
Das Büro des CCJE (Beirat der Europäischen Richter:innen) hat eine Stellungnahme zum Disziplinarverfahren der Richter:innen am Verwaltungsgericht Wien (VGW) veröffentlicht. Dabei wurden sowohl die Rolle des Präsidenten des VGW im Disziplinarverfahren von Richter:innen beleuchtet als auch die Rolle des/der Disziplinaranwaltes/Disziplinaranwältin und die in diesem Zusammenhang bestehende Beziehung zur Exekutive und die Bestellung der Person des Disziplinaranwaltes durch die Exekutive.
Anlass der Stellungnahme war eine Anfrage der Verwaltungsrichter:innen-Vereinigung (VRV), des Dachverbandes der Verwaltungsrichter:innen (DVVR) und der Vereinigung der Europäischen Verwaltungsrichter:innen (AEAJ), da sowohl Bedenken hinsichtlich der Weisungsgebundenheit des Präsidenten betreffend die Justizverwaltung insbesondere auch im Zusammenhang mit seinen Befugnissen im Disziplinarverfahren bestanden als auch Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit in Bezug auf den/die Disziplinaranwalt/Disziplinaranwältin. Dazu kommen noch fehlende klare gesetzliche Regelungen zum Verfahren und zu den Gründen für ein Disziplinarverfahren der Richter:innen des VGW.
Das CCJE-Büro empfiehlt in seiner Stellungnahme, dass der Präsident des VGW nicht an Weisungen einer Exekutivbehörde gebunden sein darf. Doch selbst wenn der Präsident unabhängig agieren könnte, was jedoch derzeit nicht gesetzlich sichergestellt ist, sind folgende Punkte zur Wahrung der Unabhängigkeit der Richter:innen zu beachten:
- Jede Befugnis des Präsidenten, Vorerhebungen zu Disziplinarverfahren oder Disziplinarverfahren selbst einzuleiten, muss auf einem klar definierten, präzisen und kohärenten gesetzlichen Rechtsrahmen beruhen, der sowohl verfahrensrechtliche als auch materiellrechtliche Aspekte des gesamten Disziplinarverfahrens festschreibt.
- Jede Befugnis des Präsidenten, eine:n Richter:in als Untersuchungskommissär:in zu ernennen, sollte nicht die Befugnis des Präsidenten umfassen, diesem/dieser Untersuchungskommissär:in (An-)Weisungen zu erteilen. Vielmehr muss sichergestellt sein, dass der/die Untersuchungskommissär:in die Möglichkeit hat, seine Befugnisse unabhängig sowohl von der Justiz als auch von der Exekutive und allen anderen Behörden auszuüben.
- Der/die Richter:in, gegen den/die das Disziplinarverfahren eingeleitet wurde, sollte in jeder Phase, einschließlich der Vorerhebungsphase, teilnehmen und sich im Rahmen eines kontradiktorischen Verfahrens verteidigen können.
- Die Gründe, aus denen Disziplinarverfahren gegen Richter:innen eingeleitet werden können, sollten gesetzlich klar festgelegt werden.
In Bezug auf den/die weisungsfreie:n Disziplinaranwalt/-anwältin, der/die rechtskundige:r Beamter/Beamtin der Gemeinde Wien ist und von der Landesregierung bestellt wird, empfiehlt das CCJE Folgendes:
- Die Person des Disziplinaranwalts soll nicht von einer Exekutive, einschließlich der Landesregierung von Wien, ernannt werden.
- Darüber hinaus sollte eine solche Ernennung in jedem Fall mit der Garantie der Unabhängigkeit einhergehen, sodass die Person des Disziplinaranwalts seine Aufgaben frei von Interessenkonflikten und innerhalb eines klar definierten und kohärenten Rechtsrahmens wahrnehmen kann.
In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass AEAJ bereits 2019 eine Anfrage zur rechtlichen Stellung des Präsidenten des Verwaltungsgerichts Wien gestellt hat. In seinem damaligen Gutachten vom 29. März 2019 stellte das CCJE-Büro fest, dass die gesetzlichen Bestimmungen zur Rolle, Position und den Befugnissen des Präsidenten in einigen Punkten von europäischen Standards abweichen und die richterliche Unabhängigkeit untergraben können. Das CCJE-Büro hat auch konkrete Empfehlungen ausgesprochen, die jedoch nicht umgesetzt wurden, obwohl in den Rechtsstaatlichkeitsberichten der Europäischen Kommission (2020 bis 2024) auf die strukturelle Schwäche des VGW erneut und klar hingewiesen wurde.
Hier geht es zur Opinion (EN)…
Hier geht es zur deutschen Maschinenübersetzung der Opinion …
Hier geht es zur CCJE Website mit den Österreich betreffenden Opinions ….
Siehe den Beitrag zu der Stellungnahme von 2019:
Siehe auch:
CCJE Opinions (1): Die Rolle der Gerichtspräsidenten
EU-Rechtsstaatlichkeitsbericht: Weiterhin Kritik am Auswahlverfahren der Gerichtspräsidenten
EU-Kommission rügt Ernennungsverfahren für Präsidenten der Verwaltungsgerichte in ÖsterreichÖsterreich verteidigt Auswahlverfahren für Präsidenten der Verwaltungsgerichte vor dem Europarat