Das Hass-im-Netz Bekämpfungsgesetz in der Praxis – ein Erfahrungsbericht von RA Dr.in Windhager (2)

In einem Interview mit der VRV zieht die profunde Kennerin der Materie und auf Medienrechtschutz spezialisierte Rechtsanwältin Dr.in Maria Windhager eine erste, durchwachsene Bilanz.

Problembewusstsein wurde gestärkt

Das Hass-im-Netz-Bekämpfungs-Gesetz (HiNBG) ist mit 1. Jänner 2021 in Kraft getreten. Gefragt nach den Erfahrungen zu diesem Gesetz, werden diese von RA Dr.in Windhager als durchwachsen geschildert. Als entscheidender Erfolg des Gesetzes ist hervorzustreichen, dass das öffentliche Problembewusstsein auf die Problematik gelenkt wurde. Die Ahndung und Bekämpfung von Hass im Netz und Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist als Querschnittsmaterie schon zuvor auf Basis von guten, jedoch komplexen Rechtsgrundlagen möglich gewesen, die praktische Rechtsdurchsetzung war jedoch das Problem, dies sollte durch das HiNBG verbessert werden.

Durch die Haltungsänderung ist eindeutig eine Verbesserung bei der Rechtsdurchsetzung zu verzeichnen. Wurden früher mit Hass-im-Netz in Verbindung stehende Tatbestände (z.B. Verhetzung, etc.) sowie diesbezügliche Ermittlungsmaßnahmen (z.B. Ausforschung von Userdaten auf Online-Plattformen bzw. auf Social Media) von der Staatsanwaltschaft selten herangezogen, so werden diese nunmehr als dringlicher bewertet und mit mehr Nachdruck verfolgt. Es werden die gravierenden psychischen Auswirkungen der Rechtsverletzungen für die Betroffenen gesehen, die in nicht wenigen Fällen zu Gewaltanwendungen führen. Strukturell müsste sich noch einiges verbessern, da Verfahrensschritte nach wie vor zu lange dauern und manche Rechtschutzinstrumente noch gar nicht in der Praxis angekommen sind.

Zum Beispiel sollten mit dem neu geschaffenen Instrument des Mandatsverfahrens bei den Bezirksgerichten die Betroffenen besseren und schnelleren Rechtschutz erlangen. Es handelt sich dabei um ein niederschwelliges Instrument ohne Anwaltspflicht. Leider wird das Mandatsverfahren nicht angenommen. Dies mag daran liegen, dass die Geltendmachung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen Spezialwissen erfordert. Ob eine Beleidigung in die Menschenwürde eingreift, ist für Laien nicht greifbar und allgemein aufgrund noch fehlender Judikatur schwer zu beurteilen. Oft ist auch die Angst der Betroffenen, dass aufgrund des Einspruchs im Mandatsverfahren doch das ordentliche Verfahren eingeleitet werden könnte, Grund genug, dieses niederschwellige und kostengünstige Instrument nicht in Anspruch zu nehmen. RA Dr.in Windhager verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass wohl deshalb oft Abmahnungsschreiben durch die Rechtsvertretung den Betroffenen effizienter erscheinen, auch wenn diese kostenintensiv sind.

Spezialisierung und Netzwerke sind erforderlich

Es liegt an den involvierten Organen der Rechtspflege, also Richterschaft und Staatsanwaltschaft, sich mehr zu spezialisieren, aktiver zu sein und auch zu vernetzen, um so eine bessere Durchsetzung der Rechte sicherzustellen, wobei das Tempo die größte Herausforderung darstellt. Das Spezialwissen zu dieser komplexen Materie muss von allen beteiligten Richter:innen, Staatsanwalt:innen und Rechtsanwält:innen aber auch Polizist:innen profunde sein und ständig und laufen geschult werden. Die öffentlichen Einrichtungen sind in diesem Bereich nicht ausreichend ausgestattet.

Ob und in wie weit die Betroffenen von den Beratungsstellen oder auch bei den Bezirksgerichten ausreichend und umfangreich beraten und zum Mandatsverfahren angeleitet werden, wäre interessant zu erheben. Dazu liegen keine Informationen vor.

