Strafgerichtliche Verantwortlichkeit bei Missachtung von Gerichtsentscheiden und Weisungen, diese zu missachten

In Deutschland will der Bundesinnenminister trotz der entgegenstehenden Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes Berlin mit der Zurückweisung von Asylwerbern an der Grenze weitermachen; dies könnte für die Ausführenden aber auch Verantwortlichen rechtlich heikel werden, wie Patrick Heinemann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, im Legal Tribune Online (LTO) darlegt. Dabei betont er, dass es der Verfassungsrealität ganz allgemein guttun würde, wenn die Bundesregierung die Funktion und Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte respektieren würde. Das Handeln der Verwaltung und damit auch der Bundesregierung auf Rechtmäßigkeit hin zu kontrollieren und das Recht verbindlich auszulegen, sei die vornehmste Aufgabe der Verwaltungsgerichte.

Das Berliner Verwaltungsgericht hat vor kurzem in drei Fällen entschieden, dass die Zurückweisung von Asylsuchenden bei Grenzkontrollen auf deutschem Gebiet aufgrund der klaren Rechtslage und des Anwendungsvorrangs von EU-Recht (Dublin-II- und Dublin-III-Verordnung) rechtswidrig sei. Drei Somalier seien mit dem Zug aus Polen kommend ins Bundesgebiet Deutschland eingereist. Am Bahnhof Frankfurt seien sie kontrolliert und trotz eines Asylgesuchs noch am selben Tag nach Polen zurückgewiesen worden. Dagegen haben sich die nunmehr in Polen lebenden Antragsteller gewehrt. Das Berliner Verwaltungsgericht hat ihnen Recht gegeben und die Zurückweisung für rechtswidrig befunden. Sie dürfen nur mit rechtmäßiger Durchführung des sogenannten Dublin-Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats für die Prüfung des Asylantrages zurückgewiesen werden.

Der Bundesiminister des Inneren von Deutschland Alexander Dobrindt habe Anfang Mai die Zurückweisung von Asylsuchenden an der Grenze angeordnet. Dabei habe er sich auf Art. 72 über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), den sogenannten „Notlage“-Artikel, gestützt. Das Berliner Verwaltungsgericht urteilte nun, dass es „an der hinreichenden Darlegung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung“ fehle. „Die Bundesrepublik könne sich nicht darauf berufen, dass die Dublin-Verordnung angesichts einer Notlage unangewendet bleiben dürfe.“

Der Bundesinnenminister von Deutschland wolle trotzdem daran festhalten mit der Begründung, dass das Gericht nur über einen Einzelfall entschieden habe und die Richter lediglich die Begründung für das Vorgehen bemängelt hätten. Er gehe davon aus, dass eine Rechtsgrundlage für diese abweichende Vorgehensweise von der Anwendung des Unionsrechts gegeben sei, was allerdings fraglich erscheine. Die tragende Erwägung des Verwaltungsgerichts Berlin, dass es an einer Notlage im Sinne des Art. 72 AEUV fehle, die ein Abweichen vom Unionsrecht gestatte, stelle die ganze Argumentationskette der neuen Zurückweisungspraxis infrage und weise damit über Einzelfallentscheidungen klar hinaus. Fehlt es an einer Notlage, bleibe es beim Anwendungsvorrang der Dublin-Verordnung.

Werde die Rechtslage und die dazu ergangene Rechtsprechung missachtet, so stelle sich die Frage der Verantwortung. Nach § 63 Abs. 1 deutsches Bundesbeamtengesetz (BBG) tragen die Beamten des Bundes für die Rechtmäßigkeit ihrer dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung. Der Beamte könne sich daher nicht auf blinden Befehlsgehorsam berufen. Bei ihrer Ansicht nach rechtswidrigen Weisungen haben sie die Möglichkeit der Remonstration zum unmittelbaren Vorgesetzten und gegebenenfalls auch noch zum nächsthöheren Vorgesetzen; bleibe die Weisung aufrecht, müsse der Beamte sie ausführen und sei von der eigenen Verantwortung befreit. Das gelte aber nicht, wenn das aufgetragene Verhalten die Würde des Menschen verletze oder strafbar oder ordnungswidrig sei und das für den Beamten auch erkennbar sei (§ 63 Abs. 2 Satz 4 BBG). Das habe aber nicht nur disziplinarrechtliche Konsequenzen für den Beamten, sondern könne auch strafrechtlich relevant sein. Wenn aber die Rechtslage dieser aktuellen Zurückweisungspraxis schon prinzipiell entgegenstehe, könnte auch dies strafrechtlich durchaus problematisch sein. Umso mehr sei dies letztlich der Fall, wenn weitere Gerichtsentscheidungen die Zurückweisungspraxis als rechtswidrig einstufen, was in letzter Konsequenz auch dazu führe, dass sich der Minister mit der Frage seiner eigenen strafrechtlichen Verantwortlichkeit beschäftigen werde müssen.

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Hier geht es zum Beitrag in Euronews …

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