In den Verfahren und Diskussionen über verbotene Doppelstaatsbürgerschaften in Österreich blieb ein Aspekt nur wenig beachtet: Jeder Bürger eines EU-Mitgliedsstaates hat gleichzeitig auch den Status eines Unionsbürgers (Art. 20 AEUV), sodass mit dem Verlust der (nationalen) Staatsbürgerschaft der Verlust der Unionsbürgerschaft und der damit verbundenen Rechte einhergeht.
Uneingeschränkter „Ex-lege“-Verlust verstößt gegen Unionsrecht.
Der EuGH hat nun einem die Niederlande betreffenden Verfahren entschieden, dass es nach dem Unionsrecht zwar grundsätzlich möglich ist, aus Gründen des Allgemeininteresses die (nationale) Staatsangehörigkeit abzuerkennen, der Verlust der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats kraft Gesetzes aber gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt, wenn die relevanten innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu keinem Zeitpunkt eine Einzelfallprüfung der Folgen dieses Verlusts für die Situation der Betroffenen aus unionsrechtlicher Sicht erlauben (Rechtssache 12. März 2019 C‑221/17).
Der Sachverständige Karl Mahringer habe seine Vertrauenswürdigkeit verloren, so das Bundesverwaltungsgericht. Er war lange Zeit der einzige gerichtlich beeidete Sachverständige für die Länder Afghanistan, Syrien und Irak.
Mahringer lebte einige Jahre in Afghanistan und war lange Zeit für Asyl-Gutachten für dieses Land zuständig. Schon im letzten Jahr hatte das Landesgericht für Zivilrechtssachen ein Überprüfungsverfahren gegen ihn durchgeführt. Mit Bescheid der Präsidentin des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien war dem 66-Jährigen die Eigenschaft als „allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger“ entzogen worden. Es gab Zweifel ob Mahringer vorschriftsmäßig arbeite.
EU-Staaten können Straftätern den Flüchtlingsstatus verweigern, entschied der EuGH. Doch auch dann gelte die Genfer Konvention: Abschiebungen seien nicht immer möglich.
Asylbewerber, die schwere Straftaten begangen haben und eine Gefahr für die allgemeine Sicherheit darstellen, können ihren Flüchtlingsstatus verlieren, nicht jedoch ihre Rechte gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention und der EU-Grundrechte-Charta. Das hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg entschieden (Rechtssachen C-391/16, C-77/17, C-78/17).
Genfer Konvention gilt uneingeschränkt
EU-Staaten haben demnach das Recht, straffälligen Geflüchteten das Asylrecht zu entziehen oder zu verweigern. Dadurch verliere jedoch die Genfer Konvention, die jedem Menschen Schutz vor Folter und anderer unmenschlicher Behandlung zuspricht, nicht an Gültigkeit. Die Richterinnen und Richter stellten klar: Wenn einem Menschen in seinem Herkunftsland Verfolgung droht, darf er nicht ohne Weiteres abgeschoben werden. Dieser Schutzanspruch gelte unabhängig davon, ob der Flüchtlingsstatus auch förmlich nach EU-Recht verliehen worden sei. Damit können zum Beispiel Fälle sogenannter Duldung gemeint sein, in denen auch abgelehnte Asylbewerber nicht abgeschoben werden.
Drei Flüchtlinge – aus dem Kongo, der Elfenbeinküste und Tschetschenien – hatten geklagt: Ihnen war in Belgien und in der Tschechischen Republik die rechtliche Stellung als Flüchtling aberkannt oder gar nicht erst zuerkannt worden, weil sie wegen besonders schwerer Verbrechen als Gefahr für die Sicherheit eingestuft wurden. Das ist gemäß einer EU-Richtlinie möglich. Nationale Gerichte aus beiden Ländern hatten die Fälle vor den EuGH gebracht.
In Österreich dürfte das EuGH-Urteil den Härtekurs der Bundesregierung gegen straffällig gewordene Flüchtlinge erschweren. Innenminister Herbert Kickl hat wiederholt angekündigt, die Aberkennung von Asyl und subsidiärem Schutz in solchen Fällen erleichtern zu wollen – mit der Option einer darauffolgenden Abschiebung. Nicht erst besonders schwere Verbrechen, sondern „jede Straftat“ solle künftig zu einer Aberkennung führen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Rückführung von Flüchtlingen in andere EU-Staaten erleichtert. Mängel im Sozialsystem stünden dem noch nicht entgegen, urteilte der Gerichtshof (Rechtssachen C-163/17, C-297/17, C-318/17, C-319/17, C-438/17).
Ein Abschiebeverbot bestehe erst, wenn in dem anderen Land eine unmenschliche und „extreme materielle Not“ drohe. Hintergrund sind mehrere Fälle, bei denen deutsche Gerichte den EuGH um Auslegung der EU-Asylregeln gebeten hatten.
Verhinderung von Rückführungen nur in Ausnahmefällen
Nach EU-Recht ist für einen Flüchtling grundsätzlich das Land zuständig, über das er erstmals in die EU gelangte. Menschenrechtler sehen die Aufenthaltsbedingungen und Lebensverhältnisse für Flüchtlinge in mehreren EU-Staaten aber als kritisch an. Zahlreiche Flüchtlinge in Deutschland machen daher geltend, eine Rückkehr in das Einreiseland sei unzumutbar und daher nun Deutschland für das Asylverfahren zuständig.
Nach den Urteilen ist das nicht ausgeschlossen, die Hürden sind aber hoch. Danach ist eine Rückführung in das Einreiseland erst dann unzulässig, wenn das Flüchtlinge „in eine Lage extremer materieller Not versetzt, die gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verstößt“.
Wie die Sicherungshaft in der Praxis funktionieren soll, da sind noch viele Fragen offen.
Welche Informationen welcher Behörde zur Verfügung stehen werden, um eine mögliche Gefährdung zu beurteilen etwa, oder mit wie vielen Fällen überhaupt gerechnet wird.
Seitens der Verwaltungsrichter-Vereinigung zeigte sich Siegfried Königshofer jedenfalls skeptisch, dass die Beamten am Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in der Lage seien, Bescheide in einer Qualität zu erlassen, welche dem Gericht eine Überprüfung der Sicherungshaft innerhalb von 48 Stunden ermöglichten. Im Regelfall seien dort juristisch nicht ausgebildete Bedienstete tätig und sei die Qualität der Entscheidungen des Bundesamtes bekannt schlecht.
Vertreter von Richtern und Rechtsanwälten warnen vor der von der Regierung geplanten Sicherungshaft. Auch Verfassungsexperten können dem Vorstoß der Regierung wenig abgewinnen.
Richtervereinigungspräsidentin Sabine Matejka befürchtet, dass die Regierung die Grundlage für weitgehendere Eingriffe in die Freiheitsrechte über Asylwerber hinaus schaffen will.
Der Präsident der Rechtsanwaltskammer, Rupert Wolff, hält die Präventivhaftpläne der Regierung für „brandgefährlich“. Einen konkreten Gesetzesvorschlag hat die Koalition bisher nicht vorgelegt. Da es sich um eine Zweidrittelmaterie handelt, ist die Zustimmung von SPÖ oder NEOS nötig.
Die Niederlande haben eines der strengsten, effektivsten und am schnellsten arbeitenden Asylwesen Europas, Kernverfahren dauern meist nur ein bis zwei Wochen. Bezüglich Sicherungshaft haben die Niederlande so wie etwa Belgien die EU-Richtlinie über die Aufnahme von Asylwerbern von 2013 umgesetzt, die in Artikel 8 Abs. 3 Buchstabe e Haft für Asylwerber ermöglicht, wenn das „aus Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung erforderlich ist“.
Die entsprechende niederländische Regel steht in Artikel 59b Abs. 1 Buchstabe d des Fremdengesetzes, das im Übrigen weitere Haftgründe vorsieht, etwa, um Identität und Staatsangehörigkeit zu ermitteln, oder beim Verdacht, die Person würde untertauchen.
Die Zahl der durch das Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl durchgeführten Asyl-Aberkennungsverfahren ist explodiert: Von 161 im Jahr 2015, auf 764 (2016) und 1.476 (2017) auf 5.438 im Vorjahr hinauf (Zahlen 2018 nur von Jänner bis November).
Das ergibt sich der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage durch das Innenministerium.
Die Zahl der tatsächlichen Aberkennungen durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist um einiges niedriger. Im Vorjahr (wieder nur bis Ende November) wurden hier 652 Fälle gezählt. In den Jahren davor waren es 325 (2017), 124 (2016) und 82 (2015).
Die Aufhebungsquote der Entscheidungen des Bundesamtes durch das Bundesverwaltungsgericht ist politisch umstritten. Die Opposition spricht von 42 Prozent, das Innenministerium geht dagegen von „nur“ 36 Prozent aus.
Volljährigkeit als Auslöser für Aberkennungsverfahren
Hannes Tretter, Leiter des Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte in Wien, nimmt in einem Beitrag in der „Presse“ Stellung zur aktuellen Diskussion über die Abschiebung straffällig gewordener Asylwerber.
„Staat muss öffentliche Sicherheit schützen“
Wenn konkrete Sicherheitsinteressen der Bevölkerung gefährdet sind, Asylanträge nicht rasch genug bewältigt werden können oder Flüchtlinge während des Verfahrens abtauchen, seien das Probleme, die ernst zu nehmen sind, so Tretter. Die aber den Staat nicht zum Zuschauen zwingen: „Die EMRK erlaubt es, auf Entwicklungen und Ereignisse zu reagieren, die öffentliche Interessen gefährden sowie Rechte und Freiheiten von Menschen beeinträchtigen“, sagt Tretter. „Denn der Staat hat eine grundrechtliche Gewährleistungspflicht der gesamten Bevölkerung gegenüber; so muss er dafür sorgen, dass sie sich möglichst sicher im öffentlichen Raum bewegen kann, und darf dabei auch die Rechte und Freiheiten anderer beschränken.“
Tretter erläutert das anhand von Fällen, in denen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschränkungen der Freizügigkeit von Strafverdächtigen geprüft hat. Dabei ging es durchwegs um Inländer der jeweils geprüften Staaten – Asylwerber, dürfen laut Genfer Flüchtlingskonvention aber nicht schlechter behandelt werden als Inländer.
Laut einer aktuellen Studie besteht für die Jahre 2011 bis 2015 eine statistisch signifikante Beziehung zwischen Klimaereignissen, Konflikten und Flucht.
Ein Forscherteam rund um den Volkswirt Jesús Crespo Cuaresma analysierte dazu Asylanträge aus 157 Ländern und verglich diese mit Klimabedingungen und Kriegstoten in den jeweiligen Herkunftsländern. „Die Studie macht deutlich, dass die wachsende Zahl an Dürreperioden und Wasserknappheit Konflikte und Krisen verstärken“, sagt Crespo Cuaresma.
Vor allem für die Zeit zwischen 2011 und 2015 würde es eine statistisch signifikante Beziehung zwischen Klimaereignissen, Konflikten und Flucht geben, sagt der Wissenschaftler. Das würde natürlich nicht ausschließen, dass es auch vor dieser Periode einen Zusammenhang zwischen den Phänomenen gab, dieser war jedoch „nicht systematisch“.
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