„Die neuen Landesverwaltungsgerichte“

FöderalismusinstitutBericht über die Tagung des Föderalismusinstitutes am 11. und 12. April 2013 an der Universität Innsbruck

Von Wolfgang Helm (UVS Wien)

Die verfassungsrechtliche Stellung der neuen Gerichte

Den ersten Teil über die Grundlagen der Reform eröffnete Gamper (Universität Innsbruck), die die Reform in die Nähe einer Gesamtänderung der Bundesverfassung rückte, deren Bauprinzipien massiv tangiert würden. Diese These erregte in der anschließenden Diskussion vehementen Widerspruch von Thienel (VwGH), der in den vermeintlichen Widersprüchen zu Baugesetzen substanzlose Konstrukte der Lehre erblickte und ausführte, die gerichtliche Kontrolle der Verwaltung sei vielmehr schon im B-VG von 1920 angelegt; ein Ausbau derselben verstoße gegen keines der Prinzipien.  Lienbacher (VfGH) verwies in seinem Vortrag auf die vielfältigen Bindungen an europäische Rechtsnormen, denen Organisations- und Materiengesetzgeber ausgesetzt sind. Zudem seien die Verfahrensgarantien des Art. 6 EMRK auf den neuen europäischen Grundrechtskatalog auszudehnen. Nach der Entscheidung des EuGH vom Oktober 2012 über die Datenschutzkommission sei zwar die Unabhängigkeit einer Kontrollstelle iS derDatenschutzrichtlinie gegenüber Art. 6 autonom auszulegen (dh nicht mit der Unabhängigkeit eines Gerichts/Tribunals gleichzusetzen);  in jedem Falle bedeute Unabhängigkeit aber nicht nur Weisungsfreiheit, sondern bedürfe auch organisatorischer Absicherung . Eine besonders strenge Anscheinsjudikatur pflege in dieser Hinsicht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).

Das Organisationsrecht der neuen Gerichte

Der Organisation der neuen Verwaltungsgerichte war der zweite Teil gewidmet. Handstanger (VwGH) knüpfte in seinem Grundsatzreferat an die organisatorischen Absicherung der Unparteilichkeit sowie Unabhängigkeit an und betonte deren Bedeutung  für das Funktionsprofil der Verwaltungsgerichte, dem „Treffen rechtsrichtiger Entscheidungen in vertretbaren Zeiträumen“. Es müsse sichergestellt sein, dass Inhalte von Entscheidungen nicht an (auch nur vermeintliche) äußere Anforderungen angepasst werden. In diesem Zusammenhang verwies er auch auf die für die Effizienz entscheidende Personal- und Sachausstattung. Bei der Gerichtsorganisation sei insbesondere auf Distanz zur Verwaltung zu achten und eine richterliche Eigenverwaltung einzurichten. Dazu könne etwa eine Unterstützung des Präsidenten durch Präsidialrichter eingerichtet werden.

Besonders strenge Grundsätze gelten für die Geschäftsverteilung, die Dienst- und die Disziplinargerichtsbarkeit: Wird nicht die richterliche Vollversammlung damit befasst, so müssen in den betreffenden Gremien die gewählten Richter in der Mehrheit sein. Auch die Ablauforganisation sei Teil der Gerichtsbarkeit, nicht etwa der Verwaltung. Ein gewichtiges Indiz für die Unabhängigkeit sei ferner die richterliche Mitwirkung bei der Auswahl neuer Richter. Eingriffe in die Eigenverwaltung von außen befördern nicht die Effizienz, sondern beeinträchtigen die Unabhängigkeit. Schwerwiegende Bedenken bestehen auch gegen eine umfassende Verpflichtung der Richter zur Ableistung ihrer Dienstzeit am Dienstort, zumal sich solche Bestimmungen gut dafür eignen, auf Richter Druck auszuüben.

Ranacher (Amt der Tiroler Landesregierung) ging in seinem Vortrag zunächst auf die Abgrenzung der Regelungskompetenzen zwischen Organisations- und Materiengesetzgeber  (etwa bezüglich Senatsgröße oder Mitwirkung fachkundiger Laienrichter) ein. Was die Justizverwaltung betreffe, so sind einzelne Organe (Präsident, Vizepräsident, Vollversammlung) vom B-VG vorgegeben, es bestehe aber kein numerus clausus; die Kreation kollegialer Organe der Justizverwaltung setze aber eine Wahl durch die Vollversammlung voraus. Was die Aufgabenteilung zwischen monokratischer und kollegialer Justizverwaltung anbelangt, so sei die Gestaltungsfreiheit des Organisationsgesetzgebers dadurch eingeschränkt, dass der innerste Gerichtsbetrieb – Senatsbildung, Geschäftsverteilung, Abnahme, Geschäftsordnung, Disziplinarsachen, Unvereinbarkeit, Dienstbeschreibung – auf jeden Fall kollegial erfolgen müsse. Ranachers Vortrag wurde durch Wolf (Amt der Tiroler Landesregierung) zu den Punkten Ernennung der Richter und Befugnisse des Präsidenten sowie Stellung der Richter ergänzt.

Den Abschluss des organisationsrechtlichen Teils bildete das Referat von Pesendorfer (Amt der oö. Landesregierung) über die neue Rolle der Ämter der Landesregierungen – betreffend Reformmaßnahmen, Beobachtung der Gesetzesanwendung , einheitlicher Vollzug sowie Handhabung des Widerspruchsrechts, welches die adäquate Berücksichtigung öffentlicher Interessen des Landes sicherstellen soll.

Das Verfahren vor den neuen Gerichten

Der folgende Veranstaltungstag war dem Verfahren der Verwaltungsgerichte gewidmet. Zunächst erläuterte Eberhard (WU) das künftige Zusammenspiel der Landesverwaltungsgerichte mit den Verwaltungsbehörden, welche Parteistellung im Verfahren genießen; ferner Fragen der Rechtskraft, Beschwerdevorentscheidung und Rolle sowie Befugnisse der Gerichte. Eine vertiefte Darstellung des Verfahrens boten in der Folge Germann und Thalhammer (Amt der vlbg. Landesregierung). Dabei kam auch die verunglückte und im Bereich des VStG definitiv so nicht gewollte örtliche Zuständigkeitsregelung zur Sprache. Bestreben der Länder sei es lediglich gewesen, für Beschwerden gegen Ministerentscheidungen – statt einer flächendeckenden Zuständigkeit des Wiener Gerichts – die Zuständigkeit des Gerichts jenes Landes zu erreichen, in dem sich die Entscheidung (am meisten) auswirke.

Pürgy (WU) untersuchte die Einbeziehung amtlicher und nichtamtlicher Sachverständiger in das verwaltungsgerichtliche Verfahren, wobei er auch auf die Anscheinsbefangenheit eines die Anzeige begründenden (nicht aber notwendiger Weise  jedes bereits von der belangten Behörde beigezogenen) Amtssachverständigen einging.  Den Schlusspunkt setzte Thienel (VwGH) mit einer Vorstellung der neuen Rolle des VwGH im Verhältnis zu den Landesverwaltungsgerichten, was eine ausführliche Darstellung des künftigen Revisionsverfahrens samt den dabei auftretenden Problemen einschloss.

Insgesamt fand die Veranstaltung außerordentlich großen Zuspruch und regte zu zahlreichen Diskussionen unter den TeilnehmerInnen – innerhalb und außerhalb der nach den jeweiligen Abschnitten gebotenen Foren – an. Einigkeit bestand darüber, dass die Lösung zahlreicher Fragen erst am Beginn steht.

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