
In der gemeinsam mit der DVVR und der RIV organisierten Veranstaltung der Universität Graz zum Thema „Verwaltungsgerichtlicher Vergleich – Follow-up“ zu der ersten bereits im Herbst 2024 in Graz stattgefundenen Veranstaltung erfolgte eine fundierte Auseinandersetzung, ob es ein solches „Verwaltungshandeln“ braucht und in welchen Materien dies vorteilhaft erscheint und wie dies in das österreichische System implementiert werden könnte.
In der grundlegenden Betrachtung dazu wurde auch festgehalten, dass das Hinwirken auf einen Ausgleich der einander widersprechenden Interessen gem. § 43 Abs. 5 AVG auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Anwendung finde, jedoch nicht als Rechtsgrundlage für einen Prozessvergleich ieS ausreichend sei und der Ausgleich nicht den Rechtsstreit formal beende. Aufgrund der grundsätzlich anderen Verfahrensgrundsätze im Verwaltungsverfahren (Offizialmaxime und Grundsatz der materiellen Wahrheit) im Vergleich zum Dispositionsgrundsatz im Zivilverfahren sei eine gleichförmige Anwendung nicht denkbar. Zudem gebe es auch verfassungsrechtliche Grenzen allen voran durch das Legalitätsprinzip, aber auch durch die Kompetenzverteilung und der Grundrechte. Insbesondere aufgrund des Gleichheitssatzes sei nur in spezifischen Materien ein verwaltungsgerichtlicher Vergleich vorstellbar, wo dispositives Verwaltungsrecht anzuwenden ist.
Es wäre sohin neben der dazu erforderlichen Verfassungsänderung zum Legalitätsprinzip auch bundesgesetzlich Verfahrensbestimmungen im VwGVG vorzusehen und schließlich wohl auch die entsprechenden materienrechtlichen konkreten Zulässigkeiten eines solchen Vergleichs zu schaffen. Um dem Gleichheitssatz Genüge zu tun, wäre es erforderlich, Vergleiche transparent zu machen und entsprechend zu begründen. Die Rechtskonformität und deren Überprüfbarkeit durch den VwGH bzw. VfGH müsste sicherstellt sein, was angesichts des Revisionsmodells derzeit fraglich sei und dahingehend ebenso Anpassungsbedarf erfordern würde.
Es wurde in weiterer Folge konkret in den speziellen Materien des Dienst- und Besoldungsrechts, UVP-Verfahren und Steuerrecht von den verschiedenen Stakeholdern die Vor- und Nachteile von den Befürwortern als auch Kritikern einer solchen verwaltungsgerichtlichen Vergleichsmöglichkeit beleuchtet. Im Vergleich zu Deutschland – das den Verwaltungsvertrag als weitere Form des Verwaltungshandelns mit entsprechendem Rechtsschutz seit langem – wenn auch nur in geringen Fällen – praktiziert – wurde insbesondere von Ralf Schenke von der Universität Würzburg betont, dass diese Handlungsform eine alternative Form zu Entscheidungsbefugnis in der Sache vor dem Verwaltungsgericht sei. Ob dies in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren so eingeführt werden könne, wo die Sache des Verfahrens und die zu berücksichtigenden Parteien und Interessen oft sehr eingeschränkt seien, sei fraglich. Deshalb wurde vielmehr betont, dass der Vergleich bereits im Behördenhandeln geeigneter sein könnte.
Im Übrigen wurde diskutiert, dass nur eine Vergleichsmöglichkeit zum Sachverhalt aufgrund der Offizialmaxime und materiellen Wahrheit und nur dann als zulässig und sinnvoll erscheine, wenn sich die Behörde mit der Partei auf einen Sachverhalt einige, der mangels weiterer Beweise oder der Aufwändigkeit der weiteren Erhebungen angebracht sei. Jedoch soll auch dahingehend sichergestellt werden, dass nicht der Dispositionsgrundsatz eingeführt werde. Auch vor einem „Vergleichspressen“, wie dies dem Zivilverfahren nachgesagt werde, bzw. der „Sogwirkung“ von Vergleichen wurde wiederholt gewarnt.
