Der Verfassungsgerichtshof weist in seinem Erkenntnis vom 03.10.2024, E 4003/2023, eine Beschwerde gegen das Verbot der Gesichtsverhüllung unter Hinweis auf den weiten Ermessensspielraum des Gesetzgebers ab. Der Gesetzgeber zielt mit dem AGesVG auf die Förderung von Integration durch die Stärkung der Teilhabe an der Gesellschaft und die Sicherung des friedlichen Zusammenlebens in Österreich ab.
Der Beschwerdeführer hatte am 19. Mai 2023 um 8:18 Uhr auf dem Bahnhofsplatz in Langenzersdorf (NÖ) „seine Gesichtszüge mit einer Burka (Ganzkörperschleier mit ‚vergitterten‘ Sehschlitz im Augenbereich) verhüllt. Die Gesichtszüge waren nicht mehr erkennbar. Der Beschwerdeführer wollte durch die den öffentlichen Raum erfassende Videoüberwachungskamera nicht erfasst werden und in der Öffentlichkeit nicht erkannt werden.“ Er wurde aufgrund des Verstoßes gegen § 2 Abs 1 AGesVG zu einer Geldstrafe in Höhe von € 50,– (Ersatzfreiheitsstrafe von 20 Stunden) verurteilt.
Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit Erkenntnis vom 25.11.2023 ab. Es bestehe kein Widerspruch zum Datenschutz und bestünden rechtliche Möglichkeiten, Videoüberwachungen überprüfen zu lassen. Eine zulässige Videoüberwachung eines öffentlichen Ortes berechtige den Beschwerdeführer nicht, den überwachten Ort verhüllt zu durchqueren. Dem Beschwerdeführer sei der Verstoß auch bekannt gewesen.
In der dagegen erhobenen Beschwerde an den VfGH rügt der Beschwerdeführer die Verfassungswidrigkeit des § 2 AGesVG und die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte. Das Verhüllungsverbot richte sich gezielt gegen den muslimischen Gesichtsschleier und zwinge ihn zur Duldung unrechtmäßiger Datenverarbeitung und sei einem Betretungsverbot für öffentliche Orte gleichzuhalten. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass das Verhüllungsverbot der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit diene.
Der VfGH hegte aus Anlass des vorliegenden Falles keine Bedenken gegen das Gesichtsverhüllungsverbot in § 2 AGesVG. Unter Berufung auf die Gesetzesmaterialien hielt der VfGH fest, dass Zweck des AGesVG die Förderung von Integration durch die Stärkung der Teilhabe an der Gesellschaft und die Sicherung des friedlichen Zusammenlebens in Österreich sei. Die Gesichtsverhüllung verhindere jedoch das Erkennen des Gesichts einer anderen Person in der Öffentlichkeit als eine Voraussetzung für die zwischenmenschliche Kommunikation, deren Ermöglichung eine wesentliche Funktionsbedingung für ein friedliches Zusammenleben in einem demokratischen Rechtsstaat sei. Der Gesetzgeber werte damit die Gesichtsverhüllung (zumindest auch) als äußeres Zeichen der Nichtkommunikation, das sozialer Interaktion verhindere.
Er führt dazu die Rechtsprechung des EGMR aus: Die Ermöglichung sozialer Kommunikation bzw. der Schutz zwischenmenschlicher Kommunikation stellt einen Grundsatz eines demokratischen Staates dar (EGMR 01.07.2014 (GK), 43.835/11, S.A.S. gegen Frankreich). Das Tragen eines Gesichtsschleiers an öffentlichen Orten wird danach als eine Wahl der Gesellschaft („choice of society“) angesehen, in der dem nationalen Staat ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt, innerhalb dessen er die Rahmenbedingungen eines gesellschaftlichen Zusammenlebens festlegen bzw. sicherstellen darf. Der EGMR beurteilt daher das französische Verbot der Gesichtsverhüllung an öffentlichen Orten als legitimes Ziel, insbesondere angesichts der Weite des dem nationalen Staat in diesem Zusammenhang zukommenden Ermessensspielraumes. Auch in dem belgischen Verbot sah der EGMR keine Verletzung des Art 8 und 9 EMRK (11.07.2017, 37.798/13, Belcacemi und Oussar).
Aufgrund des vom EGMR anerkannten weiten Ermessensspielraums zu Gesichtsverhüllungsverboten sah der VfGH keine Überschreitung des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums in dem Verbot des § 2 Abs 1 AGesVG. Der Beschwerdeführer ist daher weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung verletzt worden. Der VfGH hat auch keine kompetenzrechtlichen Bedenken gegen das AGesVG.
Hier geht’s zum Beschluss des VfGH 03.10.2024, E 4003/2023
RIS – Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz – Bundesrecht konsolidiert, Fassung vom 22.10.2024 (bka.gv.at)