UN-Sonderberichterstatter: Leitlinien für Richter und Staatsanwälte zur Ausübung ihrer Grundfreiheiten

Der UN-Sonderberichterstatter für die Unabhängigkeit von Richtern und Anwälten, Diego Garda-Sayan, hat sich in seinem nunmehr dritten Bericht mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung durch Richter und Staatsanwälte (online und offline) sowie deren Recht auf Versammlungsfreiheit beschäftigt.

Der Bericht zielt darauf ab, die Arten von Beschränkungen zu ermitteln, denen Richter und Staatsanwälte rechtmäßig in einer demokratischen Gesellschaft unterliegen können, um ein rechtmäßiges Ziel zu erreichen, wie etwa die Aufrechterhaltung der Autorität ihres Amtes und die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz.

Disziplinarmaßnahmen als versuchte Einflussnahme

In seinem Bericht dokumentiert der Sonderberichterstatter verschiedene Formen staatlicher Einflussnahmen auf die Ausübung der Grundfreiheiten durch Richter und Staatsanwälte. Nicht alle in diesen Fällen sind nach Auffassung des Berichterstatters die gegen Richter und Staatsanwälte ergriffenen Disziplinarmaßnahmen erforderlich, um in einer demokratischen Gesellschaft das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz und die Staatsanwaltschaft zu erhalten.

In einigen Fällen erscheinen diese Sanktionen vielmehr geeignet, den einzelnen Richter oder Staatsanwalt für die geäußerten Meinungen oder die in Ausübung seines Amtes getroffenen Maßnahmen zu bestrafen. In anderen Fällen hat die Schwere der Sanktion auch eine „abschreckende Wirkung“ auf andere Mitglieder der Justiz oder der Staatsanwaltschaft, die so davon abgehalten werden könnten, sich kritisch zu äußern, weil sie befürchten, von Strafmaßnahmen betroffen zu sein.

Vor dem Hintergrund der bestehenden internationalen und regionalen Standards und der Rechtsprechung der regionalen Gerichte und Mechanismen unterbreitet der UN-Sonderberichterstatter Empfehlungen darüber, wie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Grundrechten einzelner Richter und Staatsanwälte und den legitimen Interessen des Staates hergestellt werden kann.

Die Empfehlungen enthalten auch Leitlinien für einzelne Richter und Staatsanwälte, wie sie ihre Grundfreiheiten in einer Weise ausüben können, dass sie mit der Würde ihres Berufs sowie der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit ihres Amtes in Einklang steht.

Hier die Empfehlungen im Einzelnen (machine translation):

