Verwaltungsgerichte brauchen eigene Verwaltungsprozessordnung
Bei der Einrichtung der neuen Verwaltungsgerichte wurde – vorrangig wohl aus Zeitgründen – darauf verzichtet, ein kodifiziertes Verfahrensrecht in Form einer Verwaltungsprozessordnung zu erlassen. Der Preis dafür war, dass auf Grund der Vielzahl von Verfahrensgesetzen für Rechtsanwender eine verfahrensrechtliche Gemengelage entstanden ist, welche nur mehr schwer zu überblicken ist. Eine Entwicklung, die durch jede weitere Novelle des VwGVG oder neue verfahrensrechtliche Sonderbestimmungen in Materiengesetzen weiter vorangetrieben wird.
Ein zersplittertes Verfahrensrecht ist Einfallpforte für uneinheitliche Rechtsprechung, missbräuchliche Anwendung und damit Rechtsunsicherheit. Das zeigen die Erfahrungen in verschiedenen europäischen Rechtsschutzsystemen. Ein möglichst bestandsicheres, übersichtliches und verständliches Verfahrensrecht ist dagegen einer der wesentlichsten Garanten für Rechtssicherheit, für vorhersehbare und berechenbare Verfahrensabläufe. Aus Sicht des Dachverbandes ist es daher erforderlich, dass zur Vereinheitlichung der Verfahren das VwGVG zu einer abschließend geregelten, eigenständigen Verwaltungsprozessordnung ausgebaut wird. Dabei könnte auch bereits auf die Entwicklungen rund um ein EU-Verwaltungsverfahrensrecht Bedacht genommen werden.
Behörden „delegieren“ Entscheidung an Gerichte
Besonders weist der Dachverband auf die Folgen der Ausgestaltung des Rechtsschutzes durch die Verwaltungsgerichte durch die Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts hin: Da nach Auffassung der Gerichtshöfe ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert ist, sind viele Verwaltungsbehörden dazu übergegangen, ihren Verfahrens- und Begründungsaufwand immer weiter zu minimieren. Damit besteht nach Auffassung des Dachverbandes die Gefahr einer schleichenden Verschiebung von ureigenen verwaltungsbehördlichen Tätigkeiten – wie etwa die substantiierte Ermittlung des relevanten Sachverhaltes – auf die verwaltungsgerichtliche Ebene („Delegation“ der Entscheidung).
Besonders augenscheinlich wird diese Problematik in Säumnisbeschwerdeverfahren, in denen die Untätigkeit der Behörde mitunter dazu führen kann, dass das gesamte Verwaltungsverfahren von den Gerichten geführt wird, ein Umstand, der gerade bei aufwendigen Bewilligungsverfahren das Gericht an die Grenzen der Machbarkeit stoßen lässt.
Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung und Kostenreduktion notwendig
Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, schlägt der Dachverband effizienzsteigernde Instrumente vor, wie etwa die Möglichkeit, der belangten Behörde einzelne fehlende Ermittlungsschritte aufzutragen – im Abgabenbereich existiert bereits eine vergleichbare Bestimmung in § 269 Abs. 2 BAO – oder eine Kostenpflicht der Behörde bei fortgesetzter Untätigkeit. Ebenso soll die Bestimmung des § 10 VwGVG dahingehend ergänzt werden, dass nach dem Vorbild der Bestimmung des § 30a Abs. 10 VwGG der Behörde ein Nachholen der Verfahrensschritte aufgetragen werden kann.
Als weitere Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung und Kostenreduktion werden die Einführung eines verwaltungsgerichtlichen Vergleiches nach dem Vorbild des § 433 Zivilprozessordnung (ZPO) gefordert, die Möglichkeit, im Falle der Klaglosstellung des Beschwerdeführers, die Beschwerde für gegenstandslos zu erklären, die Schaffung eines formellen Schlusses des Ermittlungsverfahrens mit absolutem Neuerungsverbot zur Hintanhaltung von Verfahrensverzögerungen und die Schaffung der Möglichkeit für eine Mediation.
Fakultative Senatszuständigkeit
Nach den Verfahrensgesetzen entscheiden die Verwaltungsgerichte grundsätzlich durch Einzelrichter. Da in komplexen Verfahren oder in Verfahren mit großer Medienöffentlichkeit der Druck auf die Einzelrichterin oder den Einzelrichter sehr groß werden kann, fordert der Dachverband die Schaffung einer fakultativen Senatszuständigkeit. Beim Bundesfinanzgericht besteht bereits die Möglichkeit, dass die zuständige Einzelrichterin oder der zuständige Einzelrichter die Entscheidung durch einen Senat verlangen kann (§ 272 BAO).
„In-camera“ Verfahren
Damit auch in Fällen, in denen staatliche Geheimhaltungsinteressen betroffen sind, ein effektiver Rechtsschutz besteht, wird vom Dachverband die Einführung eines In-camera-Verfahrens nach deutschem Vorbild (§ 99 VwGO) vorgeschlagen.(Siehe dazu: Zugang zur Behördeninformationen: „Sui generis“- Verfahren zur Überprüfung von vertraulichen Informationen)