Menschenrechtsgerichtshof verurteilt Ukraine wegen der unzulässigen Absetzung eines Richters

Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat die Ukraine wegen der unzulässigen Absetzung eines Richters verurteilt. Die Tatsache, dass über die Entlassung des Richters nicht von einem unabhängigen und unparteilichen Tribunal befunden wurde, stellt dabei den Kern der Kritik dar.

Karl-Otto Sattler, Strassburg
Neue Züricher Zeitung
 

Das Urteil zeigt einmal mehr die mangelnde Gewaltenteilung und andere rechtsstaatliche Probleme im osteuropäischen Land auf.

Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg (EGMR) hat in einer Entscheidung vom Mittwoch das ukrainische Justizsystem verurteilt. Die Richter erklärten die Absetzung eines Mitglieds des Obersten Gerichtshofs, in die auch Persönlichkeiten aus der Politik verwickelt waren, für illegal. Der EGMR nutzte den Fall für eine scharfe Kritik an der unzureichenden Gewaltenteilung in der Ukraine und an der fehlenden Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des dortigen Rechtssystems. Kiew muss 18 000 Euro Entschädigung an den betroffenen Richter Alexander Wolkow zahlen und ist ausserdem zu dessen unverzüglicher Wiedereinsetzung in sein früheres Amt verpflichtet. Zudem dekretiert das Gericht, dass die Ukraine angesichts der systemischen Probleme der Justiz das richterliche Disziplinarrecht reformieren muss.

Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat wiederholt ein Ende der politischen Instrumentalisierung der ukrainischen Justiz verlangt, kann ihre Forderungen ohne eigene Machtbefugnisse aber nicht durchsetzen. Der Spruch des Menschenrechtsgerichtshofes setzt die Ukraine nun aber unter Druck. Denn ignoriert Kiew das Urteil der höchsten juristischen Instanz Europas, hätte dies eine schwere diplomatische Krise mit Strassburg zur Folge.

Die zuständige siebenköpfige Kammer unter dem Vorsitz des luxemburgischen EGMR-Präsidenten Dean Spielmann ortet in ihrem Urteil eine Reihe von Verstössen gegen rechtsstaatliche Prinzipien. Die Tatsache, dass über die Entlassung des Richters nicht von einem unabhängigen und unparteilichen Tribunal befunden wurde, stellt dabei den Kern der Kritik dar. Der Fall Wolkow illustriert exemplarisch das Problem der fehlenden Unabhängigkeit der ukrainischen Justiz, die bereits bei der Inhaftierung der ehemaligen ukrainischen Regierungschefin Julia Timoschenko und anderer Oppositionspolitiker von Bedeutung war.

nzz.ch …

Die Entscheidung: CASE OF OLEKSANDR VOLKOV v. UKRAINE

„[…]The Court notes that the present case discloses serious systemic problems as regards the functioning of the Ukrainian judiciary. In particular, the violations found in the case suggest that the system of judicial discipline in Ukraine has not been organised in a proper way, as it does not ensure the sufficient separation of the judiciary from other branches of State power. Moreover, it does not provide appropriate guarantees against abuse and misuse of disciplinary measures to the detriment of judicial independence, the latter being one of the most important values underpinning the effective functioning of democracies.[…]“
 
„[…]205. The Court has established that the applicant was dismissed in violation of the fundamental principles of procedural fairness enshrined in Article 6 of the Convention, such as the principles of an independent and impartial tribunal, legal certainty and the right to be heard by a tribunal established by law. The applicant’s dismissal has been also found to be incompatible with the requirements of lawfulness under Article 8 of the Convention. The dismissal of the applicant, a judge of the Supreme Court, in manifest disregard of the above principles of the Convention, could be viewed as a threat to the independence of the judiciary as a whole.[…]“
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