Entwicklung und Umsetzung nationaler Normen

  1. Die nationalen Rechtsvorschriften über die Organisation und Funktionsweise der Justiz und der Staatsanwaltschaft sollten besondere Bestimmungen enthalten, mit denen anerkannt wird, dass Richter und Staatsanwälte das Recht haben, das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Weltanschauung, die Vereinigung und die Versammlungsfreiheit sowie politische Rechte gleichberechtigt mit anderen auszuüben, und dass die Ausübung dieser Rechte nur den Beschränkungen unterliegen kann, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendig erscheinen, um die Autorität der Justiz oder der Staatsanwaltschaft aufrechtzuerhalten, sowie die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der einzelnen Richter und Staatsanwälte.
  2. Die Berufsverbände der Richter und Staatsanwälte sollten – sofern diese bestehen – spezifische Bestimmungen in Verhaltenskodizes beschließen oder anderweitig spezifische Leitlinien für die Ausübung der Grundfreiheiten durch Richter und Staatsanwälte ausarbeiten. Solche Standards sollten der Selbstregulierung dienen, die es Richtern und Staatsanwälten erleichtern, ihre eigenen Entscheidungen darüber zu treffen, wie sie ihre Menschenrechte und Grundfreiheiten in einer Weise ausüben können, die mit der Würde ihres Amtes und der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz oder der Staatsanwaltschaft im Einklang steht. Daher sollten die Einhaltung dieser Standards von den für Richter und Staatsanwälte geltenden Disziplinarvorschriften getrennt bleiben, da die Nichteinhaltung dieser Grundsätze nicht automatisch einen Disziplinarverstoß darstellen sollte.
  3. Der Sonderberichterstatter ist der Ansicht, dass Richter und Staatsanwälte selbst am besten in der Lage sind, Umfang und Inhalt der rechtlichen und ethischen Normen für die Ausübung ihrer Grundfreiheiten und politischen Rechte festzulegen. Dementsprechend sollten nationale Rechtsvorschriften und ethische Standards im Rahmen eines offenen und transparenten Verfahrens unter Beteiligung von Richtern, Staatsanwälten und ihren Berufsverbände entwickelt werden. Bei der Ausarbeitung und Umsetzung solcher Grundsätze sollten die bestehenden internationalen Standards für die Ausübung der Grundfreiheiten und die Rechtsprechung der regionalen Menschenrechtsgerichte und -mechanismen berücksichtigt werden.
  4. Richter und Staatsanwälte sollten in Bezug auf ethische Grundsätze im Zusammenhang mit der Ausübung ihrer Grundfreiheiten angemessen geschult werden, und zwar sowohl in Bezug auf ihren Beruf als auch auf Nebentätigkeiten. Diese Schulungen sollten insbesondere praktische Leitlinien für die Nutzung sozialer Medien umfassen.
  5. Der Sonderberichterstatter fordert die Berufsverbände von Richtern und Staatsanwälten auf, Gremien einzurichten, die Richter und Staatsanwälte beraten, wann immer sie unsicher sind, ob eine bestimmte Tätigkeit im privaten Bereich mit ihren Aufgaben und Pflichten als Beamte vereinbar ist. Diese beratenden Einrichtungen sollten von den Stellen getrennt sein, die für die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen zuständig sind.
  6. Klagen gegen Richter oder Staatsanwälte, die sich auf die Ausübung ihrer Grundfreiheiten beziehen, sollten vor einer unabhängigen Stelle wie einem Justiz- oder Staatsanwalt oder einem Gericht gestellt werden. Das Disziplinarverfahren sollte im Einklang mit dem Gesetz, dem Verhaltenskodex und anderen Normen und ethischen Grundsätzen erfolgen.
  7. Die Amtsenthebung sollte nur in den schwerfälligsten Fällen von Fehlverhalten, wie sie im Berufskodex vorgesehen sind, und erst nach einer ordentlichen Anhörung, mit der alle Garantien für den Beschuldigten gewährleistet werden, verhängt werden.
  8. Entscheidungen in Disziplinarverfahren sollten einer unabhängigen Überprüfung unterzogen werden.

