Der Europäische Gerichtshof hält einen zentralen Bestandteil von Polens Justizreform für unrechtmäßig. Polen hat mit seiner neuen Disziplinarordnung für Richter „gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht verstoßen“.
Darüber hinaus bestehen nach dem Urteil generelle Zweifel an Polens Justiz (Urteil vom 15.07.2021, Az. C-791/19).
Richter können für unbotmäßige Entscheidungen gemaßregelt werden
Im Zuge ihres umfassenden Abbaus des Rechtsstaates hatte Polens Regierung 2018 einen politisch abhängigen Landesjustizrat (KRS) zur Richterauswahl und zwei ebenfalls abhängige Sonderkammern am Obersten Gericht des Landes eingesetzt: Eine Disziplinarkammer, die jedes Urteil überprüfen und Disziplinarverfahren gegen Richterinnen und Richter einleiten kann – bis hin zur Entlassung. Und eine Außerordentliche Aufsichtskammer, die befugt ist, jedes rechtskräftige Urteil der letzten Jahre aufzuheben.
Kritikerinnen und Kritiker werteten dies als einen Verstoß gegen die Gewaltenteilung. Die EU-Kommission hatte daher gegen Polen ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH angestrengt, da sie der Auffassung war, dass Polen mit seinem Disziplinierungssystem von dem in den Europäischen Verträgen verankerten Prinzip der Rechtsstaatlichkeit abweiche. E sei zu befürchten, dass diese Einrichtungen dazu dienen könnten, Richter für unbotmäßige Entscheidungen zu maßregeln. „Das ist keine Reform, sondern eine Zerstörung“, hatte EU-Vizekommissionspräsidentin Vera Jourova den massiven Druck der Regierung auf Richter und Gerichte kommentiert. Auch der Generalanwalt beim EuGH hatte diese Teile der Justizreform als Verstoß gegen EU-Recht gewertet.
Die EU-Kommission bekam vom EuGH nun in allen Punkten recht. Die Luxemburger Richter verurteilten etwa, dass Inhalte von Gerichtsentscheidungen als Disziplinarvergehen eingestuft werden können; das eröffne Möglichkeiten der politischen Kontrolle und der Ausübung von Druck.
Der EuGH kritisierte in seiner Entscheidung, dass der Landesjustizrat ein Organ sei, das „von der polnischen Exekutive und Legislative wesentlich umgebildet wurde“; an seiner Unabhängigkeit gebe es berechtigte Zweifel. Daraus leiten die Richter ab, dass die aus neun Richtern bestehende Disziplinarkammer möglicherweise ebenfalls nicht ausreichend unabhängig sei.