EuGH weist Klagen Ungarns und Polens gegen den Rechtsstaatsmechanismus ab

Das Plenum des Gerichtshofs weist die Klagen Ungarns und Polens gegen den Konditionalitätsmechanismus ab, der den Erhalt von Mitteln aus dem Unionshaushalt davon abhängig macht, dass die Mitgliedstaaten die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit einhalten. Der EuGH entschied, dass dieser Mechanismus, die Auszahlung von EU-Geldern an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen, auf einer geeigneten Rechtsgrundlage erlassen wurde, mit dem Verfahren nach Art. 7 EUV vereinbar ist und insbesondere im Einklang mit den Grenzen der Zuständigkeiten der Union sowie mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit steht.

Am 16. Dezember 2020 erließen das Parlament und der Rat die Verordnung (EU, Euratom) 2020/2092, mit der eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union bei Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat eingeführt wird. Zur Erreichung dieses Ziels kann der Rat nach der genannten Verordnung auf Vorschlag der Kommission Schutzmaßnahmen wie etwa die Aussetzung der zulasten des Haushalts der Union gehenden Zahlungen oder die Aussetzung der Genehmigung eines oder mehrerer aus Haushaltsmitteln der Union finanzierter Programme treffen.

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Judikatur VfGH / VfGG: Wiederaufnahme des Verfahrens bei Parteianträgen auf Normenkontrolle wird zulässig

Der Verfassungsgerichtshof hat die Bestimmung des § 34 Verfassungsgerichtshofgesetz (VfGG), welche die Wiederaufnahme des Verfahrens bei Parteianträgen auf Normenkontrolle für unzulässig erklärt hat, wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes und des Rechtsstaatsprinzips als verfassungswidrig aufgehoben (G 229/2021 vom 15.12.2021).

Besondere Bedeutung der Normenkontrolle für individuellen Rechtsschutz

Der Gerichtshof sieht keine sachliche Rechtfertigung dafür, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zwar im Verfahren nach der ZPO vor den ordentlichen Gerichten vorzusehen, nicht aber auch im Verfahren vor dem VfGH, in dem subsidiär ebenfalls die ZPO anzuwenden ist, da das Rechtsschutzinteresse in allen Verfahren gleichartig ist.

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VfGH Judikatur / AuslBG: Mitwirkung der Sozialpartner bei Ausländerbeschäftigung aufgehoben

Höchstgericht kippt Mitwirkung der Sozialpartner bei Ausländerbeschäftigung

Sozialpartner werden beim AMS entmachtet. VfGH kippt die Mitbestimmung von ÖGB, Wirtschaftskammer und Co bei Beschäftigungsbewilligungen. Aufgehobene Regelung kann aber vorerst weiter gelten.

Ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs, das am Dienstag bekanntgeworden ist, wird für politischen Wirbel sorgen. Das Höchstgericht hat die Mitbestimmung der Sozialpartner bei der Vergabe von Beschäftigungserlaubnissen an Drittstaatsangehörige gekippt.

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Meinungsfreiheit: EGMR stärkt Anonymität im Netz

Österreichische Gerichte zwangen eine Zeitung rechtswidrig, die Identität von Nutzern ihres Online-Forums nach beißender Kritik an einer politischen Partei preiszugeben.

„Abschreckende Wirkung“ auf öffentliche Debatte

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat entschieden, dass Österreich mit nationalen Urteilen zur Herausgabe persönlicher Daten von Nutzern eines Online-Diskussionsforums der Zeitung „Standard“ gegen die in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Meinungsfreiheit verstoßen hat. Die Straßburger Richter betonten, dass eine Pflicht zur Offenlegung von Informationen über die User „eine abschreckende Wirkung“ auf die öffentliche Debatte hätte.

