Verwaltungsrichter in Europa (2): Das englische System der Richterauswahl und -ausbildung

Hugh Howard

Der größte Unterschied zu den Justizsystemen am „Kontinent“ besteht in England und Wales einerseits darin, dass der Beruf des Verwaltungsrichters sowohl haupt- als auch nebenberuflich ausgeübt werden kann und andererseits die richterliche Tätigkeit nicht alleine Juristen vorbehalten ist.

(Vortrag von Hugh Howard, Regional Tribunal Judge in Buckinghamshire, am 25. Maiforum, Bundesfinanzgericht Wien)

Neben Juristen sind regelmäßig Laienrichter, etwa Ärzte, an den Gerichten tätig. Die Verwaltungsgerichte („Tribunals“) sind in hochspezialisierte Kammern unterteilt wie Property Chamber, Tax Chamber, Social Entitlement Chamber, Immigration and Asylum Chamber etc. Rund 80 % der Entscheidungen werden von Teilzeitrichtern getroffen.

Beteiligung von Laien bei Richterauswahl

Die Auswahl der Verwaltungsrichter erfolgt nach durchgeführter Eignungsprüfung durch eine eigens eingerichtete Richterauswahlkommission (Judicial Appointment Commission – JAC). Über eine eigene Webseite erfolgt die Stellenausschreibung für offene Richterstellen, an der sich auch interessierte Bürgerinnen und Bürger (für sog. „non-legal posts“) beteiligen können (siehe dazu: https://www.judicialappointments.gov.uk/)

Die Auswahlkommission selbst besteht aus 15 Mitgliedern darunter 6 Richter, 2 Anwälte, einem juristischen Gerichtsbedienstete und im übrigen Laien. Einer dieser Laien, derzeit ein Arzt,  führt auch den Vorsitz der Auswahlkommission. Der Umstand, dass Richter in dieser Kommission in der Minderheit sind, wird als einer der Stärken des Auswahlsystems betrachtet, da die Zusammensetzung der Kommission ihre Unabhängigkeit garantiert.

Die gesetzlichen Grundlagen, die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Arbeitsweise der Kommission sind vom Justizministerium in einem „Framework Document“ aus dem Jahr 2012 festgelegt.

Die Vorstellungsgespräche werden von einem Team mit zwei Laien und einem Richter durchgeführt. Bestandteil der Auswahlverfahren sind psychologische Tests (unter anderem ein Rollenspiel) wie auch die Bedachtnahme auf Diversität bei den Erfahrungshintergründen. Da der typische Richter in England männlich, weiß und Angehöriger des Mittelstandes ist, werden Angehörige ethnischer Minderheiten und Frauen (!) ermuntert, Richter zu werden.

Die erwünschten und überprüften Kompetenzen bestehen in Urteilsvermögen, der Fähigkeit Wissen und Zusammenhänge darlegen zu können, mit anderen kommunizieren zu können sowie IT-Kenntnissen und organisatorischen Fähigkeiten. Insbesondere wird dabei geprüft, ob Bewerber in der Lage sind, selbst zu beurteilen, ob sie diese Kriterien erfüllen (Selbstbewertung). Großer Wert wird bei der Auswahl auf die Fähigkeit zu interdisziplinärer Zusammenarbeit gelegt.

Die Teilnehmer am Auswahlverfahren stehen unter starkem Wettbewerbsdruck. So kommt es immer wieder vor, dass sich in etwa 2.500 Kandidateninnen und Kandidaten für 100 Richterstellen bewerben.

„Virtuelle“ Richterakademie

Nach der Auswahl erfolgt die Ausbildung zum Richter. Bestandteil der Ausbildung ist auch die Vermittlung der benötigten Rechtskenntnisse. Das „Judicial College“, welches mit der Ausbildung betraut ist, verfügt nicht einmal über ein eigenes Gebäude und besteht praktisch nur „virtuell“. Das College wird von zwei Richtern geleitet, einer ist für die (ordentlichen) Gerichte zuständig, der andere für die Tribunale (Verwaltungsgerichte), dazu kommen Bildungsberater, Psychologen und eine geringe Zahl von Verwaltungspersonal. Ein Großteil der Ausbildung erfolgt über sehr ausgefeilte E-learning Module.

Seit April 2019 besuchen alle neu ernannten Richter einen 2-Tages-Kurs in „Judge Craft”, welcher sich mit psychologischen Fragen, mit der Bewältigung von Stresssituationen, mit der Kommunikation mit Parteien und anderen Anforderungen beschäftigt.

Eines der größten praktischen Probleme besteht aktuell darin, dass die Nachbesetzung offener Richterstellen rund 2 ½ Jahre dauert –  davon rund ein Jahr für das Auswahlverfahren – und bestimmte Bewerber nach Ende des Besetzungsverfahrens nicht mehr zur Verfügung stehen.  Eine unbefriedigende Situation besteht darüber hinaus für jene Bewerber, die nach Ende des einjährigen Auswahlverfahrens nicht als Richter vorgeschlagen werden. Dies wird als große Schwäche des Verfahrens gesehen.  Wegen des bestehenden Richtermangels soll das Pensionsalter von 70 auf 72 Jahr hinaufgesetzt werden.

Hier geht’s zur Präsentation (nur Englisch verfügbar) …

Hier das „Framework Document” für die die Tätigkeit der „Judicial Appointments Commission“ als PDF (nur Englisch verfügbar) …

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