Asylverfahren (6): Überlastete Verwaltungsgerichte – „Verfassungsrechtlich bedenklich“

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Deutschlands Verwaltungsgerichte sind überlastet. Immer mehr Asylverfahren führen zu horrenden Wartezeiten bei anderen Klagen. „Verfassungsrechtlich bedenklich“, sagt ein Experte.

von Kevin Schubert (ZDF heute)

Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Während sich die Zahl der Verfahren damit verfünffacht hat, hat sich die Zahl der Richter bundesweit kaum verändert. In manchen Bundesländern ist sie sogar stagniert.

„Die Personalausstattung ist an einer Grenze angekommen, von der ich sagen würde, dass sie inzwischen verfassungsrechtlich bedenklich ist“, sagt Wilfried Kirkes vom Bund Deutscher Verwaltungsrichter des Landes Brandenburg. „Ich sehe uns minderausgestattet.“ Und: „Die Vorgaben des Landesverfassungsgerichts, wie und wie schnell Verfahren zu bewältigen sind, können wir schon lange nicht mehr erfüllen.“ Der Justiz als dritter Staatsgewalt werde nicht mehr eingeräumt, ihren Aufgaben nachkommen.

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VwGH Judikatur / Verfahrensrecht: Säumnisbeschwerde und nachgeholter Bescheid

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 19.09.2017, Ro 2017/20/0001, ausführlich mit dem seit 1.1.2014 geltenden Säumnisbeschwerdeverfahren auseinander gesetzt (§ 8 VwGVG).

Der Gerichtshof führt dazu aus, dass bei Verstreichen der behördlichen Entscheidungsfrist und dem Erheben einer zulässigen und berechtigten Säumnisbeschwerde der Behörde  die Nachfrist von 3 Monaten zum Nachholen der Entscheidung ohne weiteres Verfahren ex lege zur Verfügung steht (§ 16 Abs. 1 VwGVG). Verstreicht auch die Nachfrist ungenützt oder legt die Behörde die Beschwerde dem Verwaltungsgericht vor, geht die Entscheidungspflicht – unwiderruflich – auf das Verwaltungsgericht über.

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Agenda Verwaltungsgerichtsbarkeit 2022 (4)

Verwaltungsgerichte brauchen eigene Verwaltungsprozessordnung

Bei der Einrichtung der neuen Verwaltungsgerichte wurde – vorrangig wohl aus Zeitgründen – darauf verzichtet, ein kodifiziertes Verfahrensrecht in Form einer Verwaltungsprozessordnung zu erlassen. Der Preis dafür war, dass auf Grund der Vielzahl von Verfahrensgesetzen für Rechtsanwender eine verfahrensrechtliche Gemengelage entstanden ist, welche nur mehr schwer zu überblicken ist. Eine Entwicklung, die durch jede weitere Novelle des VwGVG oder neue verfahrensrechtliche Sonderbestimmungen in Materiengesetzen weiter vorangetrieben wird.

Ein zersplittertes Verfahrensrecht ist Einfallpforte für uneinheitliche Rechtsprechung, missbräuchliche Anwendung und damit Rechtsunsicherheit. Das zeigen die Erfahrungen in verschiedenen europäischen Rechtsschutzsystemen. Ein möglichst bestandsicheres, übersichtliches und verständliches Verfahrensrecht ist dagegen einer der wesentlichsten Garanten für Rechtssicherheit, für vorhersehbare und berechenbare Verfahrensabläufe. Aus Sicht des Dachverbandes ist es daher erforderlich, dass zur Vereinheitlichung der Verfahren das VwGVG zu einer abschließend geregelten, eigenständigen Verwaltungsprozessordnung ausgebaut wird. Dabei könnte auch bereits auf die Entwicklungen rund um ein EU-Verwaltungsverfahrensrecht Bedacht genommen werden.

Behörden „delegieren“ Entscheidung an Gerichte

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Agenda Verwaltungsgerichtsbarkeit 2022 (3)

Richterliche Fortbildung – Unabhängige Richterakademie

Die Besonderheit des Berufsbildes des Verwaltungsrichters besteht im Vergleich zum Berufsbild des Justizrichters darin, dass Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter über langjährige, oft hoch spezialisierte Berufserfahrungen verfügen (müssen). Bei den Fortbildungsinhalten ist daher den Bereichen Kommunikations- und Verhandlungstechniken, Verfahrensführung, Urteilstechnik, richterliche Ethik, etc., wie sie konkret im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erforderlich sind, besonderes Augenmerk zu schenken.

