördern und einschlägige Ideen zu verbreiten. Dies sei durch die Pressefreiheit geschützt. Dem stünde die Offenlegung der Nutzerinformationen entgegen. Die entsprechende Weigerung verfolge das legitime Ziel, „den Ruf anderer zu schützen“.

„Kein absolutes Recht auf Online-Anonymität“

Die Richter weisen darauf hin, dass die Menschenrechtskonvention „kein absolutes Recht auf Online-Anonymität“ vorsehe. Das Verbergen von Identitäten sei jedoch seit Langem ein Mittel, „um Repressalien oder unerwünschte Aufmerksamkeit zu vermeiden“. Dieses Instrument sei geeignet, „den freien Fluss von Meinungen, Ideen und Informationen zu fördern, insbesondere auch im Internet“. Presseorganen müsse es daher möglich sein, Anonymität mit eigenen Mitteln wirksam zu verteidigen.

Bei den fraglichen Äußerungen handle es sich weder um Hassrede noch um Aufrufe zur Gewalt, stellt der EGMR klar. Es wäre Aufgabe der nationalen Gerichte gewesen, die konkurrierenden Interessen abzuwägen. Sie hätten dies aber nicht getan, wobei insbesondere der OGH nicht einmal Gründe angeführt habe, warum die Belange der Kläger die des Unternehmens an der Geheimhaltung der Identität der Nutzer überwiegen sollten.

Hier den ganzen Beitrag auf heise.de lesen …

Hier geht’s zum Urteil des EGMR Nr. 39378/15 vom 07.12.2021 …

 

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