
Der Dachverbandes der Verwaltungsrichter:innen (DVVR) betont in einer Stellungnahme zum Gutachten des CCJE über systemische Mängel an Disziplinarverfahren beim Verwaltungsgericht Wien, dass die dort aufgezeigten Probleme sich auch in Disziplinarverfahren bei anderen Verwaltungsgerichten zeigen. Zudem bestehen darüber hinausgehende Problemfelder: Bei kleinen Einheiten von Landesverwaltungsgerichten wird das Disziplinarverfahren häufig (in 7 von 9 Fällen) im eigenem Haus abgehandelt, was fast zwangsläufig zu Befangenheiten der entscheidenden Richter:innen führt; die Einleitung von Disziplinarverfahren obliegt meist weisungsgebundenen Präsident:innen und Disziplinaranwälte sind durchwegs gegenüber der Verwaltung weisungsgebunden.
Im demokratischen Rechtsstaat gewährleisten unabhängige Verwaltungsgerichte die getreue Umsetzung des Rechts, das vom Volk ausgeht, durch die Verwaltung. Die gesetzestreue Kontrolle durch die Gerichte wird letztlich auch durch die disziplinarrechtliche Verantwortung aller Richter:innen sichergestellt. Disziplinarverfahren müssen aber einer möglichen Einflussnahme durch jene entzogen sein, die der Kontrolle der Verwaltungsgerichte unterliegen.
Das Büro des CCJE hat ein Gutachten zu Disziplinarverfahren gegen Richter:innen am Verwaltungsgericht Wien (VGW) herausgegeben. Dabei wurden sowohl die zentrale Rolle des Präsidenten des VGW in Disziplinarverfahren gegen Richter:innen als auch jene des/der Disziplinaranwaltes/Disziplinaranwältin, die Bestellung der Person des Disziplinaranwaltes durch die Verwaltung und deren Verhältnis zur Verwaltung behandelt.
Das Büro des CCJE empfiehlt, dass der Präsident des VGW nicht an Weisungen einer Exekutivbehörde gebunden sein soll. Doch selbst wenn der Präsident unabhängig handeln könnte – was jedoch derzeit nicht gesetzlich sichergestellt ist – sind folgende Punkte zur Wahrung der Unabhängigkeit der Richter:innen zu beachten:
• Jede Befugnis des Präsidenten, Vorerhebungen zu Disziplinarverfahren oder Disziplinarverfahren selbst einzuleiten, muss auf einem klar definierten, präzisen und kohärenten gesetzlichen Rechtsrahmen beruhen, der sowohl verfahrensrechtliche als auch materiellrechtliche Aspekte des gesamten Disziplinarverfahrens festschreibt.
• Jede Befugnis des Präsidenten, eine:n Richter:in als Untersuchungskommissär:in zu ernennen, sollte nicht die Befugnis des Präsidenten umfassen, diesem/dieser Untersuchungskommissär:in (An-)Weisungen zu erteilen. Vielmehr muss sichergestellt sein, dass der/die Untersuchungskommissär:in die Möglichkeit hat, seine Befugnisse unabhängig sowohl von der Justiz als auch von der Exekutive und allen anderen Behörden auszuüben.
• Der/die Richter:in, gegen den/die das Disziplinarverfahren eingeleitet wurde, sollte in jeder Phase, einschließlich der Vorerhebungsphase, teilnehmen und sich im Rahmen eines kontradiktorischen Verfahrens verteidigen können.
• Die Gründe, aus denen Disziplinarverfahren gegen Richter:innen eingeleitet werden können, sollten gesetzlich klar festgelegt werden.
Für den/die Disziplinaranwalt/-anwältin, der/die rechtskundige:r Beamter/Beamtin des Landes Wien ist, von der Landesregierung bestellt wird und (ausschließlich) in seiner/ihrer Funktion als Disziplinaranwalt/ anwältin weisungsfrei ist, empfiehlt das CCJE Folgendes:
• Die Person des Disziplinaranwalts soll nicht von einer Exekutive, einschließlich der Wiener Landesregierung, ernannt werden.
• Darüber hinaus sollte eine solche Ernennung in jedem Fall mit der Garantie der Unabhängigkeit einhergehen, sodass die Person des Disziplinaranwalts seine Aufgaben frei von Interessenkonflikten und innerhalb eines klar definierten und kohärenten Rechtsrahmens wahrnehmen kann.
Das Vertrauen des Volkes in die Gerichtsbarkeit fußt auf dem Vertrauen in die Unabhängigkeit der Gerichte und aller Richter:innen. Ein Einfluss auf die Verantwortlichkeit der Richter:innen durch jene, die der Kontrolle der Gerichte unterliegen, gefährdet diese Unabhängigkeit und damit das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit und in den demokratischen Rechtsstaat.
Hier geht es zur Stellungnahme …
Hier geht es zur Opinio des Büros des CCJE vom 15.10.2025 (EN)…
Siehe auch:
Reformbedarf bei den Organisationsgesetzen der Verwaltungsgerichte – Teil 1
Reformbedarf bei den Organisationsgesetzen der Verwaltungsgerichte – Teil 2
Systemische Mängel beim Disziplinarverfahren gegen Richter:innen des VGW