Freiheit der Meinungsäußerung

  1. Bei der Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung sollten Richter und Staatsanwälte ihre Aufgaben und Pflichten als Beamte berücksichtigen und Zurückhaltung üben, wenn es darum geht, ihre Ansichten und Meinungen unter allen Umständen zum Ausdruck zu bringen, wenn sie in den Augen eines angemessenen Beobachters ihr Amt oder ihre Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit in Frage stellen könnten.
  2. Richter und Staatsanwälte sollten grundsätzlich nicht an öffentlichen Kontroversen beteiligt sein. Unter bestimmten Umständen können sie jedoch ihre Ansichten und Meinungen zu politisch heiklen Themen zum Ausdruck bringen, beispielsweise wenn sie an öffentlichen Debatten über Rechtsvorschriften und Strategien teilnehmen, die sich auf die Justiz oder die Staatsanwaltschaft auswirken können. In Situationen, in denen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bedroht sind, sind die Richter verpflichtet, sich zur Verteidigung der Verfassungsordnung und zur Wiederherstellung der Demokratie zu äußern.
  3. Richter und Staatsanwälte sollten in ihren Beziehungen zur Presse mit Umsicht vorgehen. Sie sollten immer davon Abstand nehmen, zu den Fällen, mit denen sie befasst sind, Stellung zu nehmen und ungerechtfertigte Bemerkungen zu vermeiden, die ihre Unparteilichkeit in Frage stellen könnten.
  4. Richter und Staatsanwälte sollten bei der Nutzung sozialer Medien vorsichtig sein. Bei Beiträgen in sozialen Medien sollten sie berücksichtigen, dass alles, was sie veröffentlichen, dauerhaft gespeichert ist – auch nach deren Löschung – und frei interpretiert werden oder aus dem Zusammenhang gerissen werden kann. Bei der Veröffentlichung anonymer Kommentare im Internet sollten die Richter stets darauf achten, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, die Person zu ermitteln, die den Kommentar übermittelt hat.
  5. Alle persönlichen Informationen oder Fotos, die in den sozialen Medien ausgetauscht werden, sollten maßvoll und zurückhaltend sein. Richter und Staatsanwälte sollten stets von parteipolitischen Äußerungen absehen und niemals etwas äußern, was mit der Würde ihres Amtes in Konflikt geraten oder anderweitig auf die Justiz oder die Staatsanwaltschaft als Institution einwirken könnte.
  6. Richter und Staatsanwälte können Twitter nutzen; da ein Twitter-Konto diese jedoch als Richter oder Staatsanwalt bezeichnet, sollte es nur für Informations- und Bildungszwecke und für Tätigkeiten im Zusammenhang mit ihrer Arbeit verwendet werden.

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

  1. Richter und Staatsanwälte haben das Recht, sich friedlich zu versammeln. Bei der Ausübung dieses Rechts sollten sie ihre Pflichten und Pflichten als Beamte im Auge behalten. Sie sollten Zurückhaltung üben, wenn ihre Beteiligung an einer friedlichen Demonstration als mit der Autorität ihres Amtes unvereinbar angesehen werden kann oder mit ihrer Pflicht unvereinbar ist, als unabhängig und unparteiisch wahrgenommen zu werden.
  2. Richter und Staatsanwälte haben das Recht, Berufsorganisationen zu gründen und ihnen beizutreten, um ihre beruflichen Interessen zu schützen. Sie können auch Mitglieder anderer Organisationen sein, sofern ihre Mitgliedschaft in diesen Vereinigungen die Würde ihres Amtes oder ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht beeinträchtigt.

Politische Rechte

  1. Der Sonderberichterstatter räumt ein, dass es keinen allgemeinen internationalen Konsens darüber gibt, ob Richter und – in geringerem Maße – Staatsanwälte die Freiheit haben sollten, sich an der Politik zu beteiligen.
  2. Als Bürger sind Richter und Staatsanwälte berechtigt, ihre politischen Rechte gleichberechtigt mit anderen Bürgern auszuüben. Richter und Staatsanwälte sollten jedoch bei der Ausübung öffentlicher politischer Tätigkeiten Zurückhaltung üben, um die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung zu wahren.
  3. Selbst in Fällen, in denen ihre Mitgliedschaft in einer politischen Partei oder ihre Teilnahme an der öffentlichen Debatte nicht ausdrücklich untersagt ist, müssen Richter und Staatsanwälte jede politische Tätigkeit unterlassen, die ihre Unabhängigkeit beeinträchtigen oder das Ansehen der Unparteilichkeit in Frage stellen könnte.
  4. Im Hinblick auf die direkte Beteiligung an der Politik ist der Sonderberichterstatter der Ansicht, dass Richter und Staatsanwälte jede parteipolitische Tätigkeit, die ihre Unparteilichkeit beeinträchtigen oder mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung unvereinbar sein könnte, vermeiden sollten.

Hier das Dokument in Original (nur in Englisch verfügbar) …

Teilen mit: