Reformbedarf bei den Organisationsgesetzen der Verwaltungsgerichte – Teil 1

Stellung des Präsidenten/der Präsidentin und Sicherstellung der richterlichen Unabhängigkeit

Das CCJE, der Beirat der Europäischen Richter:innen, veröffentlicht laufend Stellungnahmen (CCJE Opinions) zum Tätigkeitsbereich von Richter:innen insbesondere um deren Unabhängigkeit zu schützen und zu wahren. Speziell für Österreich liegen bereits zwei Stellungnahmen zur Situation am Verwaltungsgericht Wien (VGW) von 2019 und 2025 vor, die auch Empfehlungen zur Einhaltung europäischer Standards im Zusammenhang mit der richterlichen Unabhängigkeit enthalten. Diese sind nicht nur für das VGW von Bedeutung, sondern hätten vielmehr alle Verwaltungsgerichte zu prüfen, ob sie den Empfehlungen gerecht werden.

Bereits in der CCJE Stellungnahme vom 29. März 2019 wurden in Bezug auf die Stellung des Präsidenten aufgrund einer konkreten Anfrage zum VGW im Wesentlichen folgende Punkte hervorgehoben:

Auswahl- und Ernennungsverfahren der (Vize-)Präsident:innen

Das Auswahl- und Ernennungsverfahren für (Vize)Präsident:innen sollte dem Auswahl- und Ernennungsverfahren der anderen Richter:innen des Gerichts gleichen. Dazu gehört auch eine objektive und nachvollziehbare Bewertung der Bewerber:innen durch ein unabhängiges, richterlich besetztes Gremium, das befugt ist, Richter:innen auszuwählen. Die Mindestqualifikation sollte darin liegen, dass der/die Bewerber:in über alle erforderlichen Qualifikationen und Erfahrungen für die Ernennung zum/zur Richter:in dieses Gericht verfügen sollte.

Für die Sicherstellung der Unabhängigkeit der Justiz ist es von wesentlicher Bedeutung, dass die Entscheidungsbefugnis in Bezug auf die Auswahl, die Ernennung und die Laufbahn der Richter:innen von der Exekutive und Legislative unabhängig ist und eine klare Gewaltentrennung beachtet wird.

Weisungsgebundenheit von (Vize-)Präsident:innen der Gerichte

Am Beispiel VGW wird in der Stellungnahme des CCJE festgestellt, dass die Befugnisse des Präsidenten/der Präsidentin sehr weitreichend sind. Unter Berücksichtigung dieser umfassenden Befugnisse der Führungskräfte eines Verwaltungsgerichtes im Zusammenhang mit der Justizverwaltung wäre es sehr problematisch, wenn die Ausübung dieser Befugnisse in irgendeiner Weise durch Weisungen der Exekutive beeinflusst werden könnte. Dadurch könnte die Unabhängigkeit der Richter:innen gefährdet sein. Es sollten daher diesbezügliche Rechtsvorschriften geschafft werden, die die Weisungsfreiheit festschreiben.

Klare Regelungen der Organisations- und Allokationsbefugnisse eines (Vize-)Präsidenten/einer (Vize-)Präsidentin eines Gerichts

Die starke Position des Präsidenten/der Präsidentin in Bezug auf die Ressourcen und ihre Zuweisung könnte (in)direkt die Arbeit eines Richters/einer Richterin beeinflussen und seine/ihre Unabhängigkeit beeinträchtigen.  Die Beteiligung von Gremien gewählter Richter:innen des Gerichts wird in diesem Zusammenhang empfohlen.

Zudem wird das Erfordernis der Transparenz der Tätigkeit der Leitung eines Gerichts betont. Je mächtiger Gerichtspräsident:innen sind, desto mehr müssen diese vor ungebührlicher Einflussnahme von außen geschützt werden. Es wäre sehr problematisch, wenn die Exekutive Druck auf sie ausüben könnte und so Druck auf die Richter:innen ausüben könnte. Präsident:innen sollen Richter:innen vor äußerer Einflussnahme schützen und nicht ein Instrument für einen solchen Einfluss sein.

Struktur zur Wahrung der Unabhängigkeit

Sieht ein:e Richter:in seine/ihre Unabhängigkeit gefährdet, sollte die Möglichkeit bestehen, sich an eine unabhängige Stelle zur Überprüfung und Einleitung entsprechender Maßnahmen wenden zu können. Auch wirksame Rechtsbehelfe gegen Eingriffe in die Unabhängigkeit sollten geschaffen und gesetzlich vorgesehen werden (vgl. Recommendation Cm/Rec (2010) 12, Z 8 und 26-29).

Evaluierung der Tätigkeit des (Vize-)Präsidenten/der (Vize-)Präsidentin

Die Bewertung der richterlichen Tätigkeit des (Vize-)Präsidenten, der (Vize-)Präsidentin sollte genauso wie für alle anderen Richter:innen des Gerichts erfolgen und sollte es keine Form der Ungleichbehandlung geben.

Diese CCJE Opinion zeigt schon seit 2019 den Reformbedarf insbesondere in Bezug auf Auswahl- und Ernennungsverfahren der Richter:innen einschließlich der (Vize-)Präsident:innen bei Verwaltungsgerichten auf. Insbesondere sollen diese Verfahren von der Exekutive und Legislative unabhängig sein. Zudem bedarf es einer klar geregelten Weisungsfreiheit aller (Vize-)Präsident:innen der Verwaltungsgerichte und weitere Umsetzungsmaßnahmen zur Sicherstellung der Unabhängigkeit.

Siehe auch: Europarat: Organisations- und Dienstrecht des Verwaltungsgerichts Wien widersprechen in wesentlichen Bereichen europäischen Standards

CCJE Opinion (1): Die Rolle der Gerichtspräsidenten

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