Eine adäquate Umsetzung dieser Anforderungen an die richterliche Fortbildung kann nach Auffassung des Dachverbandes nur durch die Schaffung einer „Richterakademie“ für alle Richterinnen und Richter erfolgen, die entsprechend den europäischen Standards als unabhängige Behörde von einem Richter/einer Richterin zu leiten ist. Hier fordert der Dachverband nach Schweizer Vorbild eine Richterakademie, die von allen Rechtsträgern der Verwaltungsgerichte in Form einer Stiftung errichtet und finanziert wird.

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Agenda Verwaltungsgerichtsbarkeit 2022 (2)

Vereinheitlichung der Dienst- und Organisationsrechte

Die unterschiedlichen Dienst- und Organisationsrechte der 11 Verwaltungsgerichte haben zu einem unübersichtlichen Wildwuchs an Normen geführt. Der Dachverband weist darauf hin, dass die für Verwaltungsgerichte geltenden Gesetze so komplex geworden sind, dass es sogar für österreichische Behörden schwierig geworden ist, einen systematischen Gesamtüberblick zu geben („Greco“- Bericht 2016).

Der Dachverband fordert aus diesem Grund eine weitere Vereinheitlichung der Dienst- und Organisationsrechte der Verwaltungsgerichte, insbesondere des Disziplinarrechts sowie der kollegialen und monokratischen Justizverwaltung. Hier zeigt sich insbesondere, dass die Praxis der Bundesländer, in Disziplinarverfahren gegen Richter der Landesverwaltungsgerichte dem Disziplinaranwalt des Landes und somit einem Vertreter einer belangten Behörde die Rolle des „Anklägers“ zuzuweisen, mit der strukturellen Unabhängigkeit der Verwaltungsrichte unvereinbar ist.

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Agenda Verwaltungsgerichtsbarkeit 2022 (1)

Der Dachverband fordert ein Konzept zur Einführung in die richterliche Tätigkeit, welches den Besonderheiten des Tätigkeitsbereichs eines Verwaltungsrichters Rechnung trägt und unter Einbindung der richterlichen Standesvertretungen entwickelt wird.

Die Wichtigkeit spezieller Schulung von Richterinnen und Richter vor Aufnahme ihrer Tätigkeit wird in den Ausbildungsgrundsätzen des Europäischen Netzwerks zur justiziellen Aus- und Fortbildung (EJTN) ausdrücklich betont. Ebenso betont wird die Notwendigkeit, die justizielle Ausbildung nicht auf juristische Kenntnisvermittlung zu beschränken, sondern auch berufliche Fertigkeiten und Werte weiterzugeben.

Verbindliche Besetzungsvorschläge – Präsidentenauswahl

Für die Richterauswahl selbst fordert der Dachverband die Verbindlichkeit der Besetzungsvorschläge der Personalsenate (Personalausschüsse), um so dem Vorwurf politisch motivierter Richterernennungen wirksam entgegentreten zu können.

Aus denselben Überlegungen wird auch gefordert, in den Organisationsgesetzen der Verwaltungsgerichte das Auswahlverfahren für Gerichtspräsidentinnen und Gerichtspräsidenten den Personalsenaten (Personalausschüssen) zu übertragen. Diese Forderung entspricht der Empfehlung des Europarates (CCJE) über die Funktion der Gerichtspräsidenten (Opinion N° 19 (2016). Nach diesen Empfehlungen sollte das Auswahlverfahren für Gerichtspräsidentinnen und Gerichtspräsidenten nach denselben Grundsätzen gestaltet werden, wie jenes für Richterinnen und Richter. Eine Auswahl von Gerichtspräsidentinnen und Gerichtspräsidenten (ausschließlich) aus dem Kreise der Richterschaft wäre aus Sicht des Dachverbandes auch im Hinblick auf die Gewaltenteilung wünschenswert.

Rechtsschutz für übergangene Bewerber

Dem Vorwurf politisch motivierter Richterernennungen kann nach Auffassung des Dachverbandes auch dadurch wirksam entgegen getreten werden, dass –  nach verbindlichen Besetzungsvorschlägen – nicht berücksichtigten Bewerbern ein Rechtsschutz eingeräumt wird. Die Empfehlungen des Europarates aus dem Jahr 2010, R(2010)12, sehen dazu vor, dass Auswahl- und Karriereentscheidungen richterlicher Gremien transparent und nachvollziehbar zu begründen sind; nicht berücksichtigten Bewerbern soll die Möglichkeit offen stehen, die Auswahlentscheidung oder das Auswahlverfahren einer Überprüfung zu unterziehen.

