Corona-Krise: Zuerst die Pandemie, dann der Überwachungsstaat?

Im Kampf gegen den Coronavirus-Ausbruch greifen die Regierungen weltweit zu umstrittenen Überwachungsinstrumenten. Auch in Österreich.

Die Aufregung war groß, als bekannt wurde, dass der Mobilfunker A1 Bewegungsströme von Handynutzern an die Regierung lieferte. Die Daten sollten zeigen, wie und ob die sozialen Kontakte, die für die Verbreitung der neuen Lungenkrankheit verantwortlich sind, abnahmen oder nicht.

Laut Medienberichten fordert Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) jetzt auch die verpflichtende Nutzung des „Stopp Corona“-App des Roten Kreuzes. Mit dieser App können sich Nutzer mit Personen, mit denen sie in Kontakt stehen, verbinden. Falls jemand Symptome entwickelt oder positiv getestet wird, erhält man eine Benachrichtigung.

Laut Sobotka werde derzeit verfassungsrechtlich geprüft, ob für Menschen, welche die App nicht installieren, die Bewegungsfreiheit eingeschränkt bleiben soll. Wenn man die Verpflichtung zur App zeitlich befristet und mit einer Sunset-Klausel ein Außerkrafttreten vorsieht, dann sei das mit der EU-Datenschutzverordnung und der Verfassung vereinbar, berief er sich auf nicht näher genannte Experten. (siehe dazu: Der diskrete Financier der Corona-App)

Eine Zwangs-App darf es nicht geben

Gleichzeitig mehren sich die Stimmen, welche Handy-Tracking für eine untaugliche Exit-Strategie aus dem Lockdown halten. Die Behauptung, dass Südkorea die Lage so in den Griff bekommen habe, sei eine Falschaussage. (Siehe dazu : Kontrollierte Durchseuchung ist nötig)

Auch in Deutschland hält man einen gesetzlichen Blankoscheck zum Einsatz „technischer Mittel“ zur Ermittlung von Kontaktpersonen, für verfassungsrechtlich bedenklich. Eine Zwangs-App dürfe es nicht geben.

Beginn einer Ära digitaler Überwachungstechnologien ?

Mehr als 100 zivilgesellschaftliche Organisationen und Gruppen haben letzte Woche bereits davor gewarnt, dass die weltweite Coronavirus-Krise nicht als Deckmantel für den Beginn einer neuen Ära intensiver digitaler Überwachungstechnologien benutzt werden dürfe. Zudem veröffentlichte Amnesty International generelle Empfehlungen zum Umgang mit der Krise für Staaten in Europa.

In dem Schreiben forderten die Organisationen die Regierungen auf, bei der Bekämpfung der Pandemie eine Führungsrolle zu übernehmen, die sicherstelle, dass der Einsatz digitaler Technologien zur Verfolgung und Überwachung von Einzelpersonen und Bevölkerungsgruppen streng im Einklang mit den Menschenrechten erfolge. Zu den Unterzeichnenden der Erklärung gehören Amnesty International, Access Now, Human Rights Watch und Privacy International.

Überwachungsstaat, den wir jetzt schaffen, wird Corona überstehen

Für den US-Whistleblower Edward Snowden sind solche Überwachungsmaßnahmen keineswegs gerechtfertigt. Regierungen mit Überwachungsinstrumenten würden dazu tendieren, neue Gefahren als Begründung für eine weitere Verwendung zu nennen – etwa terroristische Gruppierungen. „Sie wissen schon, was du im Netz machst. Sie wissen, ob sich dein Handy bewegt. Sie wissen bald vielleicht, wie unser Herzschlag und Puls ist. Was passiert, wenn sie diese Informationen mischen und auch noch künstliche Intelligenz nutzen?“, fragt Snowden. Gerade die Verwendung von künstlicher Intelligenz in Kombination mit Überwachung macht dem ehemaligen NSA-Mitarbeiter Sorgen.

Gesichtserkennung läuft bereits in Österreich

Zwischenzeitlich wurde auf Grund einer parlamentarischen Anfrage bekannt, dass das Innenministerium seit Monaten Gesichtserkennungssoftware einsetzt. Der Testbetrieb startete Ende 2019, das Ministerium hat Zugriff auf rund zehn Millionen Gesichtsbilder. Diese stammen aus 13 Datenbanken, etwa dem Identitätsdokumentenregister, in dem Passfotos gespeichert werden, dem Fremden- oder dem Waffenregister.

Aus der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage geht auch hervor, dass das Innenministerium zwei Analyseplattformen unterhält, die auch der „Vorbeugung gefährlicher Angriffe“ dienen.

Zu den Fragen, wer auf die jeweiligen Datenbanken aktuell zugreifen kann, nach welchen Kriterien die Gesichtsbilder in den Datenbanken gesammelt werden und wer die Entscheidung trifft, ob ein Gesichtsbild in die Datenbank aufgenommen wird, teilt das Ministerium lapidar mit:

„Dies ergibt sich aus den jeweiligen Rechtsvorschriften. Die Erteilung von Rechtsauskünften ist nicht Gegenstand des parlamentarischen Interpellationsrechtes.“

In China wurden Gesichtserkennungssysteme mittlerweile so programmiert, dass sie Menschen auch einwandfrei identifizieren können, wenn diese einen Mundschutz vor dem Gesicht haben (Anti-Virus-Maßnahmen: Auf Kollisionskurs mit den Grundrechten).

Siehe dazu auch folgende weiterführende Links:

Datenschutzexperte Schrems: Verwendung von Big Data im Kampf gegen Virus „legitim“

Massenüberwachung: Die Privatsphäre als Oper des Coronavirus

Datenschutz versus Katastrophenschutz: Standortdaten als Mittel zur Bekämpfung der Corona-Pandemie

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