VfGH/Judikatur: Bundesverwaltungsgericht kann für Disziplinarverfahren anderer Gerichte zuständig gemacht werden

Im Zuge eines gegen einen Richter des Verwaltungsgerichts Wien (VGW) geführten Disziplinarverfahrens entstanden beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) Bedenken gegen die Übertragung der Zuständigkeit für dieses Verfahren auf das BVwG. Die Zuständigkeitsübertragung war durch den Wiener Landesgesetzgeber erfolgt, weil die Regelung über den Disziplinarausschuss des Verwaltungsgerichts Wien als verfassungswidrig aufgehoben worden war (G 29/2018 vom 14. Juni 2018).

Das BVwG machte geltend, zuständig für dieses Disziplinarverfahren könne gem. Art. 135 Abs. l 4. Satz B-V nur ein aus der Mitte der Vollversammlung des VGW gebildeter Ausschuss oder Senat sein, nicht aber ein nach der Geschäftsverteilung des BVwG eingerichteter Senat. Darüber hinaus zweifelt das Gericht an der Verfassungskonformität der Regelung, mit der das BVwG mit der Behandlung eines Strafantrages der Disziplinaranwältin des Landes Wien betraut wurde. Dabei würde es sich um eine verfassungsrechtlich unzulässige Übertragung einer erstinstanzlichen Zuständigkeit in einer hoheitlichen Angelegenheit an ein Verwaltungsgericht handeln.

VfGH prüft auf Grundlage eines einheitlichen Richterbildes

Im Erkenntnis vom 14.06.2019, G 396/2018 stellt der Gerichtshof zu diesen Bedenken fest, dass er im Wesentlichen von einem einheitlichen verfassungsrechtlichen Richterbild ausgeht. Da im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit zum Zeitpunkt der Einrichtung der Verwaltungsgerichte mit § 111 RStDG eine § 11 Abs. 1 VGW-DRG vergleichbare Regelung vorgesehen war, bestehen keine Bedenken dagegen, dass ein Verwaltungsgericht als Disziplinargericht für Richter eines anderen Verwaltungsgerichtes tätig wird.

Die Zulässigkeit der (erstinstanzlichen) Betreuung eines Verwaltungsgerichtes mit den disziplinarrechtlichen Angelegenheiten von Richtern ergibt sich nach Auffassung des VfGH auch aus Art. 130 Abs. 2 Z 3 B-VG. Diese Bestimmung sieht vor, dass die Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über Streitigkeiten in dienstrechtlichen Angelegenheiten der öffentlichen Bediensteten als zuständig erklärt werden können.

Der Gerichtshof verweist weiters auf seine Entscheidung vom 14. Juni 2018, G 29/2018, G 108/2018. Dort hat er ausgesprochen, dass zu den vom Verwaltungsgericht zu besorgenden Geschäften nicht nur die Aufgaben im Sinne des Art. 130 B-VG gehören, sondern auch jene Angelegenheiten, die von den Richtern in Ausübung ihres richterlichen Amtes auf Grund verfassungsrechtlicher Anordnung zu besorgen sind. Hinsichtlich einer Amtsenthebung, Versetzung oder Versetzung in den Ruhestand von Richtern liegt eine solche Anordnung vor.

Weitere Änderungen dringend erforderlich

Der Dachverband der Verwaltungsrichter (DVVR) hatte bereits im Jahr 2014  die Konzentration der dienstrechtlichen Verfahren (einschließlich Disziplinarverfahren) für alle Verwaltungsrichter beim Bundesverwaltungsgericht gefordert, um so eine Vereinheitlichung der unterschiedlichen Dienstrechte der einzelnen Verwaltungsgerichte zu beschleunigen. Auch im Forderungsprogramm AGENDA VG 2022 wird eine Harmonisierung der unterschiedlichen richterlichen Dienstrechte durch eine einheitliche Vollziehung durch das Bundesverwaltungsgericht gefordert.

Bereits vier  Bundesländer (Burgenland,  Kärnten, Oberösterreich und Steiermark) haben eine Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über Beschwerden in Angelegenheiten des richterlichen Dienstrechts vorgesehen (nicht aber für Disziplinarverfahren).

Unverändert bleiben in Wien auch die verfahrensrechtlichen Sonderbestimmungen für richterliche Disziplinarverfahren, insbesondere die Zuständigkeit des Disziplinaranwalts des Landes Wien für die Richter des Verwaltungsgerichtes.

Damit hat es die kontrollierte Behörde weiterhin in der Hand, durch die Einleitung von Disziplinarverfahren gezielt Richter unter Druck zu setzen, wie das bereits  geschehen ist (siehe dazu: Organisations- und Dienstrecht des Verwaltungsgerichts Wien widersprechen in wesentlichen Bereichen europäischen Standards)

Siehe dazu auch:

Dachverband der Verwaltungsrichter sieht dringenden Handlungsbedarf für Verfassungs- und  Organisationsgesetzgeber

 

 

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