Der Dachverband fordert daher, die Auswahlverfahren transparent und nachvollziehbar zu gestalten sowie die Ergebnisse analog zu § 10 Abs. 2 Ausschreibungsgesetz 1989 zu veröffentlichen. (Siehe dazu auch: Vereinheitlichung und Verrechtlichung der Auswahlverfahren notwendig)

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Dachverband der Verwaltungsrichter legt Forderungsprogramm vor

Unter dem Titel „Agenda Verwaltungsgerichtsbarkeit 2022“ haben die im Dachverband vertretenen richterlichen Standesvertretungen (DVVR) ein Forderungsprogramm ausgearbeitet, welches in den nächsten Jahren als Leitlinie für die Arbeit der Standesvertretungen dienen soll.

Das Programm baut auf die seit 2014 gewonnen Praxiserfahrungen auf, berücksichtigt die Entwicklung der höchstgerichtlichen Rechtsprechung und stützt sich auf moderne europäische Standards für die Verwaltungsgerichtsbarkeit („best practise“).

Empfehlungen des Nationalrates umsetzen

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Verwaltungsrichter: Vereinheitlichung und Verrechtlichung der Auswahlverfahren notwendig

(c) Erwin Scheriau/APA

Die Ernennung neuer Verwaltungsrichterinnen und Richter der Bundes/Landesverwaltungsgerichte ist in der Verfassung nur hinsichtlich der Zuständigkeit und der formalen Ernennungsvoraussetzungen geregelt:

Bundesregierung bzw. Landesregierung haben Dreiervorschläge der Vollversammlung des Verwaltungsgerichtes oder eines aus ihrer Mitte zu wählenden Ausschusses einzuholen; Bewerber müssen das Studium der Rechtswissenschaften oder die rechts- und staatswissenschaftlichen Studien abgeschlossen haben und über eine fünfjährige juristische Berufserfahrung verfügen (Art 134 B-VG).

Während in den meisten EU-Staaten zumindest die Grundsätze des Auswahlverfahrens für Richterinnen und Richter gesetzlich geregelt sind (oft auch im Verfassungsrang),  lässt die österreichische Verfassung den Rechtsträgern der Verwaltungsgerichte freie Hand. Ein Umstand, der – je nach Gericht – zu äußerst unterschiedlichen Modalitäten der Richterauswahl führt.

Unübersichtliche Rechtslage – unklare Kriterien  

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Judikatur / VfGH: Verwaltungsgerichte nicht mehr zur Verordnungsprüfung ermächtigt

Entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof nun entschieden, dass auch Verwaltungsgerichte verpflichtet sind, gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen anzuwenden. Hat ein Verwaltungsgericht Bedenken gegen die rechtmäßige Kundmachung einer Verordnung, hat deren Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof zu erfolgen. Bis zur Aufhebung der Verordnung durch den VfGH ist diese für jedermann verbindlich (VfGH 28.06.2017, V 4/2017).

Begründet wird der Judikaturwechsel im Wesentlichen mit der Einführung der Verwaltungsgerichte und deren reformatorischer Entscheidungsbefugnis. Bei Aufrechterhaltung der bisherigen Rechtslage bestehe die Problematik dahingehend, dass die Verwaltungsbehörde  gemäß Art. 18 B-VG (auch) die fehlerhaft kundgemachte generelle Norm anzuwenden habe, das im Beschwerdefall angerufene Verwaltungsgericht  hingegen nach der bestehenden Rechtsprechung zu Art. 89 B-VG gehalten sei, diese generelle Rechtsnorm außer Acht zu lassen und dementsprechend (regelmäßig in der Sache selbst) zu einer anderen Entscheidung zu kommen.

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Presserat: Kein Ethikverstoß bei Berichterstattung über das Bundesverwaltungsgericht

Die richterlichen Interessensvertretungen hatten sich im April dieses Jahres aufgrund einer Reihe von Artikeln in der Tageszeitung „Kurier“ mit einer Beschwerde an den Österreichischen Presserat gewandt.

Neben der pauschalen Verunglimpfung des Bundesverwaltungsgerichts als „Schmalspurgericht“ und „Bundesversorgungsgericht“ wurde insbesondere gerügt, dass in der Berichterstattung über die Entscheidung des Gerichts zur „Dritten Piste“ des Flughafens Wien die beteiligten Richter namentlich bloßgestellt und öffentlich des Amtsmissbrauchs bezichtigt wurden.

Großzügiger Maßstab

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