
Sind Gerichte für die aktuell von der Politik thematisierten Probleme der Migration verantwortlich, so wie es in einem offenen Brief von neun europäischen Staats- und Regierungschefs zum Ausdruck gebracht wird? Was bedeutet es, wenn hochqualifizierte Personen für ein Höchstgericht nominiert, dann aber völlig haltlos und mit falschen Unterstellungen diffamiert werden, sodass die Wahl abgesagt wird? Wie sehr schaden solche Aussagen an zweifellos angesehenen Jurist:innen, die für die Gerichtsbarkeit tätig werden sollen, dem gesamten demokratischen System und der Gerichtsbarkeit?
Entgleisung der Nominierung zur Bundesverfassungsrichterin
Mit der Frage der richterlichen Unparteilichkeit hat sich Isolde Charim in einem Artikel im Falter im Zusammenhang mit dem Fall der Diffamierung einer hochqualifizierten und geeigneten Person auseinandergesetzt, die als Höchstrichterin für das Bundesverfassungsgericht in Deutschland nominiert und schließlich in einer beispiellosen Kampagne mit falschen Unterstellungen von politischen Ansichten diffamiert wurde.
Höchstrichter:innen müssen über der Politik stehen, auch wenn sie von dieser nominiert werden. Sie haben vielmehr strittige Fragen mit dem Grundgesetz abzugleichen. Ein heikler Balanceakt, der für die Gewaltenteilung und das Gleichgewicht der drei Staatsgewalten Legislative, Judikative und Exekutive unerlässlich sei. Mit der Übernahme des Amtes des Verfassungsrichters/der Verfassungsrichterin werde man zu Repräsentanten der Allgemeinheit. Damit müsse jede:r Höchstrichter:in den Unterschied zwischen öffentlicher Funktion und privater Person an sich selbst vollziehen. Auch wenn die private Person natürlich ihre politischen Überzeugungen und Meinungen habe, habe sich die öffentliche Person davon zu distanzieren. In dieser professionellen Distanz bestehe die Neutralität.
Eine Hetzkampagne, die die Nominierung einer Richterin zum Kulturkampf und zur Zerstörung des Gleichgewichts der Gewaltenteilung kippen und entgleisen lasse, untergrabe genau die Idee der Neutralität des Gerichtes.
Kritik von Regierungschefs an der Rechtsprechung des EGMR
Ein System von Checks and Balances, das politischen Entscheidungen Schranken setze und die Achtung von Grundrechten einfordere, sei unabdingbares Wesensmerkmal einer rechtsstaatlichen Demokratie, schreibt der Präsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV) Rechtsanwalt Stefan von Raumer in seinem Statement. Gerichtskritik sei der falsche Schritt und stärke im Zweifel die zersetzenden Kräfte in Europa.
Die EMRK schützt Freiheitsrechte des einzelnen und beschränkt damit die staatliche Macht. Dass die Politik nun der Gerichtsbarkeit eine unzulässige Auslegung unterstellt, zerstört das Vertrauen der Bevölkerung gerade in jene Einrichtungen, zu deren Schutz sie eingerichtet wurden. Dass damit auch das Vertrauen in die Politik und das demokratische System und Gleichgewicht Schaden nimmt, scheint in Kauf genommen zu werden.
Richter:innen vollziehen Gesetze in neutraler Haltung
Alle Richter:innen haben den Anspruch an sich selbst und von der Verfassung vorgegeben, bei Ausübung ihres Amtes unparteilich zu sein. Mit dieser neutralen Haltung werden die von der Politik beschlossenen Gesetze von Richter:innen vollzogen und hat jede parteiliche Einflussnahme zu unterbleiben. Dies zeigen die vielen Ethikerklärungen, die hervorstreichen, dass Richter:innen ihr Amt in bestmöglicher Weise und nach bestem Wissen und Gewissen unabhängig und unparteilich ausüben. Das Vertrauen in die Justiz und den Rechtsstaat soll durch das Wirken der Richter:innen gestärkt und gefestigt werden.
Eine Aussage, wie zuletzt vom Florian Dagn, Kabinettschef von Ministerin Claudia Plakolm in der Presse, dass es in den vergangenen Jahren die Tendenz gegeben habe, „dass die Handlungsfähigkeit der Politik durch die Rechtsprechung der Gerichte immer weiter eingeschränkt wurde“, erscheint befremdlich und das Prinzip der Gewaltenteilung in Frage zu stellen. Richter:innen machen keine Politik, sondern vollziehen jene Gesetze, die von der Politik beschlossen wurden und dies in neutraler Haltung. Die Vertretung von parteipolitischen Interessen oder „Werte eben der Parteien, die das Nominierungsrecht haben“, hat in der Gerichtbarkeit aufgrund der Unparteilichkeit gerade nicht zu erfolgen.
Hier geht es zum Statement von Stefan von Raumer: Gerichtskritik ist der falsche Schritt – Angriff auf EMRK – Deutscher Anwaltverein
Hier geht es zum Beitrag im Falter: Fall Frauke Brosius-Gersdorf: Was bedeutet die richterliche Überparteilichkeit? …
Siehe Beitrag Hilpold in der Presse: Europas Migrationsproblem und das Schreiben der Neun
Hier geht es zum Beitrag in der Presse: Plakolms Kabinettschef: Der Jurist im Reiz-Ressort
Siehe auch: Justizministerin Sporrer verteidigt Einfluss der Regierungsparteien auf Gerichtsposten