In der anschließenden Podiumsdiskussion erfolgte eine abschließende Bewertung der verschiedenen Stakeholder aus deren Perspektive. Es wurden die Fragen aufgeworfen, ob ein verwaltungsgerichtlicher Vergleich zur Beschleunigung des Verfahrens und Entlastung der Verwaltungsgerichte als geeignet und erforderlich erachtet wird, als Beitrag für Rechtsfrieden und Rechtssicherheit gesehen oder wegen Rechtschutzdefizite und möglicher Beeinträchtigung öffentlicher Interessen kritisch betrachtet oder gar abgelehnt wird? Wie ist in jenen Fällen ein Vergleich vorstellbar, denen asymmetrische Verhältnisse (Staat – Privater) zugrunde liegen? Kann die Einführung eines verwaltungsgerichtlichen Vergleichs vielleicht sogar zu einer Rechtschutzzunahme führen und mit der Einführung von Verträgen öffentlichen Rechts eine Verbesserung des Rechtschutzes ähnlich dem System in Deutschland bewirkt werden?
Die Vertreterin der Industriellenvereinigung KITRE Judith Obermayr-Schreiber wies auf die überbordende Reglementierung der Verfahren hin, die zu übermäßig aufwendigen und langen UVP-Verfahren führten. Die Verfahren sollte daher vereinfacht und verschlankt werden, mit strikteren Vorgaben beim Artenschutz und Interessen, die geltend gemacht werden können.
Der Vertreter des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages Walter Schwartz befürwortete grundsätzlich die Idee einer Verfahrensbeschleunigung, jedoch sei ein umfassender Umbau des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erforderlich, wenn der Vergleich eingeführt werden soll. Nur mit einer Verfassungsänderung und mit eigenen Rechtschutz wäre die Einführung eines Vergleiches möglich. Die Vorhersehbarkeit des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sei wichtig, was durch die Einführung von Vergleichen nicht mehr gegeben sei. Aufgrund der Unterschiede zum Zivilverfahren, passe ein Vergleich nicht ins System des Verwaltungsverfahrens, da öffentliche Interessen von Amts wegen wahrzunehmen seien. Im Zivilverfahren führe der fehlende Rechtschutz und die Nichtvorhersehbarkeit insbesondere auch durch das „Vergleichspressen“ zu Defiziten. Diese Entwicklung solle im Verwaltungsverfahren vermieden werden. Es gebe für ihn keinen nachvollziehbaren Grund, weshalb Richter:innen einen Vergleich wollen und darin einen Mehrwert sehen.
Der Vertreter der Präsidentenkonferenz der Verwaltungsgerichte Klaus Wallnöfer betonte, dass Verwaltungsökonomie eine wichtige Rolle spiele und eine effiziente, sparsame und rasche Verwaltungsgerichtbarkeit immer angestrebt werde. Er erinnerte an den Österreich Konvent, in dem der Verwaltungsvergleich auch schon angedacht wurde. Es sollte zur Verbesserung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens keine Denkverbote geben. Das Ziel eines solchen Vergleichs sollte jedoch nicht die Verfahrensbeschleunigung und Entlastung der Gerichte sein. Die Verfahrensdauer dürfe nicht auf Kosten der Rechtssicherheit und Rechtsrichtigkeit verkürzt werden. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren habe sich nun seit 10 Jahren sehr gut etabliert, sei transparent und rasch, wie dies auch die Resümees zu 10 Jahre Verwaltungsgerichtsbarkeit gezeigt hätten. Das Legalitätsprinzip, die Offizialmaxime und die verfahrensrechtlichen Vorgaben eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens stünden im Widerspruch zum Dispositionsgrundsatz, wie er im Zivilverfahren vorherrsche. Dispositionen über öffentliche Interessen müssten transparent und nachvollziehbar erfolgen. Auch warnte er vor einer möglichen „Sogwirkung“, auf die schon von mehreren Vortragen kritisch hingewiesen wurde, und mahnte zu einem sparsamen Umgang eines solchen Vergleichs. Die möglichen gesellschaftlichen Auswirkungen müssten berücksichtigt werden, damit nicht der Eindruck entstehe, dass über öffentlich-rechtliche Ansprüche im Hinterzimmer disponiert werde.
Der Vertreter des Österreichischen Gemeindebunds Johannes Pressl berichtete von einer Verhandlung vor dem Landesverwaltung Niederösterreich nach dem Wasserrechtsgesetz, nachdem der seit 100 Jahren bestehender Konsens abgelaufen sei. Im Zuge der Verhandlung sei ein Ausgleich und eine Einigung der Parteien versucht worden. Zum Zweck der Regionalentwicklung sei das Zusammenreden dringend notwendig und seien gerichtliche Entscheidungen und gesetzliche Klarheit wichtig. Er betonte auch, dass im Zusammenhang mit einem Baukartell eine Lösung nicht durch einfaches Zusammensetzen für die Erarbeitung eines „Deals“ möglich gewesen sei, sondern erst der Druck für Lösungen durch das verwaltungsgerichtliche Verfahren ausgelöst worden sei. Kritisch beurteilte er Großinfrastrukturprojekte, wie etwa auch Windräder, bei denen sich Dritte beteiligen dürften, ohne beteiligt zu sein. Verhandlungen in diesem Kontext fände er schädlich und beurteilte den Beitrag von Gerichtsverfahren positiv, in dem sie über die Stellung und Rechte der Parteien absprechen.
