In seiner Entscheidung vom 07.01.2025 in der Rechtssache A.R.E. v. Griechenland (Application no. 15783/21) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) festgestellt, dass eine Verletzung ua. des Art. 3 EMRK aufgrund des „Pushback“ der türkischen Antragstellerin in die Türkei vorliegt. Der Gerichtshof vertrat die Auffassung, dass es starke Anhaltspunkte dafür gab, dass zum Zeitpunkt der behaupteten Ereignisse eine systematische Praxis der „Pushbacks“ von Drittstaatsangehörigen durch die griechischen Behörden von der Region Evros bis zur Türkei bestand. In diesem Zusammenhang wies er darauf hin, dass die Klägerin in ihr Heimatland, die Türkei, aus der sie geflohen sei, zurückgeschickt worden sei, ohne zuvor die Risiken, denen sie im Hinblick auf Art. 3 EMRK ausgesetzt gewesen sei, zu prüfen und somit ihren Antrag auf internationalen Schutz zu berücksichtigen.
Der Gerichtshof stellte fest, dass in vielen offiziellen Berichten eine systematische Praxis der griechischen Behörden beschrieben wurde, wonach Fremde, die unrechtmäßig in das griechische Hoheitsgebiet eingereist waren, um Asyl zu beantragen, aus der Region Evros und den griechischen Inseln in die Türkei zurückgeschickt wurden. Auf der Grundlage der Beschwerden und Aussagen von Personen, die behaupteten, Opfer von „Pushbacks“ an den griechischen Land- oder Seegrenzen geworden zu sein, wurde in den fraglichen Berichten ein recht einheitlicher Modus operandi der griechischen Behörden in dieser Hinsicht beschrieben. Darüber hinaus war die gleiche Feststellung sowohl von den nationalen Institutionen zur Verteidigung der Menschenrechte als auch von internationalen Organisationen wie dem Europarat oder sogar den Vereinten Nationen getroffen worden, deren Sonderberichterstatter für die Menschenrechte von Migranten bestätigt hatte, dass in Griechenland „Pushbacks“ an den Land- und Seegrenzen inzwischen im Wesentlichen gängige Praxis seien.
In Anbetracht der erheblichen Anzahl, Vielfalt und Übereinstimmung der einschlägigen Quellen gelangte der Gerichtshof zu dem Schluss, dass es starke Anhaltspunkte dafür gibt, dass zum Zeitpunkt der behaupteten Ereignisse eine systematische Praxis der „Pushbacks“ von Drittstaatsangehörigen durch die griechischen Behörden aus der Region Evros in die Türkei bestand.
Im Zusammenhang mit dem Vorbringen der Antragstellerin kam das Gericht zu dem Schluss, dass auch die Behauptungen der Klägerin hinreichend überzeugend und zweifelsfrei belegt seien. Der EGMR hat entschieden, dass Griechenland der Klägerin € 20.000 als Ersatz des immateriellen Schadens zu zahlen hat.
Der Beweis eines Verstoßes wird in jedem Einzelfall geprüft
In einem anderen Fall G.R.J. v. Griechenland (Application no. 15067/21) gab der Gerichtshof ebenso am 07.01.2025 dem Kläger aus Afghanistan hingegen nicht Recht, da er nicht beweisen konnte, dass er tatsächlich im September 2020 auf griechischen Boden gelandet und in weiterer Folge von der griechischen Insel Samos von der griechischen Küstenwache in ein Boot gezwungen und zurückgeschickt worden sei. Eine systematische Praxis von „Pushbacks“ befreie einen Antragsteller nicht von der Pflicht, Anscheinsbeweise zur Untermauerung seiner Behauptungen vorzulegen.
Ausnahmen bei schuldhaftem Verhalten
Der Gerichthof vertrat dagegen in einer Entscheidung N.D. und N.T. v. Spanien (Applications nos. 8675/15 und 8697/15 vom 13.02.2020 die Ansicht, dass keine Menschenrechtsverletzung vorlag, weil sich die Beschwerdeführer selbst in Gefahr brachten, indem sie an der Erstürmung der Grenzzäune von der spanischen Exklave Melilla am 13.8.2004 teilnahmen und dabei die Größe der Gruppe ausnutzten und Gewalt anwendeten. Der Gerichtshof bestätigte seine ständige Rechtsprechung, dass das Fehlen individueller Abschiebung der Tatsache zugerechnet werden kann, dass die Antragsteller – sofern sie wirklich Konventionsrechte geltend machen wollten – keinen Gebrauch von den zu diesem Zweck bestehenden offiziellen Einreiseverfahren machten, und somit die Abschiebeentscheidung eine Konsequenz ihres eigenen Verhaltens war. Auch wenn kollektive Abschiebungen ohne Identitätsfeststellungen, Verfahren und Rechtsschutzmöglichkeiten als unzulässige Kollektivabschiebungen gegen Art. 4 des Vierten Zusatzprotokolls zur EMRK grundsätzlich verstoßen, lag in diesem Fall jedoch keine Verletzung von Art. 4 4. Prot. EMRK vor.
Auch sah der Gerichtshof in der Entscheidung A. A. ua v. Nordmazedonien (Applications no. 55798/16 ua vom 05.04.2022 keinen Verstoß von Nordmazedonien darin, wenn sich die Antragsteller selbst in eine unrechtmäßige Situation gebracht haben, indem sie gemeinsam illegal in nordmazedonisches Gebiet eingedrungen sind und hierfür die Größe ihrer Gruppe ausgenutzt haben. Hätten die Antragsteller Rechte nach der EMRK in Anspruch nehmen wollen, hätten sie die offiziellen Grenzübergänge und die hierfür vorgesehenen Verfahren in Anspruch nehmen können. Auch hier lag daher keine Verstoß gegen Art. 13 EMRK (keine Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Kollektivausweisung).
Hier geht es zur Entscheidung des EGMR zum Fall A.R.E v Griechenland (französisch) …
Hier geht es zur Presseaussendung des EGMR zum Fall A.R.E. v Griechenland…
Hier geht es zur Presseaussendung des EGMR zum Fall G.R.J. v. Griechenland…
Siehe auch: EGMR verurteilt Griechenland wegen Pushbacks (orf.at)
EGMR-Urteil: Pushbacks in Griechenland System statt Einzelfälle (tagesschau.de)
Siehe auch dazu: Asyl- und Femdenrecht: Verwaltungsgerichtshof bestätigt rechtswidrige „Push backs“ durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in der Steiermark