Einsparungen: „Justiz am Rand des Zusammenbruchs“

Richter des Wiener Straflandesgerichts schlagen wegen Personalmangels Alarm

Richter und Staatsanwälte, Verteidiger und ihre Mandanten: Sie stehen bei Gerichtsprozessen im medialen Fokus. Im Hintergrund wird der Justizapparat jedoch vor allem von den Kanzleikräften am Brummen gehalten. Dass dieser Motor wegen Personalmangels nun ins Stocken gerät, befürchten Rechtsanwälte und die Richterschaft des Wiener Straflandesgerichts. In einem Schreiben an Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein, Justizminister Clemens Jabloner und die im Parlament vertretenen Parteien schlagen sie Alarm.

Mit den vorhandenen Ressourcen könne „die gesetzlich normierte Verantwortung zur zügigen und reibungslosen Durchführung von Strafverfahren nicht mehr getragen werden“, heißt es in dem Brief des Betriebs- und Dienststellenausschusses, den zahlreiche Richter und Rechtsanwälte unterschrieben haben. Es sei ersichtlich, „dass ausreichende Personalressourcen für die unabhängige Rechtsprechung (…) nicht mehr zur Verfügung stehen“. Sie sprechen sich gegen Kürzungen aus und fordern, dass die Gerichte und Staatsanwaltschaften mit genügend Personal ausgestattet werden.

Sparkurs und Notmaßnahmen

 

Die Behörden leiden seit längerem unter den Engpässen. Rund 20 bis 25 Prozent aller Kanzleimitarbeiter seien in den vergangenen zehn Jahren eingespart worden, so Friedrich Forsthuber, Präsident des Wiener Straflandesgerichts. „Besonders dramatisch waren die vergangenen drei Jahre: Da wurden im Sprengel des Oberlandesgerichts Wien 101 Vollzeitkräfte eingespart.“ Das bringe die Justiz an den „Rand des Zusammenbruchs“.

Das Straflandesgericht griff bereits zu Notmaßnahmen: Dieses Jahr mussten die Öffnungszeiten des Verteidigerzimmers – dort können Rechtsanwälte Einsicht in die Strafakten nehmen – zeitweise eingeschränkt werden. Gleiches gilt für das Servicecenter, die Anlaufstelle für Parteien.

Nun droht weiteres Ungemach: Dem Landesgericht mangelt es an Schriftführern. Sie protokollieren die Verhandlungen und nehmen eine wichtige Stellung ein. Die Protokolle müssen innerhalb gewisser Fristen an die Prozessparteien gehen, die Richterin benötigen sie etwa für die Erstellung des Urteils, Verteidiger für die Begründung ihrer Rechtsmittel.

Bei rund 250 Verhandlungen werden die Schriftführer am Straflandesgericht eingesetzt. Darunter befinden sich mehrtägige Verfahren mit hundertseitigen Protokollen: „Wir haben nicht nur das Buwog-Verfahren, sondern auch andere große Wirtschaftsverfahren“, sagt Forsthuber.

Laut Personalplan stehen dem Landesgericht 17 Schriftführer zu. Drei Fachkräfte sind ausschließlich für das Buwog-Verfahren abgestellt, abzüglich eines Dauerkrankenstandes und Teilauslastungen stehen den rund 80 Richtern also nur zwölf Schriftführer zur Verfügung. Diese stünden bereits an den „Grenzen jeder Belastbarkeit“, erklärt Forsthuber.

Zwar werden vermehrt Rechtspraktikanten – Juristen, die nach ihrem Studienabschluss ein halbes Jahr bei Gericht arbeiten – für das Protokollieren abgestellt. Diese könnten aber nur bei kleineren Verfahren eingesetzt werden und sollten eigentlich juristisch ausgebildet werden, so der Präsident. Auch Tonbandaufnahmen seien nicht zielführend: „Die Verhandlungen dauern deutlich länger, wenn der Richter alles selbst diktiert.“ Zudem braucht es dann noch immer eine Schreibkraft, die das Protokoll hinuntertippt.

„Klare Qualitätseinbußen“

Werde der Sparkurs fortgesetzt, werde es zu „klaren Qualitätseinbußen kommen, die für den Rechtsstaat schädlich sind“, warnt Forsthuber. „In Zeiten mit besonders vielen Großverfahren könnten es längere Vertagungstermine geben. Sie könnten dann nicht mehr alle vier oder sechs Wochen, sondern nur alle drei bis vier Monate fortgesetzt werden.“

„Der Hilferuf des Straflandesgerichts Wien ist kein Einzelfall. Auch die Landesverwaltungsgerichte klagen über zu wenig Personal“, so Neos-Justizsprecherin Irmgard Griss am Dienstag. Der nächste Finanzminister müsse ausreichend Mittel zur Verfügung stellen, „damit die Justiz in angemessener Zeit und Qualität arbeiten kann“. Griss kündigte eine parlamentarische Anfrage an, um einen österreichweiten Überblick über die Personalsituation an den Gerichten und Strafverfolgungsbehörden zu erhalten.

Seitens des Justizministeriums wird betont, dass man derzeit keinen Handlungsspielraum besitze. Das Budget und der Stellenplan seien für das Ressorts bereits festgeschrieben. Derzeit werde aber eine „Bestandsaufnahme“ über die Situation für den künftigen Justizminister erarbeitet. Weitere Entscheidungen würden der kommenden Regierung obliegen.

Hier den Beitrag in der „Wiener Zeitung“ lesen …

 

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