In einem von EJTN (Netzwerk zur justiziellen Aus- und Fortbildung) in Bukarest veranstalteten Seminar, gingen die Teilnehmer der Frage nach, worin die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Verwaltungsverfahrensregime in den Mitgliedstaaten bestehen.
An der Vorbereitung und Durchführung des Seminars waren auch österreichische Verwaltungsrichterinnen und Richter maßgeblich beteiligt. Hier ein Bericht von Dr. Gerald Fegerl (Richter des Verwaltungsgerichts Wien).
Gemeinsamkeiten trotz autonomer Regelungen
Mit dem Seminar in Bukarest wurde erstmals das Thema des formal sehr inhomogenen Verwaltungsverfahrensbestandes auf EU-Ebene und in den Mitgliedstaaten in Angriff genommen. Zum einen mit der Darstellung der vom EuGH entwickelten Grundsätze des Verwaltungsverfahrens und im Hinblick auf den Entwurf eines Europäischen Verwaltungsverfahrensrechts (für EU-Behörden) und zum anderen rechtsvergleichend in Ansehung der nationalen Verwaltungsverfahren, die – bei Anwendung von Unionsrecht – den Anforderungen der vom EuGH entwickelten Prinzipien entsprechen müssen.
Es zeigte sich, dass trotz der verfahrensrechtlichen Autonomie der Mitgliedstaaten im Bereich des Verfahrensrechts – sowohl des Verwaltungsverfahren als auch des gerichtlichen Verfahrens – große Parallelitäten festzustellen sind und trotz vielfach unterschiedlich weiter Entscheidungskompetenzen der nationalen Verwaltungsgerichte die Problemlagen sehr ähnlich gestaltet sind.
Obwohl es keine unionsrechtliche Grundlage für eine Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts in den Mitgliedstaaten gibt, wird indirekt durch die vom EuGH entwickelten Grundsätze und die Verpflichtung, für die Effektivität der Durchsetzung materiellen Gemeinschaftsrechts zu sorgen, ein faktischer Harmonisierungseffekt erzielt. Die rechtsanwendenden bzw. rechtsprechenden Organe machen bei der Anwendung des Verfahrensrechts idR keinen Unterschied, ob sie nationales Recht oder Unionsrecht vollziehen. Ausgangsbasis der einschlägigen EuGH-Judikatur waren Fälle rechtskräftiger nationaler Entscheidungen, die sich als klar gemeinschaftsrechtswidrig erwiesen und die – allenfalls im Wege einer Wiederaufnahme – zu beseitigen waren.
Frau Univ. Prof. Diana Galetta (Universität Mailand) gab am ersten Seminartag eine mitreißende Zusammenfassung der EuGH-Judikatur zu den Grundsätzen des Verwaltungsverfahrens und einen Vergleich zu dem geplanten Europäischen Verwaltungsverfahrensgesetz, welches als Entwurf bereits dem EU-Parlament vorliegt. Galetta selbst hat maßgebend an diesem Entwurf eines Verfahrensrechts für EU-Institutionen mitgearbeitet. Anschließend erläuterte Galetta das Verhältnis zwischen der verfahrensrechtlichen Autonomie der Mitgliedstaaten und dem Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes anhand ausgewählter Entscheidungen.
Am Nachmittag widmete sich Dr. Holger Böhmann, Richter des Deutschen Bundesverwaltungsgerichtes und Vizepräsident der Europäischen Verwaltungsrichter-Vereinigung, der Reichweite von verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen, d.h. Kontrolle der Verwaltung versus Substitution der verwaltungsbehördlichen Entscheidung. Bei der Diskussion und den kurzen Teilnehmerstatements zeigten sich naturgemäß deutliche strukturelle Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten, wobei das nunmehrige österreichische System durch die vergleichsweise wohl weitreichendste materielle Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte geprägt ist.
Den Abschluss des ersten Tages bildete ein – eher pessimistisch gehaltener – Vortrag von Prof. Nikolaus Forgo (Universität Wien) über die Herausforderungen der Digitalisierung der Verwaltung und des Einsatzes von IT-Systemen im gerichtlichen Verfahren.
Am zweiten Tag referierte der Spanische Höchstrichter Rafael Toledano Cantero über Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Untätigkeit von Behörden oder Gerichten sowie über die Haftung von Richtern (Amts- und Organhaftung). In der Diskussion zeigte sich, dass Haftungsfälle ein massives judizielles Thema in südeuropäischen Staaten wie Griechenland, Italien, Spanien darstellen, während es etwa in Deutschland und Österreich als Randproblem bezeichnet werden kann.
Als letzter Vortragender referierte Dr. Viktor Kreuschitz, österreichischer Richter des EuGH, über Methoden und Möglichkeiten, mit geheimen und vertraulichen Informationen im Verwaltungsverfahren sowie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren umzugehen, insbesondere im Wettbewerbsrecht und Vergaberecht das Recht auf Akteneinsicht zu gewähren und Geschäftsgeheimnisse bzw. vertrauliche Information zu schützen.
Kollegin Gamauf-Boigner (Richterin des Verwaltungsgerichtes Wien) hatte das Konzept des Seminars mitentwickelt und war am zweiten Seminartag Co-Moderatorin.
Siehe dazu auch: Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht- Ergebnisse der Tagung am Bundesverwaltungsgericht