RA Dr.in Windhager regt als Lösungsansatz an, auf die Spezialisierung und laufende Schulung zu setzen. Es handelt sich um eine sehr dynamische Materie, daher ist eine Spezialisierung und laufende Schulung unumgänglich, um den raschen Veränderungen gerecht zu werden. In ganz Österreich wäre es denkbar mit 30 bis 40 Spezialist:innen das Auslangen zu finden, wobei die Richter:innen die besten Expert:innen in diesem Bereich sein sollten. Es sollte ein Netzwerk zwischen den Expert:innen aufgebaut werden und sollte die Justiz ihr Angebot auch entsprechend vermarkten. Anlaufstellen mit entsprechendem Fachwissen sind unumgänglich.

Verantwortung des Netzwerkbetreibers

Gefragt zu aktuellen Fällen, wie etwa bei einem Kommentar mit Mordaufrufen gegen ORF-Mitarbeiter:innen und Armin Wolf, hielt die erfahrene Rechtanwältin fest, dass das HiNBG auch hier hilfreich ist, auch wenn schon vor dessen Inkrafttreten der Rechtschutz gegeben war. Bei der Verbreitung derartiger Inhalte gibt es eine Vielzahl an Möglichkeit, dagegen vorzugehen. Interessant ist, dass nun auch der Website-Betreiber zur Verantwortung gezogen werden kann. Das Haftungsprivileg führt dazu, dass ein Website-Betreiber, wenn er nicht selbst für den Inhalt verantwortlich ist, zwar nicht automatisch zur Verantwortung gezogen werden kann, er aber reagieren muss, sobald er in Kenntnis gesetzt wird. Andernfalls haftet er, als ob er selbst das Posting abgegeben hätte Ein tagesaktuelles Medium muss auch sicherstellen, dass zeitnah solche Inhalte beseitigt werden. Bei eindeutigen unzulässigen Inhalten, die ein Offizialdelikt darstellen, wie zB die Morddrohung, muss auch der Staat entsprechend agieren. Liegt kein Offizialdelikt vor, so muss die betroffene Person selbst aktiv werden.

Voraussetzung für die Bekämpfung der Hasspostings ist die persönliche Betroffenheit, was bei einer größeren Gruppe an Beleidigten schwierig wird und daher Probleme schaffen kann. Pauschal kann gesagt werden, je gravierender die Vorwürfe sind, umso größer kann das Kollektiv sein, das sich auch dagegen wehren kann. In diesem Zusammenhang muss jedoch erwähnt werden, dass „Fake News“ rechtlich nicht generell bekämpfbar sind, mag auch der öffentliche Diskurs dadurch schwer beeinträchtigt werden.

Verantwortung des Dienstgebers, Institutionenschutz

Gefragt, ob die Verwaltungsrichter:innen von der Kritik wie an der Entscheidung zur 3. Piste, die laut den Worten des VwGH – die Grenzen legitimer Kritik an gerichtlichen Entscheidungen und den entscheidenden Richter überschritten hat – nun durch das HiNBG besser geschützt sind, führt RA Dr.in Windhager aus, dass im Zusammenhang mit Hasspostings gegen Richter:innen insbesondere auch der Dienstgeber anstelle der betroffenen Person bei der Rechtsprechung tätig werden kann. Richter:innen üben die Rechtsprechungsfunktion aus und wollen sich meist nicht in den Vordergrund stellen. Es können sich auch Befangenheitsprobleme ergeben, wenn ein:e Richter:in vor einem/einer Richter:in steht. Die damals so kritisierten Richter:innen hätten jedenfalls gegen die überschießende Kritik erfolgreich vorgehen können, es ist aber durchaus verständlich, wenn Richter:innen es vorziehen, nicht an die Öffentlichkeit zu gehen. Interessant ist daher umso mehr die Klagslegitimation des Dienstgebers. Damit würde ein wichtiges Signal gesetzt werden. Es muss sich nicht der/die einzelne betroffene Richter:in diesem Verfahren aussetzen, in denen doch immer strittig sein kann, was tatsächlich gesagt werden darf und wann die Grenze des Zulässigen überschritten ist. Man muss sich grundsätzlich relativ viel gefallen lassen. In jedem Verfahren sollte daher gut und profunde überlegt werden, ob das Verfahren erfolgreich sein wird, damit die Institution des Gerichts und das angegriffene Rechtsprechungsorgan durch eine solches Verfahren keinen Schaden nimmt.

