Thomas Jaeger, Professor für Europarecht (Universität Wien) im „Standard“ über die Polykrise der EU und wie der Europäische Gerichtshof einigend wirkt
Vor gut zwanzig Jahren hätte ich, hätten Fachkollegen auf die Frage „Was eint Europa?“ geantwortet: die gemeinsamen Werte, auf die sich die Union gründet. Artikel 2 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) listet sie auf, etwa die Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit oder Menschenrechte und vieles mehr.
Frei von ethnischem, geografischem, historischem oder religiösem Dünkel, inklusiv statt exklusiv. In jenen Jahren der „EU-Phorie“, zwischen dem Fall der Berliner Mauer 1989 und der Ablehnung des Europäischen Verfassungsvertrags bei Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden 2005, in die auch der österreichische EU-Beitritt von 1995 fällt, schienen die Bäume der Integration in den Himmel zu wachsen. Die Schäden von 200 Jahren Nationalismus in Europa, vor allem in den Köpfen, schienen überwunden.
Polykrise der EU mit Brexit als Super-GAU