Kontradiktorische Einvernahme im verwaltungsgerichtlichen Verfahren

Ein Appell zur gesetzlichen Regelung von Arthur Koderhold, Verwaltungsrichter am VGW Wien

Existiert im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Möglichkeit einer sogenannten kontradiktorischen Einvernahme? Der Begriff stammt vom strafprozessrechtlichen Modell nach § 165 StPO. Für welche Begrifflichkeit man sich auch immer entscheidet (Anm. es existiert eine Vielzahl), so geht es stets um dieselbe Idee, nämlich der Einvernahme eines Opfers, während der potentielle Täter nicht gleichzeitig im selben, sondern einem anderen Raum und damit vor ihm geschützt ist. Die Fragen des potentiellen Täters werden oft auch nur über das Gericht an das Opfer gestellt, um einen direkten Kontakt vollständig zu vermeiden, dies grundsätzlich mittels Videoeinvernahme.

Zwar gibt es in vereinzelten Materiengesetzen im Administrativverfahren derartige Instrumente, vor allem in Dienstrechtsgesetzen der Länder. Eine generelle gesetzliche Ausgestaltung, beispielsweise im VwGVG, gibt es jedoch nicht. Die durch die letzte Novelle des VwGVG (BGBl. I Nr. 88/2023) in § 25a und 48a VwGVG geschaffene Option eine Videoeinvernahme (genau: Verhandlung unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung) durchzuführen ist jedenfalls keine geeignete Variante für eine kontradiktorische Einvernahme. Schließlich war der Hintergrund dieser Novelle eine gesetzliche Verankerung der Videoeinvernahmen, die während der COVID-19-Pandemie großzügig genutzt wurden, zu schaffen, da diese mit dem Auslaufen der entsprechenden COVID-19-Bestimmungen keine gesetzliche Grundlage mehr gehabt hätten.

Eine kontradiktorische Einvernahme verfolgt jedoch einen ganz anderen Gedanken, als jene Videoeinvernahmen zu Zeiten von COVID-19. Grundsätzlich sind dabei drei Säulen in Einklang zu bringen. Es sind dies 1) die materielle Wahrheitsfindung, 2) der Opferschutz und 3) die Verteidigungsrechte. Vor allem die letzten beiden Punkte zielen konkret auf Strafverfahren ab, bei den Verwaltungsgerichten das Verwaltungsstrafverfahren. Hier ist die fehlende gesetzliche Regelung für eine kontradiktorische Einvernahme am spürbarsten. Insbesondere erkennt das Verwaltungsgericht über Verstöße gegen bestimmte einstweilige Verfügungen zum Schutz vor Gewalt und zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre (vgl BGBl. I Nr. 152/2013) in Bescheidbeschwerdeverfahren.

Bei einem bloßen Verstoß gegen eine derartige EV liegt eine Verwaltungsübertretung vor. Im Falle einer Beschwerde gegen ein Straferkenntnis bietet die derzeitige Regelung des § 48a VwGVG dem Beschuldigten die Möglichkeit, auf die Teilnahme des Opfers in der mündlichen Verhandlung zu bestehen (e contrario zu § 48a Abs 1 Z 2 VwGVG „es sei denn, der Beschuldigte hätte darauf [Anm. persönliches Erscheinen eines Zeugen] verzichtet). Dies führt zu dem äußerst ungewöhnlichen Resultat, dass sich meist noch während aufrechter EV Täter und Opfer vor dem Verwaltungsgericht in einer mündlichen Verhandlung begegnen (müssen), trotz Annäherungs- und Kontaktverbotes. Diese Konstellation ist nicht nur für das Opfer unzumutbar, sondern erschwert auch die materielle Wahrheitsfindung durch das Gericht.

Der oben beschriebene Fall ist nur ein ausgewählter unter vielen. Es besteht also dringender gesetzlicher Handlungsbedarf. Denn ohne entsprechende normative Grundlage dennoch eine „quasi kontradiktorische Einvernahme“ durchzuführen oder nachzubilden, könnte nach der jetzigen Gesetzeslage Verteidigungsrechte beschneiden.

Mehr Details zu diesem Thema können in folgenden Artikeln nachgelesen werden:

Zum Administrativverfahren:

Arthur Koderhold, Kontradiktorische Einvernahme im Disziplinarverfahren der Ärzte vor den Verwaltungsgerichten ZfG 2023, 127.

Zum Verwaltungsstrafverfahren:

Arthur Koderhold, Kontradiktorische Einvernahmen im verwaltungsgerichtlichen Verwaltungsstrafverfahren. Gesetz oder gelebte Praxis? ZVG 2024, 9.

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