EuGH weist Klagen Ungarns und Polens gegen den Rechtsstaatsmechanismus ab

Das Plenum des Gerichtshofs weist die Klagen Ungarns und Polens gegen den Konditionalitätsmechanismus ab, der den Erhalt von Mitteln aus dem Unionshaushalt davon abhängig macht, dass die Mitgliedstaaten die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit einhalten. Der EuGH entschied, dass dieser Mechanismus, die Auszahlung von EU-Geldern an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen, auf einer geeigneten Rechtsgrundlage erlassen wurde, mit dem Verfahren nach Art. 7 EUV vereinbar ist und insbesondere im Einklang mit den Grenzen der Zuständigkeiten der Union sowie mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit steht.

Am 16. Dezember 2020 erließen das Parlament und der Rat die Verordnung (EU, Euratom) 2020/2092, mit der eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union bei Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat eingeführt wird. Zur Erreichung dieses Ziels kann der Rat nach der genannten Verordnung auf Vorschlag der Kommission Schutzmaßnahmen wie etwa die Aussetzung der zulasten des Haushalts der Union gehenden Zahlungen oder die Aussetzung der Genehmigung eines oder mehrerer aus Haushaltsmitteln der Union finanzierter Programme treffen.

Ungarn und Polen haben vor dem Gerichtshof jeweils Klage auf Nichtigerklärung dieser Verordnung erhoben. Dabei haben sie u. a. geltend gemacht, dass es im EU- und im AEU-Vertrag keine geeignete Rechtsgrundlage gebe, dass das in Art. 7 EUV vorgesehene Verfahren umgangen werde, dass die Zuständigkeiten der Union überschritten würden und dass ein Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit vorliege. Zur Stützung ihres Vorbringens haben Ungarn und Polen auf ein vertrauliches Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates verwiesen, das sich auf den ursprünglichen Vorschlag bezieht, aus dem die Verordnung hervorgegangen ist.

Der Gerichtshof erachtet dies ungeachtet der Einwände des Rates für zulässig, weil die Transparenz des Gesetzgebungsverfahrens ein überwiegendes öffentliches Interesse begründet. In den beiden Rechtssachen haben sich Ungarn und Polen gegenseitig unterstützt, während Belgien, Dänemark, Deutschland, Irland, Spanien, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, Finnland, Schweden und die Kommission als Streithelfer zur Unterstützung des Parlaments und des Rates aufgetreten sind. Auf Antrag des Parlaments hat der Gerichtshof diese Rechtssachen im beschleunigten Verfahren behandelt. Außerdem sind die Rechtssachen an das Plenum des Gerichtshofs verwiesen worden, weil sie eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfen, nämlich inwieweit die Union nach den Verträgen die Möglichkeit hat, ihren Haushalt und ihre finanziellen Interessen davor zu schützen, dass in den Mitgliedstaaten gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verstoßen wird.

Der Gerichtshof stellt als Erstes hinsichtlich der Rechtsgrundlage der Verordnung fest, dass das in der Verordnung vorgesehene Verfahren nur dann eingeleitet werden kann, wenn hinreichende Gründe nicht nur für die Feststellung vorliegen, dass in einem Mitgliedstaat gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verstoßen wird, sondern vor allem auch für die Feststellung, dass diese Verstöße die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz ihrer finanziellen Interessen hinreichend unmittelbar beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen. Zudem beziehen sich die Maßnahmen, die nach der Verordnung getroffen werden können, ausschließlich auf die Ausführung des Haushaltsplans der Union und sind allesamt darauf ausgerichtet, die aus dem Unionshaushalt stammenden Mittel in Abhängigkeit davon zu begrenzen, wie stark sich eine solche Beeinträchtigung bzw. ernsthaft drohende Beeinträchtigung auf diesen Haushalt auswirkt. Folglich besteht das Ziel der Verordnung darin, den Unionshaushalt vor Beeinträchtigungen zu schützen, die sich hinreichend unmittelbar aus Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit ergeben, und nicht etwa darin, derartige Verstöße als solche zu ahnden.

Insoweit weist der Gerichtshof darauf hin, dass das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten darauf beruht, dass diese die gemeinsamen Werte achten, auf die sich die Union gründet. Diese Werte haben die Mitgliedstaaten festgelegt, und sie sind ihnen gemeinsam. Sie geben der Union als Rechtsgemeinschaft der Mitgliedstaaten schlechthin ihr Gepräge. Zu ihnen zählen Rechtsstaatlichkeit und Solidarität. Da die Achtung der gemeinsamen Werte somit eine Voraussetzung für den Genuss all jener Rechte ist, die sich aus der Anwendung der Verträge auf einen Mitgliedstaat ergeben, muss die Union auch in der Lage sein, diese Werte im Rahmen der ihr übertragenen Aufgaben zu verteidigen.

Hier geht’s zur Pressemitteilung des EuGH …

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