Einsparungen: „Justiz am Rand des Zusammenbruchs“

Richter des Wiener Straflandesgerichts schlagen wegen Personalmangels Alarm

Richter und Staatsanwälte, Verteidiger und ihre Mandanten: Sie stehen bei Gerichtsprozessen im medialen Fokus. Im Hintergrund wird der Justizapparat jedoch vor allem von den Kanzleikräften am Brummen gehalten. Dass dieser Motor wegen Personalmangels nun ins Stocken gerät, befürchten Rechtsanwälte und die Richterschaft des Wiener Straflandesgerichts. In einem Schreiben an Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein, Justizminister Clemens Jabloner und die im Parlament vertretenen Parteien schlagen sie Alarm.

Mit den vorhandenen Ressourcen könne „die gesetzlich normierte Verantwortung zur zügigen und reibungslosen Durchführung von Strafverfahren nicht mehr getragen werden“, heißt es in dem Brief des Betriebs- und Dienststellenausschusses, den zahlreiche Richter und Rechtsanwälte unterschrieben haben. Es sei ersichtlich, „dass ausreichende Personalressourcen für die unabhängige Rechtsprechung (…) nicht mehr zur Verfügung stehen“. Sie sprechen sich gegen Kürzungen aus und fordern, dass die Gerichte und Staatsanwaltschaften mit genügend Personal ausgestattet werden.

Sparkurs und Notmaßnahmen

 

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EuGH: Zwangspensionierung polnischer Richter erfolgte unrechtmäßig

Polen hat mit der Herabsetzung des Pensionsalters für polnische Richter das EU-Recht verletzt. Das EuGH-Urteil hat weitreichende Konsequenzen: Das EU-Höchstgericht wird damit zum obersten Hüter der Rechtsstaatlichkeit.

In ihrem Kampf um die Rechtsstaatlichkeit in Polen erhält die EU-Kommission Rückendeckung vom Europäischen Gerichtshof. Das Höchstgericht der Union hat am Montag sein Urteil gegen ein zentrales Element der umstrittenen polnischen Justizreform gefällt – nämlich die De-facto-Säuberung des Obersten Gerichts mittels Herabsetzung des Pensionsantrittsalters für Polens Höchstrichter.

In der Rechtssache C-619/18 ging es um ein im April 2018 in Kraft getretenes Gesetz, mit dem das Pensionsalter für Höchstrichter von 70 auf 65 Jahre herabgesetzt wurde. Mit dieser Änderung wurde knapp ein Drittel des Gremiums in den Ruhestand versetzt – darunter die Präsidentin des Höchstgerichts, die der Regierungspartei ein Dorn im Auge gewesen ist. Begründet wurde die Maßnahme mit Anpassungsbedarf an das übliche Pensionsantrittsalter. Die alleinige Befugnis, die Amtszeit der Höchstrichter zu verlängern, hatte demnach Staatspräsident Andrzej Duda, ein Vertrauter von PiS-Chef Jarosław Kaczyński.

EuGH ist Hüter der Rechtsstaatlichkeit

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UN-Sonderberichterstatter: Leitlinien für Richter und Staatsanwälte zur Ausübung ihrer Grundfreiheiten

Der UN-Sonderberichterstatter für die Unabhängigkeit von Richtern und Anwälten, Diego Garda-Sayan, hat sich in seinem nunmehr dritten Bericht mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung durch Richter und Staatsanwälte (online und offline) sowie deren Recht auf Versammlungsfreiheit beschäftigt.

Der Bericht zielt darauf ab, die Arten von Beschränkungen zu ermitteln, denen Richter und Staatsanwälte rechtmäßig in einer demokratischen Gesellschaft unterliegen können, um ein rechtmäßiges Ziel zu erreichen, wie etwa die Aufrechterhaltung der Autorität ihres Amtes und die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz.

Disziplinarmaßnahmen als versuchte Einflussnahme

In seinem Bericht dokumentiert der Sonderberichterstatter verschiedene Formen staatlicher Einflussnahmen auf die Ausübung der Grundfreiheiten durch Richter und Staatsanwälte. Nicht alle in diesen Fällen sind nach Auffassung des Berichterstatters die gegen Richter und Staatsanwälte ergriffenen Disziplinarmaßnahmen erforderlich, um in einer demokratischen Gesellschaft das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz und die Staatsanwaltschaft zu erhalten.

