Verwaltungsrichter in Europa (3): Das niederländische System der Richterauswahl und -ausbildung

Annemiek Huigen. Foto: Mag. Andreas Stanek

Seit dem Jahr 2002 ist für die Richterauwahl und Ausbildung in den Niederlanden ein Justizrat als richterliches Selbstverwaltungsorgan zuständig. Dieser hat im Jahr 2010 begonnen das Auswahl- und Ausbildungsverfahren zu modernisieren, umgesetzt wird das neue  Programm seit dem Jahr 2014.

(Vortrag von Annemiek Huigen, Richterin in Amsterdam und Projektleiterin des neuen Ausbildungsprogramms, am 25. Maiforum, Bundesfinanzgericht Wien)

Richter als „Generalisten“

Der Grund für die Einrichtung eines Justizrates war das Bestreben nach einer effizienteren und kostengünstigeren Justizverwaltung in den Niederlanden .Es wurden zersplitterte Strukturen aufgelöst um Gerichte als „Insellösungen“ zu vermieden.  Die vom Justizrat verfolgte Vision des neuen Auswahl- und Ausbildungssystem war eine Modernisierung des Richterbildes. Richter sollten künftig mehr Generalisten sein und auf Grund ihrer Ausbildung in zwei der drei Fachgebiete Straf-, Zivil- und Verwaltungsrecht tätig sein können.  Die so geschaffenen Einsatzmöglichkeiten sollte auch eine flexiblere Organisation der Gerichte ermöglichen. Eine Trennung des Auswahl- und Ausbildungsverfahrens für die einzelnen Sparten der Gerichtsbarkeit gibt es daher nicht. Eine eigene Ausbildungsschiene besteht nur für Staatsanwälte.

In den Niederlanden sind insgesamt 2.500 Richter tätigt, welche rund 1,6 Millionen Verfahren pro Jahr abwickeln. Die 17 Distrikts-Gerichte sind Eingangsgerichte für alle Arten von Verfahren, erst im Berufungsverfahren gibt es drei spezialisierte Gerichte für Verwaltungsverfahren und ein Berufungsgericht für alle anderen Verfahren. Sonderregelungen gibt es für das Steuerrecht.

Neubewertung des Richterbildes

Die Modernisierung des Auswahl- und Ausbildungsverfahren war eine Reaktion auf gesellschaftliche Änderungen. Der Justizrat nahm eine Neubewertung des Berufsprofils der Richter vor. Das neue Auswahl- und Ausbildungsverfahren  zielt weniger auf Fachkenntnisse, sondern mehr auf die Kompetenzen der Bewerberinnen und Bewerber ab, ihr analytisches Verständnis und ihr soziales Verständnis. Ehrenamtliche Tätigkeiten haben dabei einen besonderen Stellenwert. Von Bewerberinnen und Bewerbern wird gefordert, über gesellschaftliche Vorgänge Bescheid zu wissen. Sie sollen in der Lage sein, den Konflikt hinter dem Fall zu sehen. Bei der Entwicklung eines neuen Anforderungsprofils hat sich der Justizrat von der Erasmus-Universität in Rotterdam beraten lassen.

Vorauswahl durch Richterakademie

Bewerberinnen und Bewerber müssen über eine zumindest zweijährige Berufserfahren verfügen. Der erste Filter im Aufnahmeverfahren sind Tests zur Kompetenzfeststellung. Daran anschließend gibt es weitere Auswahl-Tools wie etwa prädiktive Tests oder sog. „Dark“- Test, die dazu dienen sollen, psychische Problemen oder Suchtprobleme bei Bewerberinnen und Bewerbern festzustellen.

Auf Basis der Testergebnisse erfolgt ein Assessment-Verfahren durch einen gemischten Ausschuss der mit je 6 Richtern und 6 Laien besetzt ist. Wenn dieser Ausschuss eine Aufnahme befürwortet, kann sich der Bewerber/die Bewerberin bei einem Gericht für eine offene Richterstelle bewerben. Die Entscheidung dafür liegt alleine beim Gericht, dieses entscheidet, ob ein Bewerber/eine Bewerberin zum Gericht „passt“.

„Maßgeschneiderte“ Ausbildung, Unterstützung durch „Trainee Judge“

Bei einer positiven Entscheidung durch das Gericht beginnt die Ausbildung (initial Training). Dabei werden die Vorkenntnisse und Berufserfahrungen der Bewerberinnen und Bewerber berücksichtigt und die Ausbildung darauf abgestimmt. Je nach Vorkenntnissen und Vorerfahrungen dauert die Ausbildung zwischen 15  Monaten und 4 Jahren. Kernpunkt der Ausbildung ist ein „Training on the job“, ergänzt mit theoretischen Lehrgängen und 3-monatigen Assessment-Gesprächen.

Eine ganz besondere Rolle kommt hier dem sog. „Trainee Judge“ zu, ein erfahrener Kollege/erfahrene Kollegin, welche das Ausbildungsverfahren unterstützend und beratend begleiten, ähnlich einem Coach. Diese „Trainee Judge“ nehmen auch keine Beurteilung des Ausbildungserfolges vor.

„Clustering“ von Kompetenzen

Neben der praktischen Erfahrung wird eine „Clustering“ von Kompetenzen angestrebt und zwar in den Bereichen Verhandlungsvorbereitung, Verhandlungsführung, Urteilstechnik, richterlicher Ethik, Kooperation und Kommunikation. Aufgabe der Bewerberinnen und Bewerber ist es in dieser Phase auch, Netzwerke zu anderen neuen Kolleginnen und Kollegen herzustellen, da dadurch hohe Lerneffekte erwartet werden.

Nach Ende der Ausbildung gibt der gemischte Ausschuss auf Grund der Ausbildungsergebnisse eine Empfehlung ab, ob ein Kandidat/eine Kandidatin ernannte werden soll oder nicht.

Die Stärken des neuen System werden in der sehr geringen „Drop-out“-Rate gesehen, in der einheitlichen und unabhängigen Überprüfung der Eignung von Bewerberinnen und Bewerber, der großen Diversität durch die Vielzahl unterschiedlicher Bewerberinnen und Bewerber, der Praxisbezogenheit und dem maßgeschneiderten Ausbildungsmodulen.

Nachteile werden in der Komplexität des Auswahl- und Ausbildungsverfahrens gesehen und in dem Umstand, dass hoch talentierte Bewerber direkt von der Universität nicht direkt in ein Ausbildungsprogramm übernommen werden können.

Hier geht’s  zur Präsentation (nur Englisch verfügbar) …

Hier geht’s zur Webseite des niederländischen „Training and Study Center for the Judiciary“ …

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