EGMR: Erste mündliche Verhandlung über Klimaklage

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) beschäftigte sich gestern erstmals mit einer Klage gegen den Klimawandel. Dabei haben sich tausende Schweizer Seniorinnen zusammengetan, die ihrer Regierung vorwerfen, zu wenig gegen die Erderwärmung zu tun. Mit ihrer Klage vor dem EGMR wollen die Klimaseniorinnen erreichen, dass die Schweiz per Gerichtsbeschluss zu mehr Klimaschutz gezwungen wird. 

Der Rechtsstreit zieht sich seit Jahren hin. Die Schweizer Regierung hat dabei zweimal vor inländischen Gerichten gewonnen. Sie will den Fall in Straßburg als unzulässig abweisen lassen. Ihr Anwalt Alain Chablais sagte, jede von dem Gericht erlassene Vorschrift würde eine Überschreitung bedeuten, die dem Gericht quasi das Gewicht eines Gesetzgebers verleihe. Der Fall entbehre jeder Grundlage. Man müsse die Frage stellen, ob die Klägerinnen überhaupt als Opfer anzusehen seien.

Erweitert der EGMR seine Rechtsprechung zur Opfereigenschaft?

Spannend wird vor allem die Frage der Opfereigenschaft werden. Das deuteten die Nachfragen der Richter:innen und auch die Stellungnahmen der Beteiligten an.

„Die Beschwerdeführenden fordern den Gerichtshof auf, erheblich über seine bisherige Rechtsprechung zur Opfereigenschaft hinauszugehen“, so Anwältin Catherine Donnelly für Irland, das als Drittpartei an dem Verfahren beteiligt ist. Beim EGMR können sich Dritte einbringen und beantragen, dem Gericht Stellungnahmen einreichen zu dürfen. An dem Verfahren der Klimaseniorinnen haben sich neben verschiedenen Staaten unter anderem die ehemalige UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet sowie die Internationale Juristenkommission beteiligt. Auch das zeigt die Bedeutung des Falles.

Ex-Bürgermeister gegen Frankreich

Bei der Großen Kammer am EGMR sind noch zwei weitere solcher Klimaklagen anhängig.

Zum einen verklagt der ehemalige Bürgermeister der französischen Küstengemeinde Grande-Synthe, Damien Carême, Frankreich. Er hatte im Jahr 2019 sowohl im eigenen Namen als auch als Bürgermeister der Gemeinde die französische Regierung zu mehr Klimaschutz aufgefordert. Die Klage in seinem eigenen Namen wurde abgewiesen, deshalb hatte er sich an den EGMR gewendet. Er macht auch eine Verletzung von Art. 2 und 8 EMRK geltend.

Die Anhörung fand ebenfalls am Mittwoch statt (Carême vs. France, Application no. 7189/21). Auch hier wird die entscheidende Frage sein, ob Carême die erforderliche Opfereigenschaft zukommt. Carême ist mittlerweile Abgeordneter im Europäischen Parlament, lebt also in Brüssel und hat kein Haus in Grande-Synthe mehr. Ob er dennoch unmittelbar betroffen sein kann, wird der EGMR zu entscheiden haben. Es deutete sich an, dass die Richter:innen hier skeptisch sind.

Auch sechs junge Portugiesen verlangen mehr Klimaschutz und haben Beschwerde gegen Deutschland und 32 weitere europäische Staaten eingereicht (Application no. 39371/20). Der EGMR hat die Klimaklage zugelassen, einen Termin für die Verhandlung gibt es derzeit noch nicht. Ziel sei aber, diese „zeitnah nach den Gerichtsferien im Sommer 2023“ abzuhalten, so der Gerichtshof in einer Mitteilung.

Ein Urteil des EGMR im Fall der Klimaseniorinnen wird für Ende des Jahres erwartet.

Dazu den Beitrag auf LTO.de lesen …

Siehe dazu auch: Deutsches Bundesverfassungsgericht fällt richtungsweisend Urteil mit Signalwirkung …

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