Verwaltungsgerichtstag Darmstadt (4): „The discretionary power of the judge“ – richterliches Ermessen

In dem von der Europäischen Verwaltungsrichtervereinigung (AEAJ) organisierten Arbeitskreis wurde zunächst von Prof. Dr. Bartosz Woichiechowski, Richter des polnischen Höchstgerichts, über das Konzept des richterlichen Ermessens referiert.

Wann hat der Richter Ermessen bei seiner Entscheidung und in welcher Hinsicht?

Nach Ansicht des Vortragenden gibt es überall dort, wo nicht ausschließlich eine Entscheidungsmöglichkeit zur Verfügung steht, richterliches Ermessen und erinnert diese Radikalität an die reine Rechtslehre Kelsens. Gerade die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Interessen und dem notwendigen Ausgleich fordert vom Richter die Ausübung des Ermessens. Insofern ist es konsequent zu sagen, dass mit fast jeder Entscheidung des Richters Ermessen ausgeübt wird, so etwa wie die Entscheidung verfasst wird, das Verfahren geführt wird etc.

Ermessen muss verhältnismäßig, angemessen und erforderlich sein. Entsprechend dem kulturellen, politischen, wirtschaftlichen etc. Hintergrund wird Ermessen ausgeübt. Abzugrenzen ist das Ermessen von der Willkür, die nicht durch Argumente zu rechtfertigen ist.

In weiterer Folge hat der Richter des Gerichts der Europäischen Union Herr Colm Mac Eochaidh aufgezeigt, wie unterschiedlich das Ermessen in der EU verstanden wird. So wird nicht nur national – insbesondere im kontinentaleuropäischen und angloamerikanischen Rechtssystem – der Begriff des Ermessens unterschiedlich ausgelegt, sondern hat der der EuGH selbst eine eigene autonome Interpretation entwickelt.

Nach einer Annäherung an das Konzept des Ermessens wurde anhand von Rechtsmittelentscheidungen, der Einhaltung von Fristen, der Zulassung von Beweisen, der Beweiswürdigung sowie von verfahrensrechtlichen Bestimmungen, der Auferlegung von Strafen und dem Zuspruch von Kosten die unterschiedliche Interpretationen von Ermessen in Irland und am EuGH erläutert. Erstaunlich war etwa, dass in Irland auch die Einhaltung einer Frist dem Ermessen unterliegen kann. So wurde ein Rechtsmittel, das „promptly“ einzubringen ist, noch nach zwei Jahren als rechtzeitig angesehen, weil der zunächst noch strafrechtlich Verfolgte ins Ausland floh und erst nach einer freisprechenden Entscheidung zu einem Komplizen nach Irland zurückkam.

Das Handlungsdogma des Vortragenden: „Rules are there to allow justice to be done, not to avoid justice to be done“.

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