Die bedrohlich rasante Verbreitung des Corona-Virus und die nicht selten schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen der dadurch ausgelösten Lungenkrankheit COVID-19 stellen die Staaten weltweit vor eine riesige Herausforderung. Die Bandbreite der dagegen ergriffenen staatlichen Maßnahmen reicht in Europa von einer geringfügigen Einschränkung des öffentlichen Lebens verbunden mit dem Appell an die Vernunft (Schweden) über massive Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft (Österreich, Deutschland etc.) bis hin zu Entwicklungen, wo zur Bekämpfung der Pandemie neben der Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte auch die innerstaatliche Gewaltenteilung auf unbestimmte Zeit aufgehoben wurde (Ungarn).
Über kurz oder lang werden die zur Pandemiebekämpfung getroffenen behördlichen Maßnahmen und Entscheidungen auch in Österreich vor den Verwaltungsgerichten landen. Erste Rechtsprobleme zeichnen sich schon jetzt ab.
Berliner dürfen derzeit nur bei einem „dringend erforderlichen“ Termin zu ihrem Anwalt. Ein Asylrechtler klagt wegen Verletzung seiner Berufsfreiheit. Und weil seine Mandanten der Polizei nun erklären müssen, dass ihnen Abschiebehaft droht.
Nach einem Bericht der „Legal Tribune Online“ (LTO) hat der Berliner Migrationsrechtler Dr. Matthias Lehnert letzten Freitag einen Normenkontrollantrag beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg eingereicht. Er will die Corona-Beschränkungen in der Hauptstadt vorläufig außer Kraft setzen lassen, soweit die Berliner ihre Wohnung für den Gang zum Anwalt nur dann verlassen dürfen, wenn sie einen „dringend erforderlichen Termin“ bei diesem nachweisen.
Polnische Richter befürchten, dass ihre Regierung die Disziplinarvorgaben benutzt, um unliebsame Richter zu entfernen. Der EuGH lehnt eine Zuständigkeit aber ab.
Die Klage polnischer Richter gegen die umstrittene Justizreform Polens vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) ist abgelehnt worden. Die Frage, ob die neue polnische Disziplinarordnung für Richterinnen und Richter mit dem Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz vereinbar ist, sei derzeit kein Fall für das höchste EU-Gericht, urteilte der EuGH.
Anlass des Verfahren ist eine Disziplinarverordnung für Richterinnen und Richter, die von der nationalkonservativen Pis-Regierung 2017 eingeführt wurde. Laut dem Gesetz müssen Richterinnen und Richter mit Geldstrafen, Herabstufung oder Entlassung rechnen, wenn sie die Entscheidungskompetenz oder Legalität eines anderen Richters oder eines Gerichts infrage stellen. Auch dürfen sie sich nicht politisch betätigen. Das polnische Parlament hatte dem Gesetz im Januar zugestimmt.
Justizministerin Alma Zadic (Grüne) und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) haben Justizpaket geschnürt. Alle Fristen werden unterbrochen, Haftprüfungen sind per Videotelefon möglich. Besuchsverbot in Justizanstalten.
Justizministerin Alma Zadic (Grüne) und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) präsentierten heute ein Justizpaket mit Notmassnahmen wegen des Coronavirus. Alle Fristen in Verwaltung und Justiz werden demnach vorerst bis Ende April unterbrochen bzw. gehemmt. Diese Aussetzung der Fristen könnte je nach Lage auch verlängert werden. Das muss aber noch per Gesetz im Nationalrat beschlossen werden. ÖVP und Grüne bringen dazu einen Initiativantrag ein.
Nach Medienberichten dient das Coronavirus in China als Zensur- und Tech-Beschleuniger. Sicherheitsbedürfnis und Totalüberwachung gehend dabei fließend ineinander über. Auch westliche Regierungen beginnen zur Virusbekämpfung auf private Verbindungsdaten und Überwachungs-Tools zuzugreifen. Bei strittiger oder fehlender gesetzlichen Grundlage.
Bewegungsströme zeigen Sozialkontakte
Bereits letzte Woche prüfte in Deutschland das Bundesgesundheitsministerium, ob Standortdaten von mit dem Coronavirus infizierten Handynutzern verwendet werden könnten, um mögliche Kontaktpersonen zu ermitteln.
Die von Parlament und Regierung ergriffenen Maßnahmen stellen auch Verwaltungsgerichte und Rechtsschutzsuchende sowie deren Vertreter vor eine Vielzahl praktischer Probleme. Einige davon wird wohl nur der Gesetzgeber lösen können.
Schon die Frage, ob und wie der Dienstbetrieb aufgrund der Bedeutung der Rechtsprechung für das Gemeinwohl „im unmittelbar notwendigen Ausmaß“ aufrecht zu erhalten ist, wird von den einzelnen Gerichten unterschiedlich beantwortet. Von einer Gerichtsschließung, Homeoffice bis zur Übertragung der Verantwortlichkeit auf den einzelnen Richter/ die einzelne Richterin ist die Bandbreite groß.
Gleiches gilt für die Frage, ob die Einhaltung des Betretungsverbots für die richterlichen und nichtrichterlichen Gerichtsbediensteten als gerechtfertigte Abwesenheit vom Dienst gilt oder nicht.
Rechtsmittelfristen und Entscheidungsfristen laufen weiter
Anhand konkreter Beispiele wurde deutlich, wie unterschiedlich die Problemstellungen in diesem Bereich sein können. So besteht für Richterinnen in Südkorea das größte Problem darin, dass sie verpflichtet sind, für bestimmte Perioden von einem Stadtgericht auf ein Landgericht zu wechseln, weil es für die Gerichte am Land viel zu wenige Bewerberinnen und Bewerber gibt. Auf Grund der traditionellen Rollenbilder stellen diese Wechsel Richterinnen, die Kinder oder zu betreuende Angehörige haben, vor schwierige Herausforderungen, welche Männer nicht haben. Die Richterinnen in Südkorea fordern daher einen Systemwechsel.
In Mexiko versucht die Justiz, für Richterinnen und nichtrichterlichen weiblichen Bediensteten in jedem Gericht Still-Räumlichkeiten und Kinderbetreuungen einzurichten, da viele davon Alleinerzieherinnen sind und diese sonst ihren Beruf nicht ausüben könnten. In Madagaskar besteht das größte Problem dagegen darin, dass es viel zu wenige männlichen Bewerber für das Richteramt und daher eine Männerquote (20%) eingeführt wurde.
Breiten Raum gab die Konferenz Fragen der Richterauswahl und Ernennung sowie den neue Herausforderungen, welche die aktuellen politischen Entwicklungen für die richterliche Unabhängigkeit mit sich bringen. Auch wenn viele nationale Besonderheiten und unterschiedliche Blickwinkel bestehen, so zeigten die Vorträge und Diskussionsbeiträge doch nachdrücklich, dass Versuche politischer Einflussnahmen auf ein Justizsystem mittlerweile nicht nur ein nationales oder europäisches, sondern ein globales Phänomen sind.
Lozan Panov, Präsident der Obersten Kassationsgerichtshofes in Bulgarien und Teilnehmer am Maiforum 2018 in Salzburg, erklärte, gegen ihn werde ein Verfahren geführt, weil er am „Marsch der 1000 Roben“ in Warschau im Jänner dieses Jahr teilgenommen hatte, welcher sich gegen die polnische Justizreform richtete. Ihm werde vorgeworfen, durch seine Teilnahme das Ansehen der bulgarischen Justiz geschädigt zu haben.
Das „Global Judicial Integrity“ – Netzwerk wurde im Jahr 2018 auf Initiative des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) in Wien gegründet. Ziel war es, die Zielsetzungen der sog. „DOHA-Declaration“ aus dem Jahr 2015 mit Leben zu erfüllen.
Das Netzwerk sollte insbesondere durch die Ausarbeitung eines universellen Ethik-Codex für Richter die nationalen Justizsysteme bei der Korruption-Prävention unterstützen.
Die in der letzten Februarwoche in DOHA stattgefundene 2. Konferenz des Netzwerkes zeigte allerdings, dass die Herausforderungen für richterliche Integrität weit über reine Korruptions-Prävention hinausgehen. Zukünftige Herausforderungen sind auch der Umgang von Richterinnen und Richtern mit sozialen Medien, elektronische Aktenführung bei den Gerichten, der Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Rechtsprechung, gendergerechte Justizsysteme und die versuchte politische Einflussnahme auf die Justizsysteme.
Königshofer, Zeller mit RichterkollegInnen aus Paraquay, Schweiz, Niederlande, Rumänien und Polen (v.l.)
All diese Themen wurden sowohl im Plenum (600 Teilnehmer aus 117 Staaten) als auch in den verschiedenen Panels behandelt. Als Vertreter der Europäischen Verwaltungsrichtervereinigung nahmen Edith Zeller und Siegfried Königshofer an der Konferenz teil.
Richter/innen und soziale Medien
Als „Gesicht“ eines Justizsystems sind Richterinnen und Richter zur Einhaltung der höchsten Standards für Integrität und Unparteilichkeit verpflichtet, da nur so das Vertrauen in das Funktionieren eines Justizsystems gewährleistet ist. Umso wichtiger ist es, bestehende ethische Dilemmas zu identifizieren und effektive Lösungen zu entwickeln.
Eines dieser Dilemmas ist der Umgang mit sozialen Medien. Das zeigte eine Vielzahl von Statements und Diskussionsbeiträgen. Soziale Medien sind unstrittig Teil des gesellschaftlichen Lebens geworden, ist doch in der Zeit zwischen 2004 und 2017 die Zahl der Menschen, die sozialen Medien nützen, auf 1,7 Milliarden gestiegen. In den Diskussionen bestand Übereinstimmung, dass Richterinnen und Richter nicht von der Nutzung dieser Medien ausgeschlossen werden können. Dies würde einerseits in Widerspruch zum Recht auf Meinungsfreiheit stehen, andererseits würden sie sich von einem Teil der gesellschaftlichen Entwicklungen abschotten. (Siehe auch: UN-Sonderberichterstatter – Leitlinien für Richter und Staatsanwälte zur Ausübung ihrer Grundfreiheiten)
Rechtsreferendarinnen haben kein Recht darauf, bei ihrer Ausbildung im Gerichtssaal ein Kopftuch zu tragen. Ein grundsätzliches Kopftuchverbot ist aber nicht zwingend. So die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Januar 2020 (Az. 2 BvR 1333/17).
Das Gericht hatte bereits im Juni 2017 einen Eilantrag gegen das Kopftuchverbot für Referendarinnen im juristischen Vorbereitungsdienst des Landes Hessen abgewiesen.
Muslimischen Rechtsreferendarinnen darf auch künftig verboten werden, bei ihrer praktischen Ausbildung im Gerichtssaal Kopftuch zu tragen. Das entschied nun das Bundesverfassungsgericht (Az. 2 BvR 1333/17). Demnach sei die Entscheidung für eine Pflicht, sich in weltanschaulich-religiöser Hinsicht neutral zu verhalten, zu respektieren.
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