Rechtsstaat in Not

Verwaltungsgericht Thessaloniki
Verwaltungsgericht Thessaloniki

Griechenland befindet sich nach wie vor in einer tiefen Krise. Was als Finanzkrise begonnen hat, ist zur sozialen Krise und letztlich zur Krise des Rechtsstaats geworden, die auch auf die persönlichen Lebensverhältnisse der Richterinnen und Richter massiven Einfluss hat. Das zeigten die Vorträge und Diskussionen bei unserem mehrtätigen Studienaufenthalt in Thessaloniki.

Das Programm begann mit dem Besuch der griechischen Richterakademie, die sich in Thessaloniki und nicht in Athen befindet. Diese wird von einem Richter des Staatsrates geleitet, Ausbildungs- und Fortbildungsprogramme werden von Richtern organisiert und durchgeführt. Dort erfolgt die Aufnahme und Ausbildung aller Richter, getrennt nach den Sparten Zivil-, Straf-, und Verwaltungsrecht.

Die Kandidaten müssen sich bereits bei der Aufnahmeprüfung für eine der Sparten entscheiden, ein späterer Wechsel ist nicht mehr möglich. Die Ausbildung dauert 18 Monate und endet mit einer Abschlussprüfung. Mindestalter für eine Bewerbung ist das Erreichen des 28. Lebensjahrs und eine mindestens zweijährige Anwaltspraxis.

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Vizepräsident der VRV Siegfried Königshofer, Präsidentin der Europäischen Verwaltungsrichter-Vereinigung Edith Zeller, Direktor der Nationalen Richterakademie Mr. Michail Pikramenos

In der Richterakademie erläuterten die griechischen KollegInnen in einer Reihe von Vorträgen die Geschichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Griechenland, Grundzüge der Gerichtsorganisation und des Verfahrensrechts. Die Vorträge zeichneten sich durch ausgesprochen hohe Fachkompetenz aus, die Vortragenden verfügten allesamt über ausgezeichnete Deutschkenntnisse.

Erst- und zweitinstanzliche Verwaltungsgerichte gibt es in Griechenland seit dem Jahr 1975, seit Beginn der Krise wurde die Anzahl der Gerichte reduziert und eine Reihe von – offenbar dringend notwendigen – Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung beschlossen, ist doch Griechenland jenes Land, welches die meisten Verurteilungen durch den EGMR wegen überlanger Verfahrensdauer verzeichnet.

Die Verwaltungsgerichte unterstehen nicht einem Minister, sondern einem „Richterrat“; politische Einflussnahmen auf Ernennung oder Karriereverlauf sollen dadurch verhindert werden. Die Präsidenten der Verwaltungsgerichte werden – wie etwa auch in den Niederlanden oder in Portugal – von der jeweiligen Vollversammlung aus dem Kreis der Richter für die Dauer von 2 Jahren gewählt.

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Thessaloniki

Ein weiterer Programmpunkt war der Besuch an den Verwaltungsgerichten erster und zweiter Instanz in Thessaloniki. Dort wurden in Vorträgen die konkreten Auswirkungen der Krise auf das Funktionieren des Rechtsstaats aufgezeigt und die Urteile des Staatsrates (in seiner Funktion als oberstes Verwaltungsgericht) zu den Einsparungsmaßnahmen analysiert.

Der Staatsrat hatte sich auf Grund von Klagen von Berufsverbänden insbesondere mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die von der „EU-Troika“ verlangten Eingriffe in das Pensions- und Gehaltssystem (die Richtergehälter wurden beispielsweise im Jahr 2012 – rückwirkend !- um 50% Prozent gekürzt) sachlich gerechtfertigt sind oder einen unzulässigen Eingriff in wohlerworbene Rechte darstellen und damit gegen die griechische Verfassung und die EMRK verstoßen.

Ungeachtet ihrer schwierigen Arbeits- und Lebensbedingungen zeigten die griechischen KollegInnen eine Herzlichkeit und Gastfreundschaft, wie wir sie selten erlebt haben.

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