Das 10-Punkte-Programm zur Einrichtung der neuen Verwaltungsgerichte

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Siegfried Königshofer

Die gemeinsame Erklärung aller richterlichen Interessenvertretungen zur Schaffung von Verwaltungsgerichten erster Instanz vom 26. Oktober 2011 ist eine Erklärung von großer Symbolkraft. Sie macht deutlich, dass die Einrichtung von Verwaltungsgerichten nicht nur ein wesentlicher Teil der seit vielen Jahren diskutierten Verwaltungsreform wäre, sondern gleichzeitig auch eine der größten Justizreformen der letzten Jahrzehnte.

Die wesentliche Zielrichtung dieser Erklärung besteht folgerichtig darin, in Österreich ein Justizsystem mit einheitlichen Standards auf europäischem0 Niveau für alle Richter zu etablieren.

Rechtsschutz durch Gerichte ist ein Grundrecht der Unionsbürger

Für die schier endlos scheinende Debatte rund um die Verwaltungsgerichte hat das Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon im Dezember 2010 zwei entscheidende Änderungen gebracht: Erstens werden durch den Übergang von Kompetenzen auf die Europäische Union immer mehr österreichische Gesetze durch Unionsrecht ersetzt oder verdrängt werden. Zweitens wird in allen Verfahren, in denen Unionsrecht Anwendung findet, nach Art 47 der Grundrechtscharta der Rechtsschutz durch unabhängige und unparteiliche Gerichte notwendig. Mit der Grundrechtscharta ist der Rechtsschutz durch Gerichte (auch in Verwaltungsverfahren) zu einem Grundrecht der Unionsbürger geworden.

Österreichs Rechtsschutzsystem war darauf nicht vorbereitet, da Österreich der einzige Mitgliedsstaat der Union ohne eine flächendeckende Verwaltungsgerichtsbarkeit ist. Die praktischen Auswirkungen dieser Rechtsschutzdefizite zeigen sich aktuell wohl am besten im Bereich der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP): Dort wurde im Zusammenhang mit den Bau des Brennerbasistunnels die Frage, welche Prüfbefugnisse die Grundrechtscharta für ein unabhängiges Gericht bei der UVP verlangt, von Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof diametral entgegen gesetzt beantwortet. Die Folge davon ist das Fehlen eines gesicherten Bewilligungsverfahren für Projekte mit volkswirtschaftlicher Bedeutung und damit eine Rechtsunsicherheit, die – durch die zu erwartenden Verzögerungen – dem Steuerzahler viel Geld kosten kann.

Die verkündete Einigung zwischen Bund und Länder zur Einrichtung von erstinstanzlichen Verwaltungsgerichten ist somit eine längst fällige Maßnahme zur Modernisierung des Rechtsstaates.

Zu den wesentlichsten Forderungen des 10-Punkte-Progamms:

– Umfassende Kontrolle der Verwaltung durch Gerichte; Zweistufiger Instanzenzug in allen Verwaltungssachen

Für einen umfassenden Rechtschutz im öffentlichen Recht ist es erforderlich, dass jeder Verwaltungsakt einer Behörde bei einem Verwaltungsgericht erster Instanz bekämpft werden kann. Gegen jedes Urteil eines Verwaltungsgerichtes erster Instanz muss eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ausnahmslos möglich sein, da nur so die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gewahrt werden kann, welche eine der wesentlichsten Voraussetzungen für das Vertrauen der Bürger in den Rechtstaat bildet. Einer lückenlosen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs kommt auch im Hinblick auf die immer breitere Anwendung von Unionsrecht besondere Bedeutung zu, da – bei Fehlen einer Anrufungsmöglichkeit des VwGH – ansonsten bereits die erstinstanzlichen Gerichte zur Einholung von Vorabentscheidungen beim EuGH zwingend verpflichtet wären.

– Einheitliches Dienst- und Organisationsrecht; Angleichung der Ernennungsvoraussetzungen und Ausbildung

In allen anderen Mitgliedsstaaten der EU, ausgenommen Österreich, sind die Verwaltungsgerichte Teil des Justizsystems. Die Diensthoheit über die Verwaltungs-, Zivil- und Strafrichter liegt dort entweder beim Justizministerium oder dem Justizrat (Richterrat) .

Durch die im B-VG Entwurf vorgesehene Organisations- und Diensthoheit der Länder über die Verwaltungsgerichte besteht die Gefahr der Herausbildung eines „Mehr-Klassensystems“ bei Richtern. Es sind daher gesetzliche Maßnahmen notwendig, welche eine vergleichbare Rechtsstellung von Verwaltungs- und Justizrichtern gewährleisten. Damit soll die Durchlässigkeit zwischen den Verwaltungsgerichten und den ordentlichen Gerichten ermöglicht werden, welche in vielen anderen Justizsystemen in Europa selbstverständlich ist. Dafür ist es auch erforderlich, die Bestellung der Verwaltungsrichter analog zur Bestellung der Justizrichter zu regeln, das heißt, die Ernennung von Verwaltungsrichtern darf nur auf Grundlage von Besetzungsvorschlägen richterlicher Gremien erfolgen.

Durch das Stockholm Programm hat das Europäischen Parlament am 25. November 2009 die Weichen für eine Vereinheitlichung der Aus- und Fortbildungssysteme von Richtern in der Europäischen Union gestellt. Die Richterausbildung ist zu einer geteilten Kompetenz zwischen Mitgliedsstaaten, dem Europäischen Parlament und der Kommission geworden. Eine Umsetzung dieser unionsrechtlichen Vorgaben kann letztlich nur durch die Einrichtung einer Richterakademie für alle Richter gewährleistet werden.

– Übergangsbestimmungen zur Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit

Die Unabhängigen Verwaltungssenate und der Unabhängige Finanzsenat sind nach der Rechtsprechung des EuGH bereits jetzt Gerichte im Sinne der EU-Grundrechtscharta. Um diesen Gerichtsstatus nicht zu verlieren, müssen die Mitglieder diese Senate grundsätzlich ein Recht auf Ernennung zum Mitglied des jeweiligen neuen Verwaltungsgerichtes in einer Weise haben, wie dies bei der Überleitung des Unabhängigen Asylsenates zum Asylgerichtshof vorgesehen wurde. Das Fehlen einer Übergangsregelung hätte zwangsläufig zur Folge, dass alle während der Übergangsphase die von diesen Senaten getroffenen Entscheidungen wegen der fehlenden richterlichen Unabhängigkeit der Senatsmitglieder beim Verfassungsgerichtshof, dem EuGH oder dem EGMR bekämpfbar wären.

Dr. Siegfried Königshofer ist Bundesvorsiztender der Vereinigung der Mitglieder der Unabhängigen Verwaltungssenate

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