Michael Kunz, richterlicher Leiter der Präsidialabteilung 10 des OLG Wien, ist intensiv in das Justiz-Projekt zur Einführung des „elektronischen Aktes“ für die Rechtsprechung eingebunden.
In dieser Funktion gab er dem Maiforum zum Thema: „Das digitale Gericht – kein Platz für richterliche Mitbestimmung?“ einen exzellenten Überblick über den Status Quo der IT-Anwendungen bei den ordentlichen Gerichten und einen Ausblick auf die kommenden Projekte.
Die Einführung der Digitalisierung erfolgte an den ordentlichen Gerichten – im krassen Gegensatz zu den Verwaltungsgerichten – selbstverständlich unter Einbindung der RichterInnen und der Standesvertretung. „Selbstverständlich“ betonte der die österreichweit verschiedenen Arbeitsgruppen organisierende Redner und zeigte sich äußerst verwundert, dass die Betroffenen an den Verwaltungsgerichten, insbesondere die RichterInnen und die Standesvertretung bei der Entwicklung nicht eingebunden sind und waren.
Unter Anführung der Kennzahlen wurde erläutert, dass 70% der Aufwendungen der Justizverwaltung von ca. € 1.385 Mio. durch die Einnahmen abgedeckt werden. Zu den Anwendungen zählen nicht nur die Verfahrensautomation Justiz (VJ – die elektronische Aktenverwaltungen), sondern auch EliAs (elektronisch integrierte Assistenz für die Staatsanwaltschaft), Grundbuch, Firmenbuch, Ediktsdatei, Elektronisches Urkundenarchiv, verschiedenste Register für Experten (Sachverständige, DolmetscherInnen, MediatiorInnen, Insolvenz- und ZwangsverwalterInnen, Lobbying-Unternehmen) und ein Dokumentationsservice (DES für die direkte Webeinbringung für Sachverständige und DolmetscherInnen).
Mit Hilfe der Digitalisierung wurden die Statistikparameter mit der Standesvertretung erarbeitet, um für Verfahrenstypen und –schritte Minutenwerte zu vergeben, die jedoch regelmäßig angepasst werden müssen, wenn sich Faktizitäten oder Verfahrensschritten (etwa auch durch Gesetzesnovellen) ändern. Die Statistik ist nicht nur für die Überwachung und Wahrnehmung der Dienstaufsicht relevant, sondern hilft auch, die Geschäftsverteilung gerecht vornehmen zu können und annähernd gleiche Auslastungen gewährleisten zu können.
Auch eine elektronische Schreibgutverwaltung erlaubt es, trotz Budgetkürzungen und Personalreduktion die Schreibarbeiten ausgelagert vergeben zu können, indem die zu Hause arbeitenden Schreibkräfte auf die Clearingstelle bei der OLGs elektronisch zugreifen und das Diktat schreiben können. Auch ein Europäisches Mahnsystem wird von Deutschland und Österreich gemeinsam aufgrund der EU-Verordnung abgewickelt. Videokonferenzen können national und international durchgeführt und aufgezeichnet werden.
Automatisierte Verfahrensführung
Die Verfahrensautomation Justiz (VJ) ermöglicht eine umfassende Register- und Fallverwaltungsführung, wo sämtliche Gerichte und Staatsanwaltschaften angebunden und vernetzt sind. Dadurch kann eine vollautomatische Abwicklung sichergestellt werden, sodass auch gerichtliche Erledigungen automatisch erstellt werden. Die in den Feldern einzugebenden Daten im Elektronischen Rechtsverkehr (ERV) können vom Gericht sofort überprüft, strukturiert und übernommen werden, sodass Zeit und Geld bei der Erfassung der Datensätze minimiert wird und automatische Erledigungen nach dem Validierungsprozess durchführt werden können. Durch diesen Prozess erhöht sich auch die Qualität der Schriftsätze, sodass es zu geringeren Zurückweisungen kommt und Fehler beim Erfassen der Daten verhindert werden. Mit der elektronischen Übermittlung einer Eingabe bei Gericht erfolgt eine automatische Vergabe eines Aktenzeichens, womit eine rechtsverbindliche Bestätigung der Einbringung verbunden ist und gezielte Abfragen bei Gericht möglich sind.
Papierlose Kommunikation
So ist auch eine externe elektronische Fallabfrage für Parteien(vertreter) möglich, was den Aufwand und die Zeit für Akteneinsicht reduziert. Es können auch österreichweit Namensabfragen gemacht werden. Der verpflichtende elektronische Rechtsverkehr (ERV) für ParteienvertreterInnen und manche Institutionen wie Kreditinstitute etc. ergänzen das System, sodass eine papierlose und sichere elektronische Kommunikation möglich ist. Die Übertragung eines Dokuments mittels E-Mail ist nach stRsp des OGH nicht zulässig, kann im Einzelfall jedoch verbesserungsfähig sein, wenn es an eine zentrale Postmailadresse gerichtet ist. Durch die elektronische Übermittlung kann Zeit und Geld gespart werden, so wird etwas geschätzt, dass die Portoersparnis ca. € 10 Mio. pro Jahr beträgt.
Justiz 3.0
Als Strategische Initiative Justiz 3.0 gilt es nun die Anwender mit den elektronische Applikationen zunehmend vertraut zu machen, während die Komplikationen und Mühen minimiert, Applikationen vereinfacht und erleichtert und der Komfort der Anwender erhöht werden soll. Es gilt sohin auch hier automatische und verlinkte Arbeitsabläufe der Justiz weiterhin einzurichten und anhand absehbarer technologischer Entwicklungen zu planen und umzusetzen und Erneuerungen der Kernanwendungen durchzuführen. Dabei ist die steigende Anforderung an die IT und die Ausstattung und die geringen Mittel an Personal und Budget jedoch zu berücksichtigen. Insbesondere sollen integrative Justiz-Arbeitsplätze bereitgestellt werden, wobei bereits jetzt eine Arbeit von Zuhause mit einer gesicherten VPN Verbindung zur Aktenverwaltung bei den ordentlichen Gerichten möglich ist. Auch hier wurden Arbeitsgruppen eingerichtet, um den Ist-Zustand und das Ziel sowie die konkreten Verbesserungspotentiale zu erarbeiten, dies ohne budgetären Restriktionen und ohne Denkverbote wie der Redner betonte.
Der Vortrag beeindruckte nicht nur aufgrund der umfassenden Darstellung in Höchstgeschwindigkeit, sondern auch aufgrund der fortschrittlichen und einfachen Handhabung der (komplexen) Applikationen und Einbindung sämtlicher Betroffenen bei der Digitalisierung.