In einigen Fällen erscheinen diese Sanktionen vielmehr geeignet, den einzelnen Richter oder Staatsanwalt für die geäußerten Meinungen oder die in Ausübung seines Amtes getroffenen Maßnahmen zu bestrafen. In anderen Fällen hat die Schwere der Sanktion auch eine „abschreckende Wirkung“ auf andere Mitglieder der Justiz oder der Staatsanwaltschaft, die so davon abgehalten werden könnten, sich kritisch zu äußern, weil sie befürchten, von Strafmaßnahmen betroffen zu sein.

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Massive Personalnot beim Wiener Verwaltungsgericht

VwG Wien

Richter, Rechtspfleger und Kanzleipersonal fehlen. Die Folge sind immer länger dauernde Verfahren

Wie ein Hilferuf liest sich der aktuelle Jahresbericht des Wiener Verwaltungsgerichts. Diesem fehlt offenbar an allen Ecken und Enden Personal, wie aus dem Schreiben hervorgeht, das dem KURIER vorliegt.

So wurde seit Einrichtung des Gerichts 2014 die Zahl der dort tätigen Rechtspfleger von 28 auf 22 reduziert. Verantwortlich für den Abgang seien unter anderem Pensionierungen, für die es keine Nachbesetzungen gab. Wegen Langzeitkrankenständen stünden derzeit sogar nur 18,75 Vollzeitäquivalente zur Verfügung. „Eine weitere Reduktion […] zeichnet sich ab“, heißt es im Bericht.

Kritisch ist die Situation auch bei den Richtern: Hier gibt es 85 Dienstposten, tatsächlich stünden aber nur 79 zur Verfügung. Zwar seien 2018 sechs zusätzliche Richter ernannt worden, aber: „Da die Dienstpostenliste nicht angepasst wurde, ist leider nicht gesichert, dass diese so dringend notwendige Aufstockung von Dauer ist.“

Die Folgen: „Trotz massiver Anstrengungen sind sowohl die durchschnittliche Verfahrensdauer als auch die Zahl offener Verfahren weiter gestiegen, da sich insbesondere die Ausstattung mit Kanzleipersonal als unzureichend erwies.“

 

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Ungarn: Einrichtung neuer Verwaltungsgerichte gekippt

Ab Jänner 2020 sollten in Ungarn ein neues Oberstes Verwaltungsgericht und 8 Verwaltungsgerichte erster Instanz ihre Arbeit aufnehmen. Die Auswahl der rund 300 neuen Richterinnen und Richter war bereits abgeschlossen. Letzte Woche beschloss die Regierung zur Überraschung aller Betroffenen, die vom Parlament bereits beschlossene und kundgemachte Justizreform zu kippen.

Die von Ungarn beschlossene Einrichtung neuer Verwaltungsgerichte war von EU-Parlament mit Sorge betrachtet worden, da die Unabhängigkeit der neuen Gerichte durch die Möglichkeit politischer Einflussnahme nicht gewährleistet erschien. (Siehe dazu: Umstrittene Justizreform in Ungarn – Österreich als Vorbild genannt)

Neben der politischen Ernennung der Gerichtspräsidenten war ein besonderer Kritikpunkt das Auswahlverfahren für jene neuen Verwaltungsrichter, die nicht bereits zuvor an den Zivilgerichten tägig waren, sondern aus der öffentlichen Verwaltung rekrutiert wurden.

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EuGH: Deutsche Staatsanwälte sind nicht unabhängig

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg spricht deutschen Staatsanwälten das Recht ab, EU-Haftbefehle auszustellen: Dies deshalb, weil sie – ähnlich wie in Österreich – den Weisungen des Justizministeriums unterliegen.

Der Gerichtshof hält damit an seinem Prüfungsmaßstab fest, den er in einem Vorabentscheidungsverfahren gegen Polen zur Unabhängigkeit des Justizsystems entwickelt hat (siehe dazu: EuGH zum Prüfungsschema der Unabhängigkeit der Justiz und der Richter in Polen).

Auch bloß theoretische Weisungsgebundenheit schadet Unabhängigkeit

Der Fall war – wie schon im Falle Polens – vom irischen High Court an den EuGH herangetragen worden. Zwei Litauer und ein Rumäne, denen Mord und bewaffneter Raub vorgeworfen wird, hatten sich dort gegen die Vollstreckung der EU-Haftbefehle gewehrt. Die Haftbefehle waren von deutschen Staatsanwaltschaften und dem Generalstaatsanwalt von Litauen ausgestellt worden. Die Verdächtigen orteten eine Gefahr politischer Einflussnahme, weil die deutschen Staatsanwälte einer Verwaltungshierarchie unter Leitung des Justizministeriums angehörten.

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Diskussionsveranstaltung: Richterliche Unabhängigkeit, kollegiale Selbstverwaltung und feste Geschäftsverteilung

Am Freitag, 7. Juni 2019, findet ab 14:30 Uhr im Dachgeschoss des „Juridicum“ (Schottenbastei 10-16, 1010 Wien) eine prominent besetzte Podiumsdiskussion statt.

Neben der Aufgabe der Personalsenate als Bindeglied zwischen Rechtsprechung und Justizverwaltung ist Gegenstand der Vorträge die feste Geschäftsverteilung und deren Anfechtbarkeit in Straf- und Zivilverfahren.

Hier geht’s zum Programm …

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Verwaltungsgerichtstag Darmstadt (5): Realisierung von Großvorhaben als Quadratur des Kreises

Die Abschlussveranstaltung war der Verfahrensführung und Entscheidung in Großverfahren in Deutschland – insbesondere aus Sicht des Baurechts und der Umweltverträglichkeit und unter Beteiligung der Öffentlichkeit – gewidmet.

So wurde nicht nur eine konzentrierte Verfahrensführung diskutiert, sondern auch ob es sinnvoll ist, Fristen für das Verfahren und Präklusionsbestimmungen für Einwände vorzusehen.

Wenn für die Einwände Präklusion vorgesehen wird, wurde von den Diskutierenden eingeräumt, kann dies zu einer ineffizienten Verfahrensführung führen, da vorerst alle möglichen Einwände – auch noch ohne entsprechende Informationen – vorgebracht werden müssen, auch wenn sie sich später als haltlos darstellen. So wurde auch daran erinnert, dass die Beteiligung der Öffentlichkeit nach dem europäischen Recht und der Aarhus Konvention zur Einbindung der Öffentlichkeit in einer frühen Phase vorgesehen ist, um das Projekt mithilfe der Öffentlichkeit noch zu gestalten. Des weiteren wurde einheitlich festgehalten, dass es keine Belege gibt, wonach die Abschaffung der Präklusion aufgrund der Aarhus Konvention u einer Verfahrensverzögerung geführt hat.

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Verwaltungsgerichtstag Darmstadt (4): „The discretionary power of the judge“ – richterliches Ermessen

In dem von der Europäischen Verwaltungsrichtervereinigung (AEAJ) organisierten Arbeitskreis wurde zunächst von Prof. Dr. Bartosz Woichiechowski, Richter des polnischen Höchstgerichts, über das Konzept des richterlichen Ermessens referiert. Wann hat der Richter Ermessen bei seiner Entscheidung und in welcher Hinsicht? Nach Ansicht des Vortragenden gibt es überall dort, wo nicht ausschließlich eine Entscheidungsmöglichkeit zur Verfügung steht, …

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Verwaltungsgerichtstag Darmstadt (3): „Good Judging“ – Maßstäbe für richterliches Arbeiten

Dem Vortragenden Dr. Udo Schneider, Präsident des Verwaltungsgerichts Meiningen, zufolge ist es verkürzt, die Beurteilung der richterlichen Arbeit nur anhand des Ergebnisses, nämlich der Entscheidung selbst, vorzunehmen.

Vielmehr ist der Prozess zu beleuchten, wie die einzelne Person aufgrund der fundierten Ausbildung, Erfahrung und Sozialisation zum Richter wird und das unabhängige und unbefangene, fachlich fundierte Urteil in einem von ihr zu leitenden fairen Verfahren „findet“ bzw. erkennt“. Dabei spielt nicht nur die fachliche, sondern auch die soziale Kompetenz eine wesentliche Rolle.

Wie kann ein Richter ein gutes Erkenntnis „finden“, nach welchen Maßstäben erfolgt die Beurteilung „gut“? Was sind die Kriterien für eine gute Entscheidungsfindung und gute Prozesskultur? Wie unterliegt die Beurteilung dem gesellschaftlichen Wandel?

Neben den erlernbaren Methoden und dem Handwerkszeug ist vor allem die Haltung zur guten richterlichen Tätigkeit gefragt. Die Judikative kann ihre Funktion nur erfüllen, wenn die Richter nicht nur den juristischen Anforderungen an ihre Tätigkeit gerecht werden, sondern auch ihr Amt mit uneingeschränkter Integrität ausüben. Die Beschäftigung mit ethischen Verhaltensstandards ist für die Justiz daher ein unverzichtbarer Bestandteil.

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