VfGH hebt Regelung zum Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden im Oö. NSchG auf

Der Verfassungsgerichtshof stellt in seinem Erkenntnis vom 03.12.2024, G10/2024 fest, dass die Erforderlichkeit einer Abweichung von der in § 13 VwGVG vorgesehenen Regelung der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden im Oö NSchG nicht vorliegt.

§ 43a Abs. 1 Natur- und Landschaftsschutzgesetz 2002 (Oö NSchG 2001) regelt – in Abweichung von § 13 VwGVG –, dass in den Angelegenheiten des Oö NSchG 2001 Bescheidbeschwerden keine aufschiebende Wirkung haben, wenn durch den angefochtenen Bescheid eine Berechtigung eingeräumt wird. Dieser Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gilt allerdings nicht generell und ausnahmslos. Die aufschiebende Wirkung ist auf Antrag der beschwerdeführenden Partei gemäß § 43a Abs. 2 Oö NSchG 2001 von der Behörde zuzuerkennen, „wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit der Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung für die beschwerdeführende Partei ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.“

Der VfGH betont zunächst, dass von den allgemeinen Bestimmungen der Verfahrensgesetze abweichende Regelungen nach Art. 136 Abs. 2 B-VG nur dann „erforderlich“ sein können, wenn sie nicht anderen Verfassungsbestimmungen, wie etwa dem Rechtsstaatsprinzip und dem daraus abgeleiteten Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes, widersprechen.

Effektivität des Rechtsschutzes

Im Hinblick auf den Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes hat der Gesetzgeber bei der Regelung der vorläufigen Wirkung zulässiger Rechtsmittel bis zur Entscheidung darüber neben der Stellung des Rechtsmittelwerbers auch Zweck und Inhalt der Regelung, die Interessen Dritter sowie das öffentliche Interesse zu berücksichtigen und muss unter diesen Gegebenheiten einen Ausgleich schaffen, wobei dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfes der Vorrang zukommt und die Einschränkung dieses Grundsatzes nur aus sachlich gebotenen, triftigen Gründen zulässig ist.

Diese rechtsstaatlichen Vorgaben betreffen nach Auffassung des VfGH alle Arten von behördlichen Verfahren und ist nicht nur auf die Position des Rechtsschutzsuchenden, sondern auch auf die Interessen Dritter sowie auf das öffentliche Interesse abzustellen. Eine automatische Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels kraft Gesetzes, wie sie § 13 Abs 1 VwGVG vorsieht, ist gleichwohl nicht gefordert.

Im Zusammenhang mit § 78 Abs. 1 GewO 1994 in der Stammfassung BGBl 194/1994 wurde ausgesprochen, dass der ausnahmslose Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von (damals) Nachbarberufungen gegen Betriebsanlagengenehmigungsbescheide dem Rechtsstaatsprinzip widerspricht (VfSlg 16.460/2002). Der VfGH hat zugleich jedoch deutlich gemacht, dass eine Regelung unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten verfassungskonform sein kann, wenn sie den wirtschaftlichen Interessen des Genehmigungswerbers entgegenkommt und diesem „im Regelfall bereits während des Laufes eines gegen die Genehmigung gerichteten Rechtsmittelverfahrens die vorläufige Inanspruchnahme seiner Genehmigung“ gestattet.

Die in VfSlg 16.460/2002 und 19.969/2015 dargelegten Erwägungen des VfGH zum Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes sind auf die mit § 56 Oö BauO 1994 im Wesentlichen wortlautidente Regelung des § 43a Oö NSchG 2001 übertragbar. Auch diese Bestimmung ermöglicht es der Verwaltungsbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht, einer Beschwerde gegen die erteilte naturschutzrechtliche Bewilligung bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 43a Abs. 2 Oö NSchG 2001 die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Im Rahmen dieser Entscheidung hat die Verwaltungsbehörde bzw. das Verwaltungsgericht umfassend die öffentlichen Interessen sowie die Interessen des Bewilligungswerbers und alle geltend gemachten (auch öffentlichen) Interessen der Rechtsmittelwerber gegeneinander abzuwägen.

Dass aus der Umsetzung eines von der Naturschutzbehörde bewilligten Vorhabens vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes mitunter irreversible Nachteile für die Natur und Landschaft resultieren können, kann und muss von der Behörde bei ihrer Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung (zentral) beachtet werden. § 73 Abs. 1 AVG verpflichtet die Behörde – in rechtsstaatlich gebotener Weise – überdies, derartige Entscheidungen zur Vermeidung solcher Nachteile mit Blick auf das konkrete Vorhaben und dessen potentiell irreversible Nachteile für die Schutzgüter des Oö NSchG 2001 „ohne unnötigen Aufschub“ zu treffen. Sie hat dabei nicht die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zu beurteilen, sondern ausschließlich die oben dargestellte Interessenabwägung vorzunehmen.

Da § 43a Oö NSchG 2001 – auf Grund eines Antrages der beschwerdeführenden Partei – die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung vorsieht und im dazu zu führenden Provisorialverfahren der Behörde eine Abwägung aller relevanten Interessen, darunter insbesondere auch jene der beschwerdeführenden Partei, zur Pflicht macht, widerspricht diese Bestimmung nicht dem Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes.

Mangelnde Erforderlichkeit einer von § 13 VwGVG abweichenden Regelung

Vom VwGVG abweichende Regelungen dürfen nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes „unerlässlich“ sind. Die „Unerlässlichkeit“ einer abweichenden Regelung in einem Materiengesetz kann sich dabei aus besonderen Umständen oder aus dem Regelungszusammenhang mit den materiellen Vorschriften ergeben. Die von §13 VwGVG abweichende Regelung des §43a Oö NSchG 2001 ist jedenfalls schon im Hinblick auf Beschwerden von berechtigten Umweltorganisationen nicht „unerlässlich“.

Berechtigte Umweltorganisationen sind gegen näher definierte Bescheide zur Beschwerde legitimiert, die insbesondere Vorhaben mit Auswirkungen auf Europaschutzgebiete bzw. Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung oder auf geschützte Pflanzen- und Tierarten zum Gegenstand haben. Potentielle Beeinträchtigungen der damit betroffenen Schutzgüter auf Grund der Umsetzung von mit solchen Bescheiden bewilligten Vorhaben können typischerweise nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr zur Gänze reversibel sein.

Der VfGH kann vor diesem Hintergrund nicht erkennen, dass die allgemeine Bestimmung des § 13 Abs. 2 VwGVG betreffend den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden gemäß Abs. 1 leg cit zu eng gefasst ist. Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung ist keine bloß theoretische Möglichkeit. Bei der Entscheidung über die Zuerkennung oder Aberkennung der aufschiebenden Wirkung darf (nämlich) nicht allein auf die Position des Rechtsschutzsuchenden abgestellt werden. Vielmehr müssen – unter Wahrung des Grundsatzes der Effektivität des Rechtsschutzes – auch die Interessen anderer Verfahrensparteien sowie öffentliche Interessen berücksichtigt werden.

In Übereinstimmung mit diesen Anforderungen ist das Tatbestandsmerkmal „Gefahr in Verzug“ in § 13 Abs. 2 VwGVG so zu verstehen, dass mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung (zwar nicht jeglicher Nachteil, wohl aber) „das Eintreten erheblicher Nachteile für eine Partei bzw. gravierender Nachteile für das öffentliche Wohl“ verhindert werden soll. In die nach dieser Bestimmung von der Behörde „im Einzelfall vorzunehmende Interessenabwägung“ sind deshalb, neben den vom Rechtsschutzsuchenden geltend gemachten Interessen, (auch) die mit dem verwaltungsbehördlich bewilligten Vorhaben verfolgten privaten und öffentlichen Interessen – entsprechend gewichtet – einzustellen.

Die Bestimmung des § 43a Oö NSchG 2001 idF LGBl 35/2014 war daher als verfassungswidrig aufzuheben und ist nicht mehr anzuwenden.

Hier geht’s zur Entscheidung des VfGH vom 03.12.2024, G 10/2024 ua

Siehe dazu bereits: Gesetzesprüfungsantrag zum Oö. NSchG zur Rechtmäßigkeit des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden

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