Der Vertreter der Universität Graz Harald Stelzer führte zu den unterschiedlichen Gerechtigkeitskonzepten in der politischen Philosophie aus. Neben der distributiven Gerechtigkeit (welche Interessen kommen zum Zug?) gebe es die prozedurale Gerechtigkeit, die entweder Input orientiert (Wer ist beteiligt und wessen Interessen werden gehört?) oder Output orientiert (Qualität des Urteils, Rechtssicherheit) zu sehen sei. Es stelle sich daher die Frage, nach welchen Kriterien die Entscheidung zu bewerten sei, da die Konzepte nicht übereinstimmen müssen. Jedenfalls müsse dem Legalitätsprinzip entsprochen werden und öffentliche Interessen berücksichtigt werden. Bei jeder Entscheidung stellen sich auch die Fragen: Wenn der eine recht hat, hat der andere nicht recht? Oder geht es vielmehr um die Frage der Richtigkeit der Entscheidung? Er finde, dass eine Beschleunigung der umfangreichen Verfahren (wie UVP) notwendig sei.
Seitens des Vizepräsidenten des DVVR Michael Fuchs-Robetin wurde erörtert, dass die Verfahrenserleichterung und Verfahrensbeschleunigung mit der Idee der Schaffung des Vergleichs angedacht worden seien. Barbara Weiß, Sektionsobfrau der RIV, betonte zu dem 380-kV-Salzburg Verfahren, dass aufgrund der Vielzahl an Normen und Interessen, die im UVP-Verfahren zu beurteilen seien, eine schnellere Erledigung im verwaltungsgerichtlichen Bereich nicht möglich sei.
Dies bestätigte auch der Senatspräsident des VwGH aD Meinrat Handstanger, warnte jedoch davor, das ZPO Modells eines Vergleichs in das verwaltungsgerichtliche Verfahren zu übertragen. Es müsse vielmehr die Begründung und Transparenz sichergestellt werden. Ein „Vergleichspressen“ dürfe jedenfalls im verwaltungsgerichtlichen Bereich nicht erfolgen. Er wies auch die Kritik an der Länge der Verfahren zurück, da die Dichte der Regelungen keine Erfindung der Gerichte sei. Die überbordende Reglementierung sei daher nicht auf Seite des Gerichtsverfahrens zu lösen, sondern vielmehr sei der Gesetzgeber gefordert, die Regeln zu überprüfen und gegebenenfalls zu verringern.
Schwartz betonte, dass er die Notwendigkeit einer derartigen Vergleichsmöglichkeit im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in Frage stelle, da entsprechende Einigungen auch in der jetzigen Erledigungsform einer Entscheidung möglich sei. Das Verfahren werde in der jetzigen Form transparent und klar sowie rasch abgewickelt und funktioniere gut. Die Einführung eines Vergleichs mit der Konsequenz eines „Vergleichspressens“ bzw. einer „Sogwirkung“ lehne er entschieden ab.
Obermayr-Schreiber hielt fest, dass sie keine Kritik am BVwG Verfahren üben wollte, sondern vielmehr – wie auch die anderen Redner betonten – die überbordende Regelungsdichte und den dringenden Bedarf der Deregulierung ansprechen wollte.
Wallnöfer forderte, dass es klar sein müsse, wo nach welchen Spielregeln entschieden werde. Die Regelungsdichte sei sehr hoch, doch werde oft bei dem Versuch, Ausnahmen von den Regeln zu schaffen, das Gegenteil erreicht. Er machte auch darauf aufmerksame, dass durch verwaltungsgerichtliche Vergleiche Regeln durch subjektive Rechte ausgehebelt werden könnten.
Stelzer rief in Erinnerung, dass Regelungen geschaffen wurden, um Interessen zu schützen. Das Individuum sei dankbar, dass es solche Regeln gebe.
Man darf gespannt sein, welches Thema beim 3. Tag des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens beleuchtet werden wird.