Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Ukraine: Der zähe Kampf gegen Korruption

Die neue gegründete ukrainische Verwaltungsrichter-Vereinigung hatte bereits vor einem Jahr eine Einladung zu einem Besuch ausgesprochen. Letzte Woche fand der dreitätige Studienaufenthalt von knapp 30 österreichischen Verwaltungsrichterinnen und Richtern in Kiew statt.

Zu einem durchaus heiklen Zeitpunkt. Denn die Justizreformen, die im Zuge der Annäherung der Ukraine an Europa von der EU gefordert wurden, sollen sobald wie möglich abgeschlossen werden.

Erklärtes Ziel ist die Bekämpfung der Korruption, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz zu erhöhen. Gleichzeitig sollen neue Verfahrensgesetze eine effizientere und raschere Führung von Verfahren ermöglichen. Beide Reformvorhaben waren Gegenstand der gemeinsamen Veranstaltungen, deren Durchführung von der österreichischen Botschafterin und der OSZE tatkräftig unterstützt wurden. In Fachvorträgen – von österreichischer Seite durch Senatspräsident des VwGH Martin Köhler – und eingehenden Diskussionen bestand die Möglichkeit zu einem fachlichen Austausch.

Vonseiten der ukrainischen Gastgeber wurde besonders ihr Interesse an den österreichischen Erfahrungen im Zuge der Einrichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit betont. In diesen Zusammenhang wurde auf Initiative des Präsidenten der Ukrainischen Verwaltungsrichter-Vereinigung, Oleksandr  Pasanyuk, ein „Memorandum of understanding“ über die weitere Zusammenarbeit zwischen den Vereinigungen unterzeichnet. Die Teilnahme an mündlichen Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht 2. Instanz Kiew bot die Möglichkeit, die praktische Seite der vorgetragenen Verfahrensgrundsätze erfahren.

Die besondere Bedeutung des Besuchs fand in einem Abendempfang durch die österreichische Botschafterin, Hermine Popeller, ihren Ausdruck, an dem auch der stellvertretende Justizminister der Ukraine und der Repräsentant der OSZE in der Ukraine teilnahmen. Die Europäische Verwaltungsrichter-Vereinigung (AEAJ) war vertreten durch ihre Präsidentin Edith Zeller, die Verwaltungsrichter-Vereinigung (VRV) durch ihren Präsidenten Siegfried Königshofer.

Zeller, Popeller, Königshofer (v.l.)

„Wiederernennung“ nur bei Offenlegung persönlicher Verhältnisse

Für die ukrainischen Kolleginnen und Kollegen standen insbesondere die Verfahren der „Wiedernennung“ bereits ernannter Richterinnen und Richter im Mittelpunkt der Diskussionen. In diesen Verfahren mussten alle Richterin und Richter in der Ukraine  einen „Screening“- Prozess durchlaufen, bei dem alle Vermögenswerte (Grundstücke, Wohnung, Autos, Geldvermögen etc.) des Bewerbers, der Ehegatten, der Eltern und Kinder offengelegt werden mussten. Diese Daten sind über das Internet für die Öffentlichkeit einsichtbar. Dadurch sollen ungeklärte Vermögen offengelegt werden. Neben der Offenlegung aller persönlichen Verhältnisse ist  als weiteres Kriterium für eine neuerliche Ernennung im Gesetz gefordert, dass der Richterinnen und Richter „integer“ sind. Wodurch dieses Kriterium erfüllt wird, wird aber gesetzlich nicht bzw. unterschiedlich definiert.

NGO’s entscheiden mit

Abgeschlossen werden die Bestellungsverfahren durch Interviews der Richterinnen und Richter durch eine gesetzlich festgelegte Auswahlkommission. Mitglieder dieser Kommission stellen Fragen u.a. zu den offengelegten persönlichen Verhältnissen aber auch zu einzelnen Urteilen der Bewerber. Diese Interviews werden live im Internet übertragen. In Vorfeld werden alle verfügbaren Informationen über die „Integrität“ der Bewerber durch NGO’s erhoben, es liegt  aber im Ermessen der NGO’s , über welche Bewerber dies geschieht. Geben die Vertreter der NGO’s eine negative Stellungnahme zu einer Bewerbung betreffend „Integrität“ ab, so kann eine Richterin/ein Richtern  nur mehr wiederbestellt werden, wenn die  Auswahlkommission  mit 2/3- Mehrheit die Entscheidung der NGO’s überstimmt.

Mehr als die Hälfte der Richterdienstposten unbesetzt

So notwendig Antikorruptionsmaßnahmen sind, so desaströs wirkt sich die derzeitige Vorgangsweise auf die Situation der gesamten Justiz aus: Von insgesamt 8.000 Richterinnen und Richtern haben sich 2.000 gar nicht mehr neu beworben. Dazu kommt, dass die Ersternennung von Richterinnen und Richtern in der Ukraine nur für 5 Jahre erfolgt, erst dann kann eine Ernennung auf Lebenszeit erfolgen. Da viele Richterinnen und Richter oft Jahre auf ihre Ernennung auf Lebenszeit warten müssen, sind derzeit insgesamt nicht einmal 3.500 Richterposten besetzt, 17 Verwaltungsgerichte mussten wegen Richtermangels sogar schließen. Diese Situation führt für die verbleibenden Richterinnen und Richter zu einer nicht mehr zu bewältigenden Arbeitsbelastung und oft langer Verfahrensdauer, worauf seitens der Justizverwaltung immer wieder mit Disziplinarverfahren gegen Richterinnen und Richter reagiert wird.

Problematisch Auswahlverfahren für Höchstrichter 

Besonders problematisch ist die laufende Neubesetzung der Höchstgerichte. In der Kommission für die Richtervorauswahl gelten nach Medienberichten 13 von 16 Mitgliedern als dem Präsidenten oder seiner Umgebung nahestehend. Ähnlich ist es im Hohen Justizrat – zuständig für alle Richterernennungen, Beförderungen, Strafen und Entlassungen in der Ukraine. Mehrere Mitglieder des Justizrats sollen ehemalige Anwälte des Präsidenten sein oder für dessen Partei kanditieren.

Siehe dazu:

Der ukrainische Präsident macht sich die Justiz gefügig

 

 

 

 

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