In der Auseinandersetzung ging es um die Preisgabe der Identität von drei Foren-Teilnehmern, deren Beiträge aus den Jahren 2011 bis 2013 unter anderem den österreichischen Rechtspopulisten Herbert Kickl (FPÖ) sowie die Freiheitlichen in Kärnten, eine Landesgruppe der FPÖ, zu Klagen veranlasst hatten. Die Verlagsgesellschaft hatte die Kommentare, in denen rechtsgerichtete Politiker mit Korruption oder Neonazis in Verbindung gebracht wurden, zwar geprüft und entfernt. Sie weigerte sich aber, die persönlichen Daten der Verfasser der Postings preiszugeben.

Offene Diskussion fördern

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Corona als Stresstest für den Rechtsstaat

Eilverfahren vor dem VfGH stehen angesichts der geplanten Impfpflicht zunehmend in Diskussion.

Schnell soll es gehen, am besten immer schneller, aber die Entscheidung darf dann bloß nicht unüberlegt sein – vor allem nicht, wenn sie vom Höchstgericht kommt: Die Einführung von Eilverfahren vor dem österreichischen Verfassungsgerichtshof (VfGH) steht aktuell angesichts der zahlreichen Covid-19-Maßnahmen, die diesen beschäftigen, zunehmend in Diskussion.

Zuletzt hat die oberösterreichische FPÖ diese gefordert, und zwar, um die für 1. Februar 2022 geplante Impfpflicht auf ihre Verfassungskonformität zu überprüfen. Bereits im Vorjahr, zu Beginn der Pandemie in Österreich, brachten die Neos einen diesbezüglichen Antrag im Nationalrat ein. Und auch der Präsident des Rechtsanwaltskammertages Rupert Wolff plädierte nach Erlass der ersten Covid-19-Maßnahmengesetze dafür.

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VwGH Judikatur / Richterdienstrecht: Revision gegen Dienstbeurteilung durch Personalsenat zulässig; keine Parteistellung des Personalsenats vor dem Höchstgericht 

Die Entscheidungen eines Personalsenats eines Verwaltungsgerichts (hier: BFG) können mit Revision beim Verwaltungsgerichtshof angefochten werden, auch wenn dies im Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz nicht ausdrücklich normiert ist (VwGH 28.10.2021, Ro 2021/09/0007, Ro 2021/09/0030).

Dienstbeurteilung eines Personalsenats erfolgt als „Beschluss“

Der Personalsenat des Bundesfinanzgerichts hatte für den Revisionswerber für das Kalenderjahr 2020 von Amtswegen eine Dienstbeschreibung durchgeführt und festgestellt, „unter Berücksichtigung der Kriterien des § 54 Abs. 1 RStDG“ habe sich die Gesamtbeurteilung „nicht entsprechend“ ergeben. Gemäß § 55 Abs. 2 RStDG könne der Richter gegen die Gesamtbeurteilung binnen zwei Wochen nach Zustellung der Mitteilung Beschwerde an den Personalsenat des übergeordneten Gerichtshofes erheben. Da für das Bundesfinanzgericht kein Personalsenat eines übergeordneten Gerichtshofes bestehe, sei gegen diese Mitteilung ein Rechtsmittel nicht zulässig.

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Judikatur VfGH / Epidemiegesetz: Keine finanzielle Vergütung bei Absonderung nach telefonischer Empfehlung durch „Gesundheitsnummer 1450“

Nach dem Epidemiegesetz besteht ein Anspruch auf Vergütung für entstandene Vermögensnachteile nur, wenn der Betroffene gemäß § 7 EpidemieG 1950 behördlich abgesondert wurde. Eine freiwillige Absonderung nach telefonischer Empfehlung durch einen Mitarbeiter vom Bürgerservice der „Gesundheitsnummer 1450“ führt zu keinem Anspruch auf Entschädigung, weil diese nicht hoheitlich tätig ist (VfGH 06.10.2021, E 221/2021 ua).

Freiwillige Absonderung liegt auch vor, wenn sie nach staatlicher Empfehlung erfolgt

Gemäß § 7 Abs 1a EpidemieG 1950 können zur Verhütung der Weiterverbreitung von COVID-19 kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen angehalten oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden, sofern nach der Art der Krankheit und des Verhaltens des Betroffenen eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann.

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Judikatur VwGH / Versammlungsgesetz: Keine Zuständigkeit für eine Amtsrevision gegen das  Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts , welches den Kernbereich der Grundrechte betrifft

Unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung verneint der Verwaltungsgerichtshof seine Zuständigkeit für Fragen des Eingriffs in den Kernbereich der Grundrechte (hier: Versammlungs- und Vereinsfreiheit) auch dann, wenn diese Fragen im Wege der Amtsrevision einer Behörde gegen eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichts an ihn herangetragen wurden.

Dies betrifft auch verfahrensrechtliche Fragen, welche im Zusammenhang mit einer Entscheidung eines Verwaltungsgerichts stehen, welche den Kernbereich der Versammlungs- oder Vereinsfreiheit zum Inhalt hat. Der Umstand, dass einer Behördenpartei das Beschwerderecht an den Verfassungsgerichtshof nicht zukommt, ändere nichts daran, dass die diesbezügliche Prüfungsbefugnis alleine dem Verfassungsgerichtshof zukomme.

Amtsrevision bieten keinen Anlass für Änderung der Rechtsprechung

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Rechtsstaatlichkeit: Wer Karlsruhe und Warschau gleichsetzt, irrt grundsätzlich

In einem Beitrag auf Verfassungsblog.de vergleicht Univ. Prof Alexander Thiele (Law School Berlin) das Urteil des polnischen Verfassungsgerichtshofs vom 7. Oktober 2021 mit dem Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020 zum Nachkaufprogramm der Europäischen Zentralbank.

Sein Fazit: Unabhängig davon, was man über das BVerfG-Urteil denkt, hat das polnische Urteil eine völlig andere Qualität. Es erschüttert die Grundlagen der europäischen Integration, beeinträchtigt das Funktionieren des supranationalen europäischen Justizsystems massiv und betrifft in diesem Zusammenhang in erster Linie die Zukunft.

Hier der Beitrag auszugsweise:

1. In seinen Leitsätzen stellt das polnische Gericht die Verfassungswidrigkeit zentraler primärrechtlicher Normen (Art. 1 und 19 des Unionsvertrages) fest und stellt den etablierten Vorrang des Europarechts im Hinblick auf die polnische Verfassung prinzipiell in Frage. Das Bundesverfassungsgericht akzeptiert hingegen in ständiger Rechtsprechung den Vorrang auch vor der Verfassung und hat in seinem Urteil lediglich einen einzelnen sekundären Rechtsakt einer EU-Institution für ausnahmsweise ultra-vires eingestuft.

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EuGH / Judikatur (2): Bestrafung wegen verweigerter Lenkerauskunft ist auch grenzüberschreitend zulässig

Ungarisches Gericht muss eine nach österreichischem Recht verhängte Geldstrafe wegen Verweigerung der Lenkerauskunft ungeprüft anerkennen und vollstrecken.

Wie der EuGH in der Rechtssache C-136/20 entschieden hat, darf ein ungarisches Kreisgericht die Anerkennung und Vollstreckung der von den österreichischen Behörden übermittelten Sanktionsentscheidung nicht verweigern.

Im Anlassfall war die in Ungarn wohnhafte Besitzerin eines Autos, mit dem im Juni 2018 in Österreich eine Übertretung der StVO begangen wurde, mittels Lenkeranfrage aufgefordert worden, bekannt zu geben, wer das Fahrzeug zur Tatzeit gelenkt hatte. Wegen der Verweigerung der Lenkerauskunft wurde die Ungarin in Österreich bestraft: Sie sollte 80 Euro zahlen, war hier aber nicht greifbar.

Kreisgericht zögerte mit Vollstreckung

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