Rechtstaatlichkeit: EU-Kommission bestätigt Reformbedarf der österreichischen Verwaltungsgerichtsbarkeit

Die EU-Kommission greift im Rechtsstaatsbericht zu Österreich eine Reihe von Kritikpunkten auf, auf die der Dachverband der Verwaltungsrichter (DVVR) hingewiesen hatte.

Nach dem in der letzten Woche veröffentlichen Rechtsstaatsbericht der EU-Kommission besteht in Österreich ein gleichbleibend hohes Maß an Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz. Ungeachtet dessen bleiben auch die aufgezeigten Defizite nahezu die selben: Dazu zählt auch die überfällige Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Keine verbindlichen Besetzungsvorschläge für Richterposten, kein Beschwerderecht übergangener Bewerber 

Der Dachverband der Verwaltungsrichter (DVVR) hatte in seinem Forderungsprogramm „AGENDA2022“ bereits im Jahr 2017 festgehalten, dass das im Bundesverfassungsgesetz enthaltene Selbstergänzungsrecht der Verwaltungsgerichte als Meilenstein zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der Verwaltungsgerichte zu betrachten ist. Aus dieser Überlegung heraus und um dem Vorwurf politisch motivierter Richterernennungen wirksam entgegen treten zu können, wurde daher – nach dem Vorbild des Verwaltungsgerichtshofs – die Verbindlichkeit der Besetzungsvorschläge der Personalsenate (Personalausschüsse) der Verwaltungsgerichte gefordert.

Diese Forderung wurde für die Verwaltungsgerichte nach wie vor nicht umgesetzt. Nur für die Zivil- und Strafgericht gilt seit Dezember 2020 eine Novelle des Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetzes, welche eine Verpflichtung des Bundesministers für Justiz vorsieht, die Personalsenate schriftlich zu informieren, wenn beabsichtigt wird, einem Besetzungsvorschlag nicht zu folgen.

Aber auch in der ordentlichen Gerichtsbarkeit sind Personalsenate nach wie vor nicht an der Auswahl von Richteramtsanwärtern beteiligt. Und es fehlt in allen Bereichen der österreichischen Gerichtsbarkeit eine gerichtliche Überprüfbarkeit der Bestellungsverfahren. Der Bericht verweist dazu auf die Empfehlungen des Europarates: Entscheidet die Exekutive über die Ernennung von Richtern, sollte eine unabhängige zuständige Behörde, die zu einem wesentlichen Teil aus Vertretern des Justizwesens besteht, zur Abgabe von Empfehlungen oder Stellungnahmen berechtigt sein, die für die Exekutive in der Praxis ausschlaggebend sein sollten.

Bedenken wegen politischer Ernennung der Gerichtspräsidenten

Nach dem Rechtsstaatsbericht bestehen bei den Verwaltungsgerichten Bedenken aber nicht nur bei der Ernennung von Richter, sondern in besonderen Maße bei der Ernennung der Präsidenten und Vizepräsidenten. Der Bericht verweist dazu auf die Empfehlungen von GRECO von März 2021, welcher eine stärkere Beteiligung der Personalsenate bei der Ernennung der Präsidenten und Vizepräsidenten der Verwaltungsgerichte fordert. Dies vor dem Hintergrund der großen Machtfülle der Gerichtspräsidenten, welche Anlass zur Sorge in Bezug auf die Einhaltung europäischer Standards gibt (Es ist wohl kein Zufall, dass Ungarn bei der geplanten Einrichtung neuer Verwaltungsgerichte explizit das österreichische Modell als Vorbild nennt.)

Die Entscheidung über die Ernennung der Präsidenten/Vizepräsidenten der Verwaltungsgerichte obliegt in Österreich ausschließlich der Bundesregierung bzw den Landesregierungen, die Personalsenate haben kein Mitwirkungsrecht. (Die von einigen Bundesländern bzw. vom Bund eingerichteten Sonderkommissionen für die Auswahl der Präsidenten/Vizepräsidenten dienen hier offensichtlich nur zur Verschleierung der ausschließlich politischen Ernennung.)

Dies zeigt sich aktuell auch in Verfahren zur Besetzung der vakanten Stelle des Präsidenten/der Präsidentin des Bundesfinanzgerichts: Der Personalsenat des Bundesfinanzgerichts hat im Verfahren keinerlei Mitwirkungsrecht. Das Verfahren soll in Form eines Hearings vor einer Kommission erfolgen, die gemäß § 5 Abs. 5 BFGG zusammengesetzt ist und in der keine Richter und Richterinnen des BFG vorgesehen sind.

Bundesfinanzgericht ausdrücklich erwähnt

Hinsichtlich des Bundesfinanzgerichts verweist die EU-Kommission ausdrücklich auf die Kritik des Rechnungshofs, welcher die geringe Ausstattung des BFG mit nichtrichterlichen Personal sowie die massiven Verzögerungen bei der Nachbesetzung offener Richterstellen gerügt hat, was letztlich einen erheblichen Rückstau bei der Bearbeitung der Rechtssachen zur Folge hatte und hat.

Fehlende Grundausbildung für Verwaltungsrichter 

Weiters greift die Kommission auch die Kritik des DVVR am Fehlen einer gesetzlich geregelten Grundausbildung für Verwaltungsrichter auf. Die im Bericht erwähnten Schulungsangebote für Kernkompetenzen, welche von der „Österreichische Akademie der Verwaltungsgerichtsbarkeit“ angeboten werden, können dafür kein Ersatz sein, weil dieser Einrichtung eine gesetzliche Grundlage fehlt und sie zudem auch sonst die im Bericht genannten europäischen Standards für die Richterausbildung nicht erfüllt (CCJE Opinion No. 4 on appropriate initial and in-service training for judges at national and European levels und CCJE Magna Charta der Richter, Punkt 8).

Hier geht’s zum Länderbericht für Österreich (Deutsch) …

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