EuGH: Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts dürfen Entscheidungen höherer nationaler Instanzen ignoriert werden

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in der Rechtssache C-225/25 am 04.09.2025 entschieden, dass ein nationales Gericht verpflichtet ist, ein Urteil eines höheren Gerichts, das kein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht darstellt, als nicht existent anzusehen. Das Gericht hat zudem zu überprüfen, ob Richter:innen übergeordneter Gerichte ordnungsgemäß ernannt worden sind.

Im Ausgangsverfahren hat das vorlegende Gericht bereits ein endgültiges Urteil erlassen, mit dem das Inverkehrbringen bestimmter Kreuzworträtsel-Zeitschriften verboten worden ist. Gegen diese Entscheidung wurde vom Generalstaatsanwalt fast 14 Jahre später ein außerordentlicher Rechtsbehelf bei der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des polnischen Obersten Gerichts eingelegt. Diese Kammer hob das Urteil auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das vorlegende Gericht zurück.

Das vorlegende Gericht hatte Bedenken, ob es der Entscheidung eines Spruchkörpers eines höheren Gerichts nachkommen muss, wenn es feststellt, dass das höhere Gericht nicht als Gericht zu sehen ist, weil es unabhängig, unparteiisch und zuvor durch Gesetz errichteten sein muss. Nach dem EuGH Urteil vom 21.12.2023, C-718/21, stellt der Spruchkörper der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts Polens wegen der Umstände, unter denen seine Richter ernannt worden sind, kein Gericht im Sinne des Unionsrechts dar. Nach nationalem Recht ist allerdings das vorlegende Gericht daran gehindert, zu überprüfen, ob dieser Spruchkörper des Obersten Gerichts Polens vorschriftsmäßig besetzt war.

Der EuGH sprach nun aus, dass das nationale Gericht nicht außer Acht lassen kann, dass der EuGH bereits festgestellt hat, dass diese Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten kein Gericht darstellt. Ein nationales Gericht muss gegebenenfalls von der Beurteilung eines höheren nationalen Gerichts abweichen, wenn es angesichts der Auslegung durch den EuGH der Auffassung ist, dass sie nicht dem Unionsrecht entspricht. So muss das Gericht gegebenenfalls die nationale Vorschrift, den Entscheidungen dieses höheren Gerichts nachzukommen, unangewendet lässt. Dies gilt auch dann, wenn ein Gericht aufgrund einer nationalen Verfahrensvorschrift an eine Entscheidung eines nationalen Verfassungsgerichts gebunden ist, die es für unionsrechtswidrig hält.

Wegen des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts und der Verbindlichkeit der Entscheidungen des Gerichtshofs kann einer solchen Überprüfung weder die nationale Regelung noch die Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofs entgegenstehen. Stellt daher das nationale Gericht auf der Grundlage einer Entscheidung des EuGH fest, dass ein in letzter Instanz entscheidendes Justizorgan nicht unabhängig, unparteiisch und zuvor durch Gesetz errichtet ist, ist eine Entscheidung eines solchen Organs, mit der eine Sache zur erneuten Entscheidung an ein niederes Gericht zurückverwiesen wird, als nicht existent anzusehen, wenn dies in Anbetracht der in Rede stehenden Verfahrenslage unerlässlich ist, um den Vorrang des Unionsrechts zu gewährleisten.

Hier geht es zur Entscheidung des EuGH …

Hier geht es zur Pressemitteilung des EuGH …

Hier geht es zum Beitrag auf orf.at …

Teilen mit: