Kölner Silvesternacht, Asylverfahren, Dieselskandal: Nicht nur in Polen und Ungarn, auch in Deutschland wachsen Zweifel an der Bedeutung des Rechts und der Rolle der Justiz in modernen Demokratien. Was ist zu tun?
Von Andreas Voßkuhle
(Dieser Text ist eine gekürzte und leicht bearbeitete Fassung des Vortrags, den Bundesverfassungsgerichts-Präsident Andreas Voßkuhle unter dem Titel „Rechtsstaat und Demokratie“ zur Eröffnung des Juristentages in Leipzig gehalten hat.)
Der demokratische Rechtsstaat ist uns sehr vertraut, er ist aber nicht selbstverständlich. Rechtsstaat und Demokratie haben sich in Deutschland vielmehr ungleichzeitig entwickelt und stehen seit je in einem wechselhaften Spannungs- und Ergänzungsverhältnis. Beide Prinzipien finden aber zusammen im Dienste der Freiheitsidee. Die Demokratie sichert die Selbstbestimmung des Volkes, indem sie die Bildung, Legitimation und Kontrolle derjenigen Organe organisiert, die staatliche Herrschaftsgewalt gegenüber dem Bürger ausüben. Der Rechtsstaat beantwortet hingegen die Fragen nach Inhalt, Umfang und Verfahrensweise staatlicher Tätigkeit. Er zielt auf Begrenzung und Bindung staatlicher Herrschaftsgewalt im Interesse der Sicherung individueller Freiheit – insbesondere durch die Anerkennung der Grundrechte, der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und des Individualrechtsschutzes durch unabhängige Gerichte.
Das Wort Demokratie ist erst aufgrund der Einschränkung des Mehrheitsprinzips durch Gewaltenteilung und mehrheitenfeste Grundrechte, also durch Machtkontrolle, geadelt worden