RA Dr.in Windhager führt zur Klagslegitimation des Dienstgebers in § 20 ABGB aus, dass diese Bestimmung im Gesetzwerdungsprozess umstritten war, da der/die betroffene Dienstnehmer:in nicht zustimmen muss. Sie empfiehlt aber, jedenfalls die Zustimmung des/der unmittelbar Betroffenen einzuholen, da diese:r doch zentral ins Verfahren involviert ist. Anlassfall für diese Regelung waren extreme Hasspostings gegen eine Caritas Mitarbeiterin, die auch der Institution geschadet und diese diffamiert haben. Es wurde daher mit dieser Klagsmöglichkeit des Dienstgebers an NGOs gedacht aber vor allem auch an die Justiz. Der/Die Mitarbeiter:in ist oft nur Anlass, um die Institution schlechtzumachen. Der Institutionenschutz in dieser polarisierten Welt ist in den Mittelpunkt gerückt.

Unklar ist, ob diese eigenständige Klagslegitimation des Dienstgebers überhaupt bekannt ist. Es gibt keinen bekannten Fall in der Praxis. Interessant wäre zu evaluieren, welche Fälle es gegeben hätte, in den der Dienstgeber etwas unternehmen hätte können, und gegebenenfalls welche Mittel er hätte anwenden können.

Fürsorgepflicht des Dienstgebers und Aktivlegitimation

Der Dienstgeber hat eine Fürsorgepflicht, was bedeutet, dass er Hilfestellungen geben muss, wenn auch vielleicht nur in der Form der Übernahme des Kostenrisikos. Dem Dienstgeber ist häufig nicht bewusst, dass er durchaus im Rahmen der Fürsorgepflicht, seine Mitarbeiter unterstützen und schützen muss. Gerade auch die Bezahlung der (Rechts-)Beratung erscheint sehr wichtig in diesem Zusammenhang. Wichtig ist es, aktiv zu werden und die Institutionen zu schützen. Am wichtigsten ist, die belastenden Inhalte möglichst rasch (aus dem Internet) zu beseitigen. Damit ist auch den unmittelbar Betroffenen am besten geholfen.

§ 20 Abs. 2 ABGB sieht explizit vor, dass der dort festgeschriebene Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch auch für „Organe einer Körperschaft“ gilt. Im Hinblick auf Richter:innen an Verwaltungsgerichten hängt die Frage der Aktivlegitimation daher von der jeweiligen Zurechnung der Organe zu einer Körperschaft ab.

Gemäß Art 10 Abs. 1 Z 1 B-VG ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessachen „mit Ausnahme der Organisation der Verwaltungsgerichte der Länder.“ Die Durchsetzung der Ansprüche nach § 20 Abs. 2 ABGB steht daher je nach organisatorischer Zuordnung des Organs dem Bund bzw. dem jeweiligen Land zu. Beim Bund ist der Erfahrung nach die Finanzprokuratur für am Zivilrechtsweg geltend zumachende Ansprüche zuständig. Bei den Ländern wird diese Funktion von den Ämtern der Landesregierungen direkt erfüllt, die sich dafür wiederum einer anwaltlichen Vertretung bedienen können.

Gerichtsintern sollten Vorfälle, die Ansprüche nach § 20 Abs. 2 ABGB auslösen, jedenfalls bei dem/der Präsidenten/Präsidentin als für die Justizverwaltung zuständige Stelle gemeldet werden. Diese Leitung des Verwaltunsgerichts könnte den Sachverhalt sodann an die Finanzprokuratur bzw. das jeweilige Amt der Landesregierung weiterleiten.

Role-Models

Die Rechtsanwältin findet Role-Models ganz wichtig, also bekannte Personen, die den Rechtschutz in Anspruch nehmen und den Weg (vor)zeigen, wie Rechtsschutz erlangt werden kann.

Verbessert hat sich die Situation bei große Anbietern im Bereich der sozialen Medien, die bessere Instrumentarien anbieten, um unzulässige Postings auch entfernen zu können.

RA Dr.in Windhager gibt abschließend den Rat, über die Fälle zu reden und sich nicht einfach zurückzuziehen und alles zu erdulden. Es muss niemand Verletzungen durch Hasspostings aushalten. Meist kann im Dialog die jeweils besten Lösungen gefunden werden.

Es bleibt abzuwarten, wie diese Bestimmung in der Gerichtspraxis tatsächlich zur Anwendung gelangt. Jedenfalls bedarf es dafür entsprechender Hinweise durch die von Hass-im-Netz betroffenen Arbeitnehmner:innen bzw. Organwalter:innen.

Hier geht’s zum Beitrag im Report vom 27.02.2024: Internet ohne